Erneuerbare Energien: Steine sollen Windstrom speichern
Das Industriegebiet in Hamburg-Altenwerder ist kein Ort, an dem man irgendetwas Buntes erwarten würde. Bis man plötzlich vor einer Betonfassade mit poppigem Wandgemälde steht, von dem ein lilafarbenes Mammut-Jungtier grüßt: »Welcome to the new stone age.« Hinter ihm ein gemalter Steinhaufen, der symbolisiert, was ein großer Schritt für die Energiewende werden soll: Steine als Energiespeicher.
Schließlich fallen Wind- und Sonnenenergie bundesweit seit Jahren in weit größeren Mengen an, als die Netze aufnehmen können. Die derzeit verfügbaren Speichertechnologien haben allerdings oft eine begrenzte Kapazität oder sind im großen Maßstab zu teuer. Insbesondere in Norddeutschland müssen immer wieder Windräder heruntergeregelt werden – das nur schleppend ausgebaute Netz kann den Strom nicht aufnehmen.
Statt den Ökostrom zu nutzen, entstehen durch Entschädigungszahlungen jährliche Kosten im dreistelligen Millionenbereich, die der Verbraucher über seine Stromrechnung zahlen muss. Nicht nur aus diesem Grund ist der Ausbau an Speichern – neben dem der Netze – dringend geboten. Auch für die Zeit, in der weder Sonnen- noch Windstrom erzeugt wird, muss die Energie zwischengespeichert werden.
Vulkanischer Schotter soll Wärme speichern
Das Gebäude, auf dem das lilafarbene Mammut prangt, beherbergt tatsächlich einen »Haufen« Steine, sogar einen riesigen: rund tausend Tonnen vulkanischen Schotter, dessen Einzelteile ungefähr so groß wie Kieselsteine sind. Ihr Zweck ist es, Energie in Form von Wärme zu speichern, bei einer Temperatur bis zu 750 Grad Celsius. Die Energie dafür kann aus Prozesswärme stammen oder aus überschüssigem Ökostrom, der in Wärme umgewandelt und bei Bedarf rückverstromt wird.
Der 30-Megawatt-Speicher ist eine Pilotanlage, die das deutsch-spanische Windkraftunternehmen Siemens Gamesa in Kooperation mit der Technischen Universität Hamburg (TUHH) und dem städtischen Versorger Hamburg Energie errichtet hat. Letzterem gehören auch drei Windräder ganz in der Nähe, deren Energie hier bei einem Netzengpass zukünftig eingespeist wird. Die Anlage kann 130 Megawattstunden (MWh) thermische Energie für eine Woche bunkern. In den kommenden Jahren sollen aber, so das Ziel, erheblich größere Anlagen dieser Art gebaut werden, um Energie im Bereich von mehreren Gigawattstunden (GWh) speichern zu können.
»Die innovative Speichertechnologie ermöglicht es uns, große Mengen Energie kostengünstig zu speichern«, sagte der Ingenieur Hasan Özdem anlässlich der Inbetriebnahme des »Mammut-Gebäudes« im Sommer 2019. »Auf diese Weise trägt der elektrothermische Energiespeicher dazu bei, die Erzeugung von Strom und seine Nutzung zeitlich zu entkoppeln.« Das nötige Vulkangestein sei hier zu Lande reichlich vorhanden.
Eine neue Aufgabe für stillgelegte Kohlekraftwerke
Nach Angaben des Leiters für Forschung und Entwicklung bei Siemens Gamesa strebt das Unternehmen an, die Kosten für die Energiespeicherung auf unter zehn Eurocent pro Kilowattstunde zu senken. Das wäre nur ein Bruchteil dessen, was die Speicherung in Batterien koste, und käme zudem ohne kritische oder limitierte Rohstoffe aus. Dabei basiert der Demonstrator zum Teil auf herkömmlichen Komponenten, die neu kombiniert wurden. Überschüssiger Strom wird über eine so genannte Widerstandsheizung und ein Gebläse in einen Heißluftstrom verwandelt.
Am interessantesten sei jedoch die Option, stillgelegte Kohlekraftwerke »kostengünstig zu leistungsfähigen Speichern für erneuerbare Energien umzurüsten«, erklärt Özdem. Dabei könne ein Großteil der Komponenten wie Netzanschluss, Turbinen und Generatoren weiter genutzt werden. Salopp gesagt funktioniert das Ganze so, als würde man die Steine mit Hilfe eines überdimensionalen Föhns aufheizen. Soll daraus wieder Strom werden, wird kalte Luft in den Speicher geleitet. Die nimmt die Wärme der Steine auf und erzeugt über einen Dampfkessel sowie eine serienmäßige 1,5 Megawatt-Dampfturbine samt Getriebe und Generator elektrische Energie. Während die Stromerzeugung also wie in einem gewöhnlichen Kraftwerk geschieht, liegt das Novum in der Gesteinsschüttung als Speichermedium sowie in der Verbindung aus alt und neu.
Das Prinzip klingt nicht besonders kompliziert, aber die Umsetzung im Detail ist doch sehr aufwändig. Allein bis zum Bau dieser Pilotanlage bedurfte es jahrelanger Forschung – etwa um das passende Gestein zu finden.
In großem Stil wirtschaftlich
Das achteckige Gebäude, das den Vulkanschutt mit seinen dafür günstigen Eigenschaften birgt, ist mit einer dicken Isolierschicht ausgestattet. 880 Sensoren überwachen konstant den Zustand des Speichers, vor allem für wissenschaftliche Zwecke. Das Institut für Technische Thermodynamik der Technischen Universität Hamburg (TUHH) erforscht die Grundlagen der Gesteinsschüttung und entwickelt Vorhersagen für die Hochskalierung. »Wir berechnen Effizienz und Wirtschaftlichkeit solcher Speichersysteme mittels Computersimulation«, erklärt Michael von der Heyde von der TUHH. »Die Anlage in Altenwerder dient zur Validierung der Modelle.«
In ihrer kleinen Dimension ist so eine Anlage zwar nicht rentabel, deshalb wird das Projekt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Eine größere Anlage wird dies aber sein. Davon ist nicht nur der deutsch-spanische Betreiber überzeugt, sondern auch der städtische Versorger Hamburg Energie, der sich um entsprechende Vermarktungskonzepte kümmert.
Ingenieure und Forscher testen derzeit die einzelnen Komponenten und ihr Zusammenspiel unter realen Bedingungen. »Wir prüfen zum Beispiel die Strömungsverteilung beim Beheizen«, berichtet Jennifer Wagner, als Chefingenieurin des Windkraftunternehmens für ETES zuständig. »Dabei – wie auch im gesamten Betriebsverlauf – sehen wir, dass unsere Konzepte funktionieren, auch im Hinblick auf eine Hochskalierung.« Das nächste Ziel sei der wirtschaftliche Betrieb so eines Speichers mit einer Leistung von einer Gigawattstunde. Er kann einen Wirkungsgrad von 45 Prozent erreichen; im Demonstrator sind es 22 Prozent. Das Be- und Entladens des ETES dauert jeweils 24 Stunden.
Stabilisierung des Stromnetzes
Grundsätzlich können Speicher auch zur Stabilisierung des Stromnetzes dienen. Steht zu viel Strom zur Verfügung, zum Beispiel weil die Windkraftanlagen auf vollen Touren laufen, nehmen Speicher die nicht benötigte Energie auf und entlasten so das Netz. Umgekehrt stellen sie Elektrizität zur Verfügung, wenn sich ein Mangel an Erzeugerleistung abzeichnet, etwa bei Flaute. Oder sie puffern Bedarfsspitzen. Die ETES-Pilotanlage in Hamburg-Altenwerder ist nach Angaben der Betreiber flexibel genug, um als Sekundärreserve zu dienen: Die Stromerzeugung lässt sich innerhalb weniger Minuten hochfahren.
Bereits jetzt ist der Steinspeicher in das »virtuelle Kraftwerk« von Hamburg Energie eingebunden. Das ist eine digitale Plattform mit einem Energiemarkt, auf dem Angebot und Nachfrage austariert werden sollen. »Um die Energie effizient nutzen zu können, brauchen wir eine speziell angepasste Informations- und Kommunikationstechnologie, die den Handel am Markt mit der Steuerung von Anlagen in Echtzeit verbindet«, erklärt Onnen Heitmann, bei Hamburg Energie für Innovation und Entwicklung zuständig.
Das kommunale Unternehmen hat die unter anderem auf der Blockchain-Technologie basierende Software gemeinsam mit Hochschulforschern entwickelt, um die unterschiedlichsten Energieerzeuger – Windräder, Solar- und Biogasanlagen – sowie Verbraucher und Speicher miteinander zu verknüpfen. »Für die Pilotanlage haben wir ein Leitsystem entwickelt, das den Speicher in den deutschen Energiemarkt integriert«, sagt Steffen Niediek, Produktmanager für Flexibilitätsmanagement beim städtischen Energieversorger.
Das soll die gespeicherte Energie entsprechend der Nachfrage optimal vermarkten – und zusätzliche Dienstleistungen für Kunden bereitstellen. Nicht weit von der Anlage entfernt befindet sich mit dem Aluminiumwerk von Trimet einer der größten Stromverbraucher der Hansestadt. In Zukunft könnte das Unternehmen mit Hilfe eines solchen Speichers nicht nur seine Stromkosten senken, sondern zum Beispiel auch eine »grüne« Produktlinie aufbauen: Den ebenfalls auf Blockchain-Technologie basierenden Ökostrom-Nachweis liefert das «virtuelle Kraftwerk« gleich mit.
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