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News: Eine Frage der Zeit

Die beeindruckende Vielfalt der Fauna und Flora in den Tropen wartet noch immer auf eine endgültige Erklärung ihres Ursprungs. Konnte sich dort die Lebewelt über Jahrmillionen ungestört entwickeln und sich so zahlreiche Arten ansammeln? Oder entstanden durch - geologisch gesehen - kurzfristige Klimaschwankungen und ein reichhaltiges Nischenangebot schnell neue Arten? Eine südamerikanische Baumgattung weist eher auf die zweite These hin. Doch die erste ist damit noch lange nicht entkräftet.
Für Alfred Russel Wallace war Zeit der entscheidende Faktor: 1878 erklärte der Forscher die reichhaltige Tier- und Pflanzenwelt der Tropen mit dem höheren Alter dieser Ökosysteme gegenüber den gemäßigten Breiten. In den Jahrmillionen hatten sich, so seine Auffassung, zahlreiche Arten ansammeln können. Ein Jahrhundert später bezeichnete Ledyard Stebbins diese Idee als "Museums-Hypothese": Pflanzengemeinschaften, die in den letzten 50 bis 100 Millionen Jahren am wenigsten gestört wurden, konnten den größten Anteil an ursprünglichen Formen erhalten.

Doch diese Idee bekam Konkurrenz von der so genannten Refugialtheorie. Denn viele Wissenschaftler gingen inzwischen davon aus, dass die biologische Komplexität der tropischen Wälder die Entstehung neuer Arten fördert. Das reichhaltige Angebot an Nischen bot Raum für viele Organismen – und die Wechselwirkungen zwischen ihnen eröffneten immer neue Möglichkeiten. Für die Wissenschaftler stand fest: Die große Biodiversität entstand erst während und nach der letzten Eiszeit, als Klimaveränderungen auch in den Tropen vormals zusammenhängende Waldgebiete zersplitterten und Lebensgemeinschaften in Refugien voneinander isolierten.

Alt oder jung? Das war seither die Frage. James Richardson vom Royal Botanic Garden Edinburgh und seine Kollegen betrachteten das Problem nun aus der genetischen Perspektive. Sie wählten die Baumgattung Inga, die mit etwa 300 Arten von Zentral-Mexiko bis Nord-Argentinien vorkommt. Der Hintergedanke der Forscher war schlicht und einfach: Stammt der Artenreichtum aus einer langen, ungestörten Entwicklungsgeschichte, dann haben sich im Laufe der Zeit auch zahlreiche kleine Unterschiede im Erbgut angesammelt. Ist die Aufspaltung jedoch noch relativ frisch, sollten sich die Genome sehr ähnlich sein.

Der Zahl an Mutationen in den untersuchten DNA-Sequenzen zufolge begann Inga erst vor 7,2 bis 1,8 Millionen Jahren, ihren reichen Artenschatz zu entwickeln – je nachdem, mit welcher Mutationsrate anderer Pflanzen die Forscher ihrer Ergebnisse berechneten. Verglichen mit den nach der Museums-Hypothese veranschlagten 100 Millionen Jahren also eine sehr junge Entwicklung. Bedeutete das den Sieg für die Refugialtheorie?

Nicht unbedingt. Eldredge Bermingham und Christopher Dick vom Smithsonian Tropical Research Institute in Panama warnen davor, die Ergebnisse einfach zu übertragen. Denn die Vielfalt der Tropen zeigt sich nicht nur auf Artniveau, sondern auch bei Gattungen und sogar Familien, die schon viel früher in der Erdgeschichte entstanden. Und ähnliche molekularbiologische Analysen bei Tieren hatten gezeigt, dass diese Arten ebenfalls älter sind als das Pleistozän, die Epoche der Eiszeiten.

Die beiden Wissenschaftler schlagen deshalb vor, sich an Stebbins zu halten, der 1974 feststellte: "Viele, wahrscheinlich sogar die meisten Pflanzengemeinschaften sind für einige ihrer Artengruppen Geburtsstätten, während sie für andere Museen darstellen." Also nicht entweder-oder, sondern von beidem ein bisschen.

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