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Kernfusion: Auf verschlungenen Pfaden

In der Versuchsanlage »Wendelstein 7-X« in Greifswald experimentieren Forscher mit einem 100 Millionen Grad heißen Plasma. Das Ziel: ein Fusionsreaktor nach dem Vorbild der Sonne.
Ein Techniker arbeitet an einem Modul des Außengefäßes von Wendelstein 7-X

Irgendwer muss hier an Max und Moritz gedacht haben. Nach einem Streich hat ein Bäckermeister die beiden Buben in Teig getaucht, nun schiebt er sie rücklings in den Backofen. So ist es auf einer Zeichnung zu sehen, die am Reaktorgefäß von »Wendelstein 7-X« hängt. Tatsächlich ist der Zugang zu dem Greifswalder Forschungsreaktor ausgesprochen eng: Auf dem Rücken liegend, wie Max und Moritz, geht es hinein in die mehr als mannshohe Kreisröhre aus Edelstahl, deren Form an den Kranz einer zu stark gekneteten Brezel erinnert.

Statt eines Teigmantels trägt man in Wendelstein 7-X allerdings Ganzkörper-Schutzanzug und Haarnetz. Und drinnen herrscht auch keine Hitze mehr, anders als im Ofen von Max und Moritz. Von den 100 Millionen Grad Celsius, welche die Anlage erreichen kann, ist nichts zu spüren. Allenfalls Verfärbungen, die man von einem Motorradauspuff kennt, lassen auf die hohen Temperaturen schließen, denen die Wand schon ausgesetzt war.

Ein Kraftwerk nach dem Vorbild der Sonne

Momentan steht Wendelstein 7-X still, wegen technischer Umbauten. Das gibt die Gelegenheit für einen Blick ins Reaktorgefäß – und die Suche nach Antworten auf eine große Frage: Können Kraftwerke, die nach dem Prinzip von Wendelstein 7-X arbeiten, dereinst einen Beitrag zur Energieversorgung der Menschheit leisten?

Seit Langem träumen Physiker und Ingenieure von dieser Kernfusion. Sie ist das Prinzip, mit dem unsere Sonne Energie gewinnt. Statt schwere Atomkerne zu zertrümmern, wie es Kernkraftwerke tun, verschmilzt sie die leichten Atomkerne des Wasserstoffs paarweise zu Helium. Das setzt große Mengen Energie frei, die Kernfusion gilt daher als effizienteste aller Energiequellen.

Wendelstein 7-X

Aber lässt sich das Prinzip auf der Erde kopieren? Lässt sich in einem Reaktor ein kleiner Stern zünden? In den vergangenen 70 Jahren haben Staaten dafür dutzende Milliarden an Forschungsmitteln ausgegeben, es gab Fortschritte und mindestens so viele Rückschläge. Technisch am weitesten ist derzeit der International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER), an dem seit zehn Jahren bei Cadarache in Südfrankreich gebaut wird und der zu zwei Dritteln fertig ist.

Eine Alternative zum Tokamak

Wendelstein 7-X ist so etwas wie der kleine, unkonventionelle Bruder dieses Mammutprojekts: Seit seiner Einweihung im Dezember 2015 erprobt das Greifswalder Experiment eine alternative Route zur Kernfusion, die der »Stellarator«-Bauweise. Sie ist komplizierter als der »Tokamak«-Ansatz, auf dem ITER und viele andere der bisherigen Fusionsreaktoren basieren. Doch sie könnte sich langfristig als der sinnvollere Weg erweisen, glauben Experten.

Robert Wolf vom Greifswalder Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), der dem Besucher die Halle mit dem stählernen Koloss zeigt, formuliert es etwas vorsichtiger: »Es ist immer sinnvoll, verschiedene Ansätze zu verfolgen, und es gibt gute Gründe dafür anzunehmen, dass der Stellarator viele vorteilhafte Eigenschaften hat.«

Grundsätzlich muss ein Fusionsreaktor ein Gas aus Wasserstoff extrem stark erhitzen, auf hunderte Millionen Grad. Nur dann bewegen sich Atomkerne schnell genug, um die elektrostatische Abstoßung zu ihresgleichen überwinden zu können – die Voraussetzung für die Verschmelzung. Da die Ladungsträger-Suppe – Physiker sprechen von einem Plasma – sofort abkühlen würde, wenn sie in Kontakt mit Stahl und anderen Materialien gerät, darf sie die Gefäßwand nicht berühren.

Daher setzen Fusionsreaktoren auf Magnetfelder, welche die geladene Brühe einsperren und in der Schwebe halten sollen. Tokamaks wie ITER nutzen dafür ein axialsymmetrisches, donutförmiges Reaktorgefäß, in dessen Kringel ein Stapel gewaltiger Spulen sitzt. Ihr Magnetfeld treibt die Ladungsträger des Plasmas im Kreis, was ein weiteres, einschließendes Magnetfeld erzeugt. Zusammen mit den Feldern weiterer Spulen hält es die heiße Materie in Schach, allerdings nur für ein paar Minuten. Anschließend müssen die zentralen Spulen neu hochgefahren werden.

Die Vorteile des Stellarators

Stellaratoren haben dieses Problem nicht, hier können die Magnetfelder länger bestehen. »Damit ist ein Dauerbetrieb möglich, was für den Einsatz im Kraftwerk günstiger ist«, sagt Wolf. Das Geheimnis der Stellaratoren ist die Form des Reaktorgefäßes und des passgenau gefertigten Ensembles aus 70 supraleitenden Magnetspulen, die es umgeben: Sie erzeugen ein schraubenförmig verdrilltes Magnetfeld, das darauf optimiert ist, das Plasma einzuschließen – ganz ohne zentrale Spule, die man alle paar Minuten neu starten muss.

Wendelstein 7-X | In einem Stellarator wie Wendelstein 7-X erzeugen ringförmig angeordnete, unterschiedlich geformte Spulen (rostfarben) ein gewundenes Plasma (rosa).

In der Geschichte der Fusionsforschung ist der Ansatz vergleichsweise jung, erzählt Wolf. »Erst in den 1990er Jahren gab es Hochleistungsrechner, die das komplexe Design von Wendelstein berechnen konnten.« Deshalb falle die Anlage mit einem Plasmavolumen von 30 Kubikmetern auch deutlich kleiner aus als der 840-Kubikmeter-Koloss ITER: »Wir haben noch rund eine Generation Rückstand auf die Tokamak-Technologie, die bereits früher vorangetrieben wurde«, sagt er.

Die Wendelstein-Wissenschaftler sind aber zuversichtlich, aufholen zu können. Vielleicht werde der Nachfolger von ITER ein Stellarator, sagen sie. Dazu könnte, unfreiwillig, auch der große Bruder aus Südfrankreich beitragen. Das internationale ITER-Konsortium, an dem einschließlich der EU 35 Nationen beteiligt sind, musste wiederholt den Starttermin um Jahre verschieben und die anfänglichen Kostenkalkulationen stark nach oben korrigieren. Aktuell soll in Cadarache Ende 2025 das erste Plasma entstehen. Aber erst zehn Jahre später soll auch die Wasserstoffvariante Tritium zum Einsatz kommen, mit der die Kernfusion Energie abwerfen könnte.

Auch in Greifswald ging es nicht ohne Probleme. Die Grundsteinlegung erfolgte 1997, Anfang der 2000er Jahre geriet das Projekt dann zeitweise in Schieflage: Gelieferte Magnetspulen wiesen Mängel auf, ein Zulieferer ging pleite. 2015 wurde Wendelstein – benannt nach einem Alpengipfel nahe des IPP-Stammsitzes in Garching – dann trotzdem fertig, mit neun Jahren Verspätung und zu etwa doppelt so hohen Kosten wie veranschlagt.

Seitdem haben die Forscher alle Hände voll zu tun: »Wir mussten erst einmal schauen, ob die komplexe Maschine so läuft wie geplant«, erinnert sich Wolf. Obwohl das insgesamt eine Milliarde Euro teure Experiment selbst nur fünf Meter hoch ist und 16 Meter Durchmesser hat, füllt es mit den umliegenden Tragstrukturen, Leitungen und Kabeln eine große Halle.

Zum Zeitpunkt des Besuchs von »Spektrum.de« sind gerade keine Monteure zu sehen, es ist unerwartet still. Nur die flotten Schritte von Wolfs Outdoorschuhen auf den stählernen Treppen und Steigen sind zu hören. Und natürlich seine kundigen Erläuterungen: welches Rohr welche Funktion hat, wo das Wasserstoffgas in den Reaktor geleitet wird und wo die Messgeräte stehen, um das Plasma genau zu analysieren.

Nach dem Start der Messungen – den Knopf drückte Angela Merkel – galt es zunächst ein umfassendes Testprogramm zu absolvieren: Funktionieren die bis auf Minus 269 Grad heruntergekühlten Magnetspulen? Halten die Messgeräte in der Nähe des irrsinnig heißen Plasmas durch? Wie präzise lässt sich die Temperatur überhaupt bestimmen?

100 Millionen Grad Celsius

Gerade Letzteres sei eine ganz eigene Herausforderung, erzählt Wolf: »Wir nutzen verschiedene Verfahren, die beispielsweise auf Laserstreuung basieren oder indem Emissionslinien von zugefügtem Argon gemessen werden.« Dabei seien jedoch schon mal Unterschiede von einer halben Million Grad zu Stande gekommen, und man musste zunächst herausfinden, woran das liegt. Mittlerweile sei die Sache geklärt und die Maschine insgesamt ohne größere Probleme angelaufen, beteuert der Forscher.

Der Stellarator in Greifswald soll noch keine Energie erzeugen, Fusionsreaktionen gibt es allenfalls vereinzelt. Sie finden in einem reinen Deuterium-Plasma deutlich seltener statt als in einem Gemisch aus Deuterium und der schwereren und selteneren Wasserstoffvariante Tritium. Letzteres Isotop spielt bei Wendelstein 7-X keine Rolle, was auch dem Strahlenschutz zugutekommt – Tritium ist, anders als Deuterium, radioaktiv.

Dennoch ist die Versuchsanlage so konzipiert, dass sie möglichst viele Rückschlüsse auf die Bedingungen in einem Fusionskraftwerk erlaubt. Eine Kennzahl dafür ist das so genannte Fusionsprodukt. Es errechnet sich aus der Temperatur der geladenen Atomkerne, ihrer Dichte im Plasma und der »Energieeinschlusszeit«, die für die Wärmeisolation des magnetisch eingeschlossenen Plasmas steht. Wendelstein 7-X hat hier einen neuen Rekord für Stellaratoren aufgestellt: 2017 erreichten die Forscher 0,08 * 1020, wie sie in einer Fachveröffentlichung berichteten.

Tokamak-Prinzip | Im Tokamak induzieren äußere Spulen einen Strom im Plasma, der zur Verdrillung des Magnetfelds beiträgt.

Für eine selbsterhaltende Fusionsreaktion in einem Deuterium-Tritium-Plasma müsste dieser Wert zwar 375-mal höher liegen – dennoch lässt sich bei Experten damit Eindruck schinden. Laien kann man eher mit den 100 Millionen Grad beeindrucken, auf die das reine Wasserstoff-Plasma hier bereits hochgekocht wurde.

Dafür haben nicht zuletzt Wolf, Leiter des Bereichs Stellarator-Heizung und -Optimierung, und sein Team gesorgt. Sie versetzen die Atome mit Mikrowellen in derart heftige Bewegungen, dass diese bald ihre Elektronen abgeben und ein Plasma entsteht. Während ein gewöhnlicher Mikrowellenofen auf die Tischplatte passt, ist die Wendelstein-Heizung, zu der Wolf inzwischen mit sichtbarem Stolz ins Untergeschoss geführt hat, so groß wie eine Litfaßsäule und hat eine Leistung von einer Million Watt. Genau genommen sind es zehn Litfaßsäulen, zwei weitere sind bereits in Planung.

Die stärkere Heizung gehört zu einer Reihe von Veränderungen, die Wendelstein 7-X in der nächsten Experimentierphase ab 2021 noch leistungsfähiger machen sollen. So wollen die Forscherinnen und Forscher noch näher an kraftwerksähnliche Bedingungen herankommen; auch wollen sie den Plasmazustand demnächst bis zu 30 Minuten aufrechterhalten, bisher klappt das nur für 100 Sekunden.

Auf dem Weg dorthin gilt es, den Magnetfeldkäfig immer weiter zu verbessern. Einerseits muss er die Ionen zusammenhalten. Andererseits darf der Einschluss aber auch nicht zu gut sein, weil sonst kein Plasma nach außen transportiert wird, was notwendig ist, um die entstehende Energie und Verunreinigungen loszuwerden. Hierzu bestehen noch etliche Forschungsfragen.

Problematische Turbulenzen

Sie betreffen unter anderem die berühmt-berüchtigten Turbulenzen, mit denen bisher alle Fusionsreaktoren zu kämpfen hatten. Sie können unter anderem dann auftauchen, wenn der Einschluss durch das äußere Magnetfeld immer weiter verbessert wird. Das Plasma neigt dann unter anderem zu konvektionsgetriebenen Strömungen, die man von Flüssigkeiten kennt und die schwer zu berechnen sind.

»Als die Konfiguration von Wendelstein vor 30 Jahren berechnet wurde, stand die Theorie zu Plasmaturbulenzen noch am Anfang, man konnte das damals nicht berücksichtigen«, sagt Wolf. Hinzu komme, dass bestimmte Turbulenzarten, so genannte Moden, erst jetzt identifiziert wurden, weil sie bei älteren Stellaratoren von anderen Effekten überdeckt waren, die inzwischen »wegoptimiert« wurden.

»Wir untersuchen nun, was da im Detail passiert, wie groß die Energieverluste sind und was man dagegen tun kann.« Das sei alles andere als eine einfache Aufgabe, beteuert Wolf: Turbulenzen zählen zu den komplexesten Problemen der Physik, und numerische Simulationen selbst für einzelne Betriebspunkte beschäftigen einen Großrechner tage- oder wochenlang. Eine schnelle Lösung, so scheint es, gibt es nicht.

Ein anderes Problem, um das es bei Wendelstein 7-X geht, ist die Innenverkleidung des Reaktors. Die Spezialkacheln müssen mehr als 1000 Grad und einem enormen Wärmefluss standhalten. Ähnlichen Belastungen ist ein Raumschiff beim Eintritt in die Atmosphäre ausgesetzt. Dort ist das Inferno nach einigen Minuten zu Ende, in Wendelstein soll es eine halbe Stunde dauern.

ITER | Nach dem Tokamak-Prinzip wird auch der 30 Meter hohe Testreaktor ITER funktionieren, der derzeit gebaut wird.

Dazu erproben die Wissenschaftler nun neue Verkleidungselemente, die vollständig wassergekühlt sind. An der Basis bestehen sie aus Kupfer, Chrom und Zirkon, nach innen zum Plasma hin befindet sich eine Kachel aus Kohlenstoff. Für den Dauerbetrieb ist dieser jedoch ungeeignet, weil der Wasserstoff damit reagiert und eine chemische Erosion einsetzt. Die Forscher wollen daher Wolfram testen, das einen höheren Schmelzpunkt hat – in der Hoffnung, dass das Plasma nicht zu viel davon herausschlägt und sich damit selbst verunreinigt.

Auch China will einen Fusionsreaktor bauen

Während die Innenverkleidung bei Wendelstein 7-X »nur« als Hitzeschutz für die Gefäßwand dient, soll ihr bei einem ausgewachsenen Kraftwerk eine entscheidende Rolle zukommen. Sie muss die Energie aus der Fusionsreaktion – schnelle Neutronen, die bei Tritium-Fusionsreaktionen entstehen und die beim Auftreffen auf das Material Wärme erzeugen – effizient abführen, um damit eine Turbine anzutreiben oder einen Wärmespeicher zu füllen. Sie muss robust genug für einen Dauerbetrieb sein. Und sie darf von den Neutronen nicht so stark »aktiviert« werden, dass sie für viele Jahrzehnte zum strahlenden Sondermüll wird.

Für den Kraftwerksprototyp DEMO, der um 2050 als Nachfolger von ITER errichtet werden und erstmals Strom ins Netz speisen soll, müssen Forscher und Ingenieure dieses und noch etliche weitere Probleme lösen. Deshalb sieht Klaus Hesch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) die Ankündigung Chinas, schon 2040 ein Fusionskraftwerk in Betrieb zu nehmen, sehr skeptisch. »Das Land ist sehr engagiert in der Fusionsforschung, aber selbst wenn es unbegrenzte Ressourcen hätte, wäre 2040 äußerst ambitioniert«, sagt der Sprecher des KIT-Programms »Fusion«.

Neben der Gefäßwand müsse beispielsweise auch der Brennstoffkreislauf funktionieren, sagt Hesch: Die entstehende Heliumasche muss rasch aus dem Plasma entfernt und durch neuen Wasserstoff ersetzt werden, damit die Fusion nicht aufhört. Zudem muss man über einen ausreichend großen Tritiumvorrat verfügen, weil erst damit die Fusionsreaktion effektiv genug ist, um am Ende deutlich mehr Energie zu gewinnen, als für die Heizung hineingesteckt wird.

ITER | Der Fusionsreaktor entsteht in Cadarache in Südfrankreich. Das Bild zeigt die Baustelle im Oktober 2019.

Anders als die zweite Zutat, Deuterium, das aus Meerwasser gewonnen werden kann, kommt Tritium in der Natur jedoch praktisch nicht vor. Mit einer Halbwertszeit von 12,3 Jahren ist es bald verschwunden. Daher soll es mit Hilfe der Neutronen, die im Reaktor entstehen, aus Lithium in der Gefäßwand erbrütet werden. Noch ist unklar, ob das in ausreichender Menge gelingt.

»Die großen Probleme sind bekannt und können durch weitere Forschungsarbeiten gelöst werden«, findet Hesch. »Die eigentliche Aufgabe besteht darin, die einzelnen Lösungen zusammenzubringen und zu schauen, dass sie sich nicht gegenseitig behindern.« Das kostet Zeit, die nicht nur China, sondern alle Fusionsvorhaben aufbringen müssen.

Im Herbst hat auch die britische Regierung ein entsprechendes Programm gestartet. Am Culham Centre for Fusion Energy, das zur nationalen Atomenergiebehörde gehört, sollen Forscher einen Tokamak-Reaktor entwerfen, der in den frühen 2040er Jahren Strom erzeugen soll. Noch schneller wollen verschiedene Start-ups in den USA sein. Sie setzen auf noch ausstehende technische Revolutionen wie leicht zu handhabende Hochtemperatur-Supraleiter, die es ermöglichen würden, Magnete stärker zu machen und Reaktoren kleiner zu bauen.

Klaus Hesch blickt mit gemischten Gefühlen auf derartige Projekte: »Ich denke, dass die eine oder andere Idee das Feld voranbringt, aber viele unterschätzen die Komplexität«, sagt der KIT-Forscher. Wenn trotzdem rasche Fortschritte in Aussicht gestellt werden, dürfte das auch damit zu tun haben, dass die Projekte auf private Geldgeber angewiesen sind, die nicht das Interesse verlieren sollen. Tatsächlich sind laut dem Newsportal »Bloomberg« bereits mehrere hundert Millionen Dollar an Wagniskapital in derartige Vorhaben geflossen. »Was man den Leuten zugutehalten muss, ist ihr Spirit: Wir packen das an und wollen es schaffen«, meint Hesch. »Gerade in der Fusionsforschung, die seit Jahrzehnten läuft, ist das angenehm erfrischend.«

Die Kernfusion als Baustein der Energiewende?

Doch die Kernfusion ist nicht nur ein beliebtes Thema für Privatwirtschaft, sondern auch ein Politikum, zumindest in Deutschland. Die Grünen traten in der Vergangenheit immer wieder als vehementer Gegner der Fusionsforschung auf. Ob die Partei diesen Widerstand aufrechterhält, wo Prognosen doch davon ausgehen, dass der globale Energiebedarf weiter steigen wird? »Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, langfristige Konzepte für die Energieerzeugung technologieoffen zu erforschen«, sagt Stefan Kaufmann (CDU), Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Forschungsausschuss des Bundestags.

Mit dem IPP und Wendelstein 7-X verfüge Deutschland über herausragendes wissenschaftliches Knowhow, das noch wertvoll werden könne. »Die Bundesregierung sollte weiterhin in die Fusionsforschung investieren, um diese Erfolge zu verstärken«, findet Kaufmann. Tatsächlich gibt es bei den Grünen Anzeichen, dass sich die ablehnende Haltung wandelt. »Heute beschreiben wir die Atomfusion unideologischer«, sagte Parteichef Robert Habeck beim Besuch von Wendelstein im Frühjahr 2019. Die Forschung sei faszinierend und sollte vorangetrieben werden. »Es ist grundsätzlich richtig, Alternativen in der Energieversorgung zu erforschen.«

In der Versuchshalle von Wendelstein 7-X geht es derzeit noch um andere Fragen, das kommende Jahr wird dem weiteren Ausbau des Versuchsreaktors gelten. Der Rundgang mit Robert Wolf endet im oberen Teil des Gebäudes, mit einem Blick nach unten auf den gewaltigen Apparat, der ausschließlich der Wissenschaft dient. »Für ein echtes Kraftwerk müsste der Stellarator ungefähr doppelt so groß sein«, sagt der Physiker. Es hätte dann etwa die Leistung eines heutigen Großkraftwerks.

Ob solch eine Maschine je gebaut wird, ist nach wie vor offen, aller Hoffnungen der Forscher zum Trotz. »Die Machbarkeit ist nicht das einzige Kriterium«, sagt IPP-Forscher Wolf. »Am Ende lautet die Frage wie bei allen Energietechnologien: Ist sie zu dem Zeitpunkt, wenn sie genutzt werden soll, wettbewerbsfähig?« Und so dürfte der Erfolg der Kernfusion nicht nur von dem abhängen, was heute in Greifswald und Cadarache geschieht – sondern auch davon, ob sie in 30 Jahren einen Platz neben anderen Energieerzeugern findet, allen voran den erneuerbaren.

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