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Sprachentwicklung: Der kleine Malus eines großen Bruders

In den ersten Lebensjahren hinken Kinder mit älterem Bruder ihren Altersgenossen sprachlich ein wenig hinterher. Bei Kindern mit älterer Schwester zeigt sich ein solcher Effekt nicht.
Neue Situation: ein Geschwisterchen

Kinder mit älteren Geschwistern erreichen in Sprachtests umgerechnet im Schnitt ungefähr drei IQ-Punkte weniger als Gleichaltrige ohne ältere Geschwister. Ein so geringer Unterschied ist praktisch nicht spürbar; dennoch wollten Forscher von Pariser Hochschulen herausfinden, was genau dazu beitragen könnte. Die Gruppe um Psychologin Naomi Havron wertete Daten einer laufenden Langzeitstudie aus, die nach möglichen frühen Einflüssen auf die Kindesentwicklung sucht, und stellte fest: Der Sprachmalus tritt allein bei Kindern mit einem älteren Bruder auf.

Die Familien stammten aus einer Kohorte von rund 2000 schwangeren französischsprachigen Frauen, die zwischen 2003 und 2006 an den Universitätskliniken von Poitiers und Nancy rekrutiert wurden. Zwei Jahre nach der Niederkunft beurteilten die Mütter in einem Fragebogen die Sprachkompetenz ihrer Kleinkinder, und als diese jeweils drei und fünf bis sechs Jahre alt waren, führten Psychologen standardisierte Tests mit ihnen durch. Knapp 900 Kinder waren bis zu diesem dritten Termin dabei, darunter 42 Prozent mit genau einem älteren Geschwister.

Die Kinder mit zwei oder mehr älteren Geschwistern wurden nicht zum Vergleich herangezogen, damit sich deren Effekte nicht vermischten; die vorliegende Stichprobe war zu klein, um beispielsweise nach Altersunterschied zu trennen. Mögliche andere Einflüsse wurden aber kontrolliert, darunter das Geburtsgewicht, die Zahl jüngerer Geschwister, das Alter, Bildungsniveau und Einkommen der Eltern sowie Alkohol- und Drogenkonsum der Mutter und ob sie das Kind gestillt hatte.

Unabhängig von diesen Faktoren entwickelten Kinder mit einer älteren Schwester bis zum Alter von sechs Jahren bessere sprachliche Fertigkeiten als jene mit älterem Bruder. Das Autorenteam spricht von einem »older-brother-effect« und vermutet, dass Schwestern ihren kleinen Geschwistern mehr und besseren verbalen Input geben, weil sie gleichaltrigen Jungs sprachlich im Schnitt ein wenig voraus seien. Eine andere Erklärung: Ältere Brüder lenken womöglich die Aufmerksamkeit der Eltern stärker von den Jüngeren ab, weil Jungs eher zu externalisierendem Verhalten wie Hyperaktivität neigen als Mädchen.

Bei allen Spekulationen warnen Havron und ihr Team davor, zu viel in das Ergebnis hineinzulesen: »Wir haben keinen direkten Beweis dafür, dass sich die Interaktionen zwischen Kindern und ihren älteren Schwestern von denen mit ihren älteren Brüdern unterscheiden oder dass die älteren Geschwister die Interaktionen zwischen Eltern und jüngerem Kind beeinflussen.« Etwaige Effekte der Geschwisterrangfolge könnten sich noch dazu von Land zu Land unterscheiden.

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