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Mega-Feuer am Polarkreis: Der andere arktische Klima-Teufelskreis

Tausende Quadratkilometer Torflandschaft brannten im arktischen Sommer 2019. Die Feuer gefährden auch den Permafrost - und könnten dadurch einen sich selbst verstärkenden Prozess in Gang setzen.
Brände in Sibirien

In der Arktis, rund um den Polarkreis, wüteten im Sommer 2019 die wohl größten Brände des Planeten. Vermutlich mehr als 100 Feuer zeigten Satellitenaufnahmen in entlegenen Regionen der sibirischen Tundra – einige von ihnen waren möglicherweise mehr als 1000 Quadratkilometer groß. In der Arktis brennt es immer wieder mal, aber Größe und Zeitpunkt dieser Megafeuer waren sehr ungewöhnlich. Und obwohl die betroffenen Gebiete so abgelegen sind wie kaum eine andere Region des Planeten, betreffen die Auswirkungen der Brände die ganze Welt.

Globaler Klimawandel und arktische Erwärmung sind über mehrere Effekte miteinander verbunden, und große Feuer in den weiten, mit Torf bedeckten Ebenen Sibiriens und Nordamerikas greifen stark in dieses System ein. Einerseits begünstigt der globale Klimawandel Feuer in der Arktis – die enormen Torfmoore werden im Sommer nach und nach immer wärmer und trockener. Gleichzeitig erhöht ein eigentlich wünschenswerter Effekt die Brandgefahr: Durch die steigenden Temperaturen wird die Arktis grüner, Büsche wachsen in der Tundra und binden Kohlendioxid. Die zusätzliche Biomasse bietet Feuern aber auch mehr Nahrung.

Immer mehr Brände in der Arktis

Was Fachleute schon seit langer Zeit vermuten, zeigt sich inzwischen deutlich: Im 21. Jahrhundert brennt es rund um den Polarkreis immer häufiger und wohl auch früher im Jahr. Arktische Feuer brennen normalerweise im Juli und August. Welche Faktoren bestimmen, ob ein Jahr viele oder wenige Feuer in der Arktis bringt, ist unklar, 2019 jedenfalls ist ein Ausnahmejahr. Der Atmosphärenforscher Mark Parrington nennt die Brände »beispiellos«. Der weltweit ungewöhnlich warme Juni sei wohl dafür verantwortlich, dass die Feuersaison diesmal so früh und so heftig eintreffe, spekulieren Fachleute.

Doch die Brände werden nicht nur durch den Klimawandel häufiger, sie verstärken ihn auch – eine positive Rückkopplung, die seit einigen Jahren bereits in Fachkreisen diskutiert wird, doch sich nun möglicherweise zu beschleunigen beginnt. Feuer in der Arktis wirkt auf mehrere Arten auf die globale Temperatur. Zum einen stoßen die großen Feuer sehr viel Kohlendioxid direkt aus; mit 50 Millionen Tonnen CO2 gaben die Brände allein im Juni so viel Klimagas ab wie eine mittelgroße Industrienation in einem ganzen Jahr.

Anders jedoch als Brände in den gemäßigten Breiten erfassen diese Feuersbrünste nicht nur Baum und Busch – in großen Teilen der Arktis bedeckt eine wenige Dezimeter dicke Schicht Torf den Permafrostboden, organische Materie, die sich über Jahrhunderte und Jahrtausende ansammelte. Untersuchungen zeigen, dass normale arktische Feuer diesen Torf meist nur oberflächlich ankokeln, so dass schon bald wieder neues Moos wächst.

Doch je wärmer und trockener die Arktis ist, desto höher ist die Chance, dass diese Torfschichten selbst beginnen zu brennen und dabei ihren gespeicherten Kohlenstoff freisetzen. Allein der Torf der Arktis enthält je nach Schätzungen zwischen 40 und 500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Studien an einem früheren 1000-Quadratkilometer-Megafeuer, dem Anaktuvuk River fire in Alaska, zeigen, dass selbst ein oberflächlich brennendes Feuer große Mengen des im Boden gebundenen Kohlenstoffs freisetzt. Mehr als die Hälfte des abgegebenen Kohlendioxids, so die Schlussfolgerung, kam aus dem Torf.

Teufelskreis am Polarkreis

Der weit größere Teil des arktischen Kohlenstoffs jedoch steckt im Permafrost selbst – und auch dort haben die oberflächlichen Feuer wohl größere Auswirkungen als vermutet. Wie Untersuchungen zeigen, verursachen die Feuer lang anhaltende Temperaturanomalien, die tief in den Boden hineinreichen. Neben der Hitze des Feuers selbst ist dafür vor allem die verkohlte Oberfläche der Brandzone verantwortlich: Sie absorbiert bis zu 70 Prozent mehr Sonnenlicht als unverbrannte Torfflächen.

Das hat Folgen bis tief ins Erdreich. Eine Arbeitsgruppe berichtete auf der Basis von Messungen, dass die im Jahresgang frierende und auftauende Oberflächenschicht im Sommer nicht mehr in bis zu 50 Zentimeter Tiefe auftaut, sondern in bis zu 85 Zentimeter. Zwischen dieser aktiven Schicht und dem tiefen Permafrost bilden sich außerdem Talik genannte Bereiche, die ganzjährig aufgetaut bleiben. Bis zu 20 Jahre nach dem Feuer weitet sich diese Wärmeanomalie im Boden aus, bevor sie sich langsam zurückbildet. Doch mit der voranschreitenden Erwärmung der Arktis ist fraglich, ob die Temperaturanomalie nach dieser Phase überhaupt wieder zurückgeht oder ob jede Feuerepisode eine Art Zwischenspurt im tiefen Auftauen des Permafrosts darstellt.

Indizien deuten darauf hin, dass das der Fall ist und die Feuer den Zerfall des Permafrosts deutlich beschleunigen. Bei diesem Vorgang entsteht eine Landschaftsform namens Thermokarst, eine unebene Sumpflandschaft, die viel Kohlendioxid und Methan aus dem organischen Material im Boden freisetzt. Etwa ein Viertel des in den letzten drei Jahrzehnten verlorenen Permafrosts in Kanada sei durch diesen durch Feuer eingeleiteten Prozess getaut, errechnete 2018 eine Arbeitsgruppe.

Rauch und Ruß ziehen derweil hunderte Kilometer durch die Arktis, setzen sich auf mit Schnee und Eis bedeckten Flächen ab und absorbieren Wärme. Bereits jetzt zeigen Satellitenbilder, dass Meereis und Schnee dunkler sind und dadurch schneller schmelzen. Kommt Wasser oder Boden zum Vorschein, wird das Sonnenlicht absorbiert statt zurückgestrahlt und heizt die ganze Region auf – was wiederum wärmere Sommer, mehr Pflanzenmasse und damit höhere Brandgefahr bedeutet.

Auch in Deutschland sorgten im Sommer 2019 Brände für Schlagzeilen: In Mecklenburg-Vorpommern standen hunderte Hektar Wald in Flammen. Spektrum.de interviewte hierzu den renommierten Feuerökologen Johann G. Goldammer vom Max-Planck-Institut für Chemie in Freiburg, der die Einsatzleitung Anfang Juli mit taktischen Empfehlungen unterstützt hat.

Spektrum.de: Herr Professor Goldammer, wie genau ist es gelungen, den Brand in Mecklenburg-Vorpommern einzudämmen?

Goldammer: Die Einsatzkräfte konnten das Feuer durch Schneisen eingrenzen. Dadurch brannte es im inneren Bereich aus und glüht jetzt noch aus.

 

Drohen dieses Jahr durch die fortgesetzte Dürre im Nordosten noch mehr Waldbrände in der Region?

Ja, und auch in den kommenden Jahren drohen weitere Brände. Auf Grund des Klimawandels und der Veränderung unserer Natur- und Kulturlandschaften müssen wir damit rechnen.

 

Sollten wir deshalb auch unsere Wälder umbauen?

Die Waldlandschaften in Mittel- und Nordeuropa stehen vor einer großen Transformation, die durch den Klimawandel herbeigeführt wird. Auf das gemäßigte, ausgeglichene Klima folgt ein Klima der extremen Ausreißer, das von Wetterextremen beziehungsweise Klimavariabilität bestimmt sein wird: So wie es jetzt schon der Fall ist, werden wir weiterhin häufigere und längere Dürreperioden und Hitzewellen erleben. Dazu kommen Starkniederschläge und extreme Windereignisse. Darauf muss der Wald umgestellt werden.

 

Müsste sich Deutschland besser für große Waldbrände rüsten – etwa mit der Anschaffung von Löschflugzeugen?

Zunächst sollten wir unsere Kultur- und Naturlandschaften in Deutschland umbauen und sie dadurch widerstandsfähiger gegenüber extremen Wetterereignissen machen. Damit lassen sich auch Landschaftsbrände vermeiden. Als zweite Priorität wäre es gut, Kapazitäten im Management von Landschaftsbränden am Boden aufzubauen. Erst dann macht es Sinn, Feuerlöschflugzeuge zu beschaffen oder einzusetzen. Die Diskussion hierzu ist im Gang.

Die Fragen stellte Bea Riebesehl per E-Mail.

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