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News: Auf die Tonhöhe kommt es an

Auch wenn ein Bass die Arie einer Sopranistin oder den neuesten Hit von Madonna summt, können wir die vertraute Melodie durchaus erkennen. Kinder sind da empfindlicher: Stimmt die absolute Tonhöhe nicht, spitzen sie die Ohren. Offenbar haben sie noch so eine Art absolutes Gehör, das wohl im Laufe der weiteren Entwicklung dann verloren geht.
"Schlaf, Kindlein, schlaf" soll den Nachwuchs in einen süßen Schlummer versetzen. Doch wehe, es ist nicht die gewohnte Stimme – mag sie auch noch so einschläfernd sein, die Kleinen horchen auf und denken nicht im Traum daran, nun Ruhe zu geben. Ist es dagegen der vertraute Sänger, sind die Sprösslinge nicht ganz so kritisch: Hier verzeihen sie es gnädig, wenn auch mal ein paar Töne daneben liegen.

Wie kommt das? Die Tonhöhe ist das Geheimnis, stellten Jenny Saffran vom Infant Learning Laboratory der University of Wisconsin-Madison fest. Sie spielten Erwachsenen und Kleinkindern eine dreiminütige Abfolge von Glockentönen vor. Anschließend wählten sie einzelne Fragmente davon aus und veränderten entweder die Tonhöhe oder einzelne Töne in der Sequenz. Für die Erwachsenen war es kein Problem, die bekannten Melodien auch in einer anderen Stimmlage zu erkennen – sie richteten sich offensichtlichen nach der relativen Abfolge der einzelnen Töne. Sie konnnten jedoch nur schlecht einschätzen, ob sich die Tonlage geändert hatte.

Die Kleinkinder hingegen taten sich damit sehr viel leichter. Sie lauschten den Melodien nur dann aufmerksam, wenn sich die Tonhöhe änderte – ob die Sequenz nun gleich blieb oder nicht. Denn Neues ist interessant – Bekanntes dagegen weckt ihre Aufmerksamkeit nur bedingt. Dementsprechend weniger neugierig reagierten sie auf kleine Veränderungen einzelner Töne, sofern sich die Stimmlage nicht änderte.

Offenbar haben die Kleinen damit den meisten von uns etwas voraus: Sie können die genaue Tonhöhe erkennen. Diese unter Musikern begehrte Eigenschaft, das so genannte absolute Gehör, besitzen nur wenige Erwachsene. Sie scheint also im Laufe der Entwicklung häufig verloren zu gehen.

Doch warum ist sie anscheinend bei Kindern noch angelegt und verkümmert dann? Saffran vermutet, dass die Information der absoluten Tonhöhe für uns einfach viel zu detailliert ist. Die Nervenzellen des Gehirns sind so organisiert, dass sie auf Laute in bestimmten Frequenzbändern reagieren. Damit erstellen wir eine "Karte" der Geräusche unserer Umwelt – ganz ähnlich dem Bild, das wir aus visuellen Reizen konstruieren. Würden wir uns dabei aber auf absolute Tonhöhen verlassen, dann könnten wir ein Wort, gesprochen von einer Frau und einem Mann, nicht als dasselbe erkennen. Deshalb muss unser Gehirn generalisieren – und das tut es, indem es die relativen Tonabstände vergleicht.

Für Kinder dagegen könnte das absolute Gehör eine große Hilfe beim Sprechen lernen sein, vermutet Saffran. Denn hier reagieren die Kleinen eher auf vertraute Töne, um damit zum Beispiel den Anfang und das Ende eines Wortes wahrzunehmen. Besonders wichtig ist dies für so genannte tonale Sprachen wie Thailändisch oder Vietnamesisch. Hier gibt es dieselbe Zeichenfolge mit mehreren Bedeutungen, die allein durch die Betonung und Tonhöhe festgelegt sind.

Welche Folgen haben diese Ergebnisse nun für das abendliche Gute-Nacht-Lied? Bleiben Sie immer beim selben Interpreten. Ist ihrem Nachwuchs dessen Gesang – so richtig oder falsch er auch sein mag – erst einmal vertraut, schläft er offenbar vor lauter Langeweile darüber ein.

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