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Atomunfall: Kühlwasser aus Fukushima soll ins Meer geleitet werden

Nachbarländer haben Japans Plan angeprangert, Wasser ins Meer zu leiten, das zur Kühlung der geschmolzenen Reaktoren des Atomkraftwerks verwendet wurde. Forscher halten die Gefahren aber für gering.
Tanks mit kontaminiertem Wasser in Fukushima

Japan plant, mehr als eine Million Tonnen kontaminiertes Wasser aus dem zerstörten Atomkraftwerk Fukushima Daiichi an der Ostküste des Landes ins Meer zu leiten. Dieser Vorschlag stößt auf deutliche Ablehnung durch Nachbarländer, seit er im April 2021 öffentlich geworden ist: Südkoreas Außenminister etwa hatte zunächst starkes Bedauern und ernste Bedenken ausgedrückt, während chinesische Wissenschaftler sich, laut Chinas staatlicher Nachrichtenagentur Xinhua, gegen den Plan gestellt haben. Liu Senlin vom China Institute of Atomic Energy in Peking wird zitiert, das geplante Vorgehen sei extrem unverantwortlich. Andere Wissenschaftler halten allerdings dagegen: Die Risiken der Wassereinleitung seien – wenn alles nach Plan läuft – minimal.

So meint etwa der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), dass die Strahlung der behandelten Abwässern sehr gering ausfallen wird. Zudem werde das Wasser schrittweise über mehrere Jahre eingeleitet, um jedes Risiko zu minimieren. »Als Wissenschaftler muss ich bei all dem einen kühlen Blick bewahren und mir die Fakten ansehen. Und die Fakten sagen mir nicht, dass wir hierüber groß besorgt sein müssen«, sagt Jordi Vives I Batlle, der am belgischen Kernforschungszentrum in Mol die Auswirkungen von Strahlung auf marine Ökosysteme untersucht.

Kühlung des geschmolzenen Reaktors

Das Erdbeben und der Tsunami, die am 11. März 2011 die Ostküste Japans heimsuchten, haben zu einem katastrophalen Ausfall der Kraftwerkkühlsysteme geführt. In den darauf folgenden zehn Jahren hat man 1,25 Millionen Tonnen Meerwasser durch die beschädigten Einheiten gepumpt, um eine Überhitzung der geschmolzenen Brennstofftrümmer zu verhindern. Diese Pumpaktion dauert noch an. Das kontaminierte Wasser wird dann behandelt, um radioaktives Material zu entfernen, und schließlich auf dem Gelände in rund 1000 Stahltanks gelagert.

Das Ausleiten von behandeltem Abwassers gehört zum Standardbetrieb von Kernkraftwerken. Die enorme in Fukushima anfallende Menge macht die Situation allerdings ungewöhnlich, sagt Vives I Batlle, ebenso wie die ursprünglich hohe Konzentration von Radionukliden im Wasser, die aus dem direkten Kontakt mit dem geschmolzenen Reaktor resultierte. Dennoch deute nichts darauf hin, dass die Strahlungswerte des aufbereiteten Wassers höher sein werden als die natürlich auftretenden Hintergrundwerte in der Umwelt, sagt Vives I Batlle, der seit dem Tsunami in Fukushima forscht.

Laut dem Betreiber der Fukushima-Anlage, der Tokyo Electric Power Company, entfernt die Aufbereitung des Wassers den Großteil der Radionuklide, einschließlich Cäsium und Strontium. Nur Tritium verbleibt in irgendeiner Menge, dieses emittiere aber mit die geringsten Strahlungsdosen aller Radionuklide, sagt Vives I Batlle. Tritium könne man »in größerer Menge ableiten als andere Radionuklide, weil es eine sehr geringe Wirkung hat«. Die Nuklearchemikerin Deborah Oughton, Leiterin des Zentrums für Umweltradioaktivität an der Norwegischen Universität für Lebenswissenschaften in Oslo, ergänzt, Tritium sei ein natürlich vorkommendes Radionuklid. Man finde es in der Umwelt und Lebewesen, auch im Menschen.

Japans Plan sieht vor, die Freisetzung über zwei bis drei Jahre zu strecken. Der Modellierung zufolge würden die Strahlungswerte dabei dann »innerhalb dessen liegen, was im Trinkwasser erlaubt ist«, sagt Oughton. »Die direkten Auswirkungen der Radioaktivität auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit werden meiner Meinung nach sehr, sehr gering sein.« Und selbst in den Worst-Case-Szenarien, die Vives I Batlle modelliert hat – dabei würde das gesamte Wasser auf einmal freigesetzt, bevor es vollständig aufbereitet wurde – wären die Strahlungswerte in der exponierten Meeresumgebung immer noch »100-mal weniger schädlich als die Hintergrundstrahlung«, sagt er.

Vertrauensbildender Einsatz der IAEA

Um die Befürchtungen der Kritiker zu zerstreuen, arbeitet die IAEA mit der japanischen Regierung bei der Planung, Durchführung und Überwachung der Freisetzung zusammen. »Wir werden bereits in der Planungs- und Kalibrierungsphase dabei sein«, sagt Rafael Grossi, Generaldirektor der IAEO mit Sitz in Wien. »Wir werden da sein, wenn die Operation stattfindet, und wir werden auch danach da sein.«

Wichtig sei nun, dass die wissenschaftlichen Daten nach der Freisetzung mit Sorgfalt weitergegeben werden, damit Fehlinterpretationen vermieden werden, mahnt der Meereschemiker Shigeyoshi Otosaka von der Universität von Tokio, der die Ausbreitung der freigesetzten Radionuklide nach dem Tsunami untersucht hat. Es könne bereits beim Nachweis von »sehr geringen Mengen an Radionukliden« zu Missverständnissen oder Vertrauenskrisen in die Institutionen kommen, sagt Otosaka.

Deborah Oughton betont zudem, dass es Folgen für die japanische Fischereiindustrie haben dürfte, wenn die Freisetzung nicht so gehandhabt wird, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit erhalten bleibt. Die Folgeüberwachung müsse unbedingt streng und sorgfältig ausfallen, damit die Menschen sicher sein können, dass »die Strahlungswerte von Meeresfrüchten der menschlichen Gesundheit nicht schaden«.

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