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Ende der COP28: Ein Totenschein ohne Datum

Formulierung hin oder her, am Ende bleibt von der COP28 ein eindeutiges Signal, analysiert Christian Schwägerl: Seit Dubai hat das Geschäft der Erdölproduzenten keine Zukunft mehr.
Ölförderanlagen in Kalifornien

Ein Weltwunder – so kann man das Ergebnis der Weltklimakonferenz von Dubai beschreiben, führt man sich vor Augen, dass zeitgleich im Nahen Osten Israelis und Palästinenser kämpfen, dass in Europa Krieg herrscht, sich in den Meeren rund um China die Konflikte mit Nachbarländern häufen und Venezuela gerade angekündigt hat, einen erdölreichen Teil seines Nachbarlands Guyana zu annektieren.

Dass sich in dieser Weltlage knapp 200 Staaten auf einen Beschluss einigen können, noch dazu auf eine Strategie, an deren Ende eine der wichtigsten Geldquellen der Weltwirtschaft versiegt sein soll, erscheint spektakulär. Trotz Nationalismus, trotz Kämpfen um Ressourcen, trotz des Wiederaufflammens uralter Konflikte ist der bereits tot gesagte Multilateralismus in der globalen Umweltpolitik quietschfidel. Die Staaten sind in der Lage, zwei Wochen friedlich miteinander zu verhandeln und zu einem Ergebnis zu kommen. Sogar eine Sternstunde der Diplomatie brachte die Konferenz, als in den Schlussstunden der US-Unterhändler John Kerry auch im Namen der Regierung Chinas neue Klimaschutzinitiativen verkündete.

Eine Katastrophe – so kann man das Ergebnis der Weltklimakonferenz von Dubai auch beschreiben, führt man sich vor Augen, was im Kampf gegen die Klimakrise jetzt eigentlich nötig wäre. Jenseits einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit betritt die Menschheit eine ihr unbekannte Gefahrenzone. Mit jedem zehntel Grad Erderwärmung wird es schwerer, dass acht, neun, zehn Milliarden Menschen genug Wasser und Nahrung bekommen und dass die Ökosysteme erhalten bleiben, in denen wir und acht Millionen weitere Arten leben.

Die 28. Weltklimakonferenz (COP28)

Vom 30. November bis zum 12. Dezember 2023 treffen sich die Vertreter von Regierungen, Unternehmen und NGOs in Dubai, um zum 28. Mal über den Klimaschutz zu beraten. Alle Infos zur Konferenz finden Sie in unserem Blog und auf unserer Themenseite.

Die Klimaforschung besagt unzweideutig: Um diesseits der 1,5-Grad-Schwelle zu bleiben, müssten die weltweiten Emissionen an Treibhausgasen schon ab dem Jahr 2025 stagnieren, dann deutlich zu sinken beginnen und schließlich zur Jahrhundertmitte hin rasch gen null gehen. Doch einen klaren Fahrplan dafür gibt es auch nach dieser Weltklimakonferenz nicht. Satte 28 Jahre nach der ersten »COP« wurde es am letzten Konferenztag schon als Erfolg gefeiert, dass es zum ersten Mal überhaupt das Ziel einer Abkehr von allen fossilen Energieträgern in ein Abschlussdokument geschafft hat.

Der Anfang vom Ende der fossilen Ära

Erst zwei Tage zuvor hatte Konferenzpräsident Sultan al-Dschaber, oberster Klimadiplomat der Vereinigten Arabischen Emirate und zugleich Chef der nationalen Erdölgesellschaft, einen Vorschlag vorgelegt, in dem nicht einmal davon die Rede war. Selbst nach deutlichen Verbesserungen stellte der Chef der UN-Klimakonvention, Simon Stiell, am Ende des Treffens in Dubai ernüchtert fest: »Wir haben das Zeitalter der fossilen Brennstoffe nicht beendet.«

Ist die COP28 also nur in Sachen Diplomatie und Multilateralismus ein Erfolg, aber ein Fehlschlag in Sachen Klimaschutz? Das hieße, dass die Menschheit mit einem Minimum an Kooperationsfähigkeit gemeinsam auf dem Weg in jene »Klimahölle« ist, vor der viele hochrangige Politiker warnen. Die Konferenz müsste angesichts der riesigen Herausforderung als gescheitert gelten.

Kompromiss gefunden | COP-Präsident Sultan Ahmed al-Dschaber und UN-Klimachef Simon Stiell (rechts) vor der alles entscheidenden Plenarsitzung. Mit einem Tag Verspätung ging danach die 28. UN-Klimakonferenz in Dubai zu Ende.

Ganz so schwarz-weiß muss man das Ergebnis zum Glück nicht sehen. UN-Klimachef Stiell fügte seinem Urteil hinzu, die COP28 sei »aber eindeutig der Anfang vom Ende« der fossilen Ära. Es gibt gute Gründe dafür, dass er Recht hat. Unter dem Vorsitz eines der wichtigsten Ölmanagers der Welt haben die Staaten am letzten Konferenztag doch noch der Wahrheit ins Auge gesehen. Im Abschlussdokument erkennen sie die Einschätzung des Weltklimarats an, dass die CO2-Emissionen spätestens ab 2025 sinken müssen (nachdem sie gerade erst wieder um ein Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind). Dafür werden auch Werte genannt, an denen man Erfolg und Misserfolg wird messen können: minus 43 Prozent gegenüber 2019 bis zum Ende des Jahrzehnts, minus 60 Prozent bis 2035 und netto null bis 2050.

Verdreifachung der Erneuerbaren und massive Effizienzsteigerung

Gemeinsam setzen sich die Staaten das Ziel, bis 2030 die Kapazitäten erneuerbarer Energien zu verdreifachen und die Energieeffizienz massiv zu verbessern. Sie fordern, den Ausstieg aus der Kohlenutzung überall dort zu beschleunigen, wo die Abgase aus Kraftwerken nicht aus der Atmosphäre ferngehalten werden können, etwa indem man sie in Kavernen im Untergrund verpresst. Dieses so genannte Carbon Capture and Storage (CCS) ist in den meisten Weltregionen weder erprobt noch möglich oder bezahlbar, was einem Mandat zum Kohleausstieg gleichkommt. Erneuerbare, Atomkraft, Wasserstoff werden in dem Dokument als Energieträger der Zukunft genannt, nicht aber Erdöl, Erdgas und Kohle.

In diesem Kontext bekam die viel kritisierte Gastgeberrolle der Emirate doch noch eine besondere Bedeutung: Hinter diesen Beschluss können die Ölländer nicht mehr zurück, so sehr die OPEC, die Organisation Erdöl produzierender Länder, auch tönen mag. Das Dokumentenpapier der Vereinten Nationen gleicht einem Totenschein für ihr bisheriges Geschäftsmodell, in den nur noch das Datum eingetragen werden muss. Wollen sie an fossiler Energie festhalten, müssten sie in kürzester Zeit mit hohen Investitionen und ungewissem Ausgang demonstrieren, wie sie gigantische Mengen Kohlendioxid per CCS sicher einlagern oder chemisch neutralisieren können – dass das in diesem Umfang technisch machbar ist, darauf gibt es wenig Hinweise. Dieses Signal aus Dubai dürfte nun deutlicher noch bei all jenen ankommen, die in Fondsverwaltungen und Energiekonzernen über neue Investitionen entscheiden.

Zu den Erfolgen der COP28 zählt auch, dass ein neuer Fonds geschaffen wurde, über den ärmere Länder Entschädigungen erhalten sollen, wenn sie, wie die Pazifikstaaten oder Bangladesch, zunehmend im Meer versinken oder von Dürren und Überschwemmungen hart getroffen werden. Nicht mehr nur die »Natur« als anonyme Macht steckt künftig hinter solchen Katastrophen, sondern menschliche Entscheidungen von heute. Der von Deutschland und den Emiraten begründete Fonds zu »loss and damages« erkennt dies an und schafft einen Mechanismus des zumindest monetären Ausgleichs.

In Belém wird sich zeigen, ob der Peak überschritten ist

Alle diese positiven Punkte zählen freilich nur, wenn der Beschluss von Dubai wirklich als Richtschnur des Handelns dient. Dann wird es keine große Rolle mehr spielen, dass nun als Kompromissformel nicht von einem Ausstieg, sondern von einem »Übergang weg von fossiler Energie« die Rede ist, von einer »transition« statt von einem »phase-out«, wie ihn Umweltschutzorganisationen und ambitionierte Staaten gefordert hatten. Bis zur übernächsten Weltklimakonferenz 2025 in der brasilianischen Stadt Belém haben die Staaten jetzt Zeit, dafür zu sorgen, die Kohlendioxidemissionen zu begrenzen und zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen bis 2030 und 2050 einzuleiten. Mit der COP30 wird die internationale Klimadiplomatie dann endlich in einer Region tagen, die bereits heute massiv von den Folgen von Umweltzerstörung und Erderwärmung betroffen ist.

Ob die nötige Dynamik nun entsteht, ist offen. Noch immer fließen in allen Erdteilen, auch in Europa, gigantische Geldsummen in neue fossile Projekte. Schlüsselfiguren der Fossilwirtschaft wie COP-Präsident Sultan al-Dschaber haben den Hilferuf der pazifischen Inselstaaten, überleben zu dürfen, bisher anscheinend erfolgreich verdrängen können. In wichtigen Ländern, allen voran den USA, drohen Rechtspopulisten die Macht zu übernehmen und Klimaschutz stillzulegen. In der Art eines Diktators werde er 2025 nach einem Wahlsieg seinem Land an seinem ersten Amtstag »drilling, drilling, drilling« verordnen, kündigte Donald Trump kürzlich an. Zudem drohen bei vielen Konflikten – im Nahen Osten, in der Ukraine, rund um China, in Südamerika – Eskalationen, die alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Anfang vom Ende? | Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit Tina Stege und weiteren Delegierten der Marshall-Inseln. Dass die kleinen Pazifikstaaten dem Klimawandel zum Opfer fallen, scheinen manche erfolgreich verdrängt zu haben.

Nicht »too little«, aber trotzdem »too late«?

Angesichts dieser politischen Risiken und der alles überschattenden Klimagefahr reicht es ganz sicherlich nicht, einmal im Jahr im Stil eines Weihnachtsgottesdienstes zusammenzukommen, bei dem man sich die Hände hält und gute Vorsätze formuliert. Erfolgreiche Diplomatie ist schön und gut, aber die Währung der Realpolitik wird in Tonnen CO2-Ausstoß und »parts per million« Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre gemessen.

Im Gegensatz zu Politikfeldern, wo man heute handeln kann oder auch morgen, läuft der Klimapolitik die Zeit davon. »Lebt so, dass wir es auch noch können«, plakatierten junge Menschen in Berlin. Fast möchte man hoffen, bei Entscheidern wäre es einfach noch nicht bekannt genug, dass sich Treibhausgase in der Atmosphäre ansammeln und dort für Jahrhunderte der Erwärmung sorgen. Könnte man sonst, wie es auch die Bundesregierung tut, weiter zögern?

Es droht das ganz reale Szenario, dass die Menschheit zwar mit Hilfe von Konferenzen wie der COP28 endlich das Richtige tut und das Abschlussdokument von Dubai umzusetzen beginnt – aber damit zu spät kommt, um eine katastrophale Erwärmung jenseits der von der Naturwissenschaft definierten Schwellen und weltweites Heulen und Zähneknirschen noch zu vermeiden. Wer es bisher noch verdrängen konnte, kann es immerhin nun im Abschlussdokument von Dubai nachlesen: »Tief gehende, schnelle und dauerhafte Maßnahmen« für den Klimaschutz sind bis 2050 das Gebot jeder einzelnen Stunde.

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