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News: Der Stoff, aus dem Erinnerungen sind

Ausdifferenzierte Nervenzellen sind die Bausteine von Nervensystemen, die auf vielfältige Weise Informationen verarbeiten. Auch das Erinnerungsvermögen basiert auf dem komplexen Zusammenspiel von Neuronen. Wissenschaftler haben nun in Versuchen mit Ratten herausgefunden, dass neue Erinnerungen vermutlich frische Nervenzellen benötigen.
Vor über 35 Jahren geriet allmählich ein altes Dogma ins Wanken. Es besagte, dass das Gehirn von ausgewachsenen Säugetieren keine neuen Nervenzellen mehr hervorzubringen vermag. Neuere Forschungen bewiesen jedoch das Gegenteil: In zwei Regionen des erwachsenen Säugetiergehirns werden täglich Tausende von Neuronen geboren, unter anderem in dem hoch komplexen Hippocampus – einer Region, die für das Erinnerungsvermögen zuständig ist. Bislang blieb es aber ein Geheimnis, ob die neu entstehenden Neuronen eine wichtige Rolle bei den Gehirnfunktionen spielen oder sich gefügig den ständigen Mitgliedern des neuronalen Schaltsystems unterwerfen.

Um diese Frage zu beantworten, behandelten Tracey Shors und ihre Kollegen von der Rutgers University in New Jersey Ratten mit Methylazoxymethanol (MAM). Diese Substanz tötet sich teilende Zellen ab und unterdrückt somit auch die Neubildung von Nervenzellen (Neurogenese) im Hippocampus. Die Forscher trainierten diese Ratten zusammen mit normalen Artgenossen auf eine bestimmte Gedächtnisaufgabe, die von der besagten Hirnregion gesteuert wird: Sie setzten die Versuchstiere zunächst einem neutralen Summton aus und reizten – nach einer kurzen Verzögerung – die Augenlider der Tiere. Nach mehreren Durchläufen testeten sie, ob die Ratten auch auf den Summton allein reagierten.

Die Forscher stellten fest, dass die normalen Ratten bereits blinzelten, wenn nur das Geräusch ertönte. Diese Versuchstiere waren somit "schlau" geworden und erinnerten sich an den unangenehmen Reiz. Ihre Artgenossen, die mit MAM behandelt wurden, wiesen jedoch offensichtliche Gedächtnislücken auf. Selbst nach unzähligen Probeläufen zeigten jene Versuchstiere kaum eine Reaktion. Andere Gedächtnisaufgaben, bei denen der Hippocampus nicht beteiligt war, konnten die Tiere dagegen gut bewältigten. Daher schließen die Forscher aus, dass bereits existierende Nervenzellen durch MAM geschädigt wurden.

Demnach kommt den sich entwickelnden Nervenzellen im Hippocampus wahrscheinlich eine entscheidende Funktion zu: Nur wenn diese Hirnregion stetig mit frischen Neuronen versorgt wird, ist sie vermutlich in der Lage, Erinnerungen abzuspeichern. Diese Studie hat eine Frage beantwortet, die seit der Entdeckung der sich neubildenden Nervenzellen ungeklärt blieb, betont der Neurobiologe Rob Malenka der Stanford University. "Dieses Experiment musste dringend durchgeführt werden, und ich bewundere die Forscher, dass sie es nun getan haben."

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  • Quellen
Science now
Nature 410: 314–317 (2001)
Nature 410: 372–376 (2001)

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