Direkt zum Inhalt

Evolution: Das weißeste Weiß von Vogelfedern

Waldschnepfen sind unscheinbare Vögel, deren Gefieder optisch mit dem Waldboden verschmilzt. Dennoch halten ihre Schwanzfedern einen unerwarteten Rekord.
Fliegende Waldschnepfe, die ihre weißen Schwanzfedern zeigt
Waldschnepfen sind schwer zu beobachten. Deshalb blieben ihre hellen Schwanzfederenden lange unbeachtet.

Wer sich im März und zeitigen April in der Dämmerung auf Waldlichtungen wagt, kann ein im Allgemeinen wenig bekanntes Naturschauspiel beobachten: den Balzflug der Waldschnepfen (Scolopax rusticola), in der Jagdsprache auch als Schnepfenstrich bezeichnet. Es ist die einzige Möglichkeit, die gut getarnten Vögel leichter als sonst zu sehen, denn ihr Gefieder verschmilzt nahezu perfekt mit dem Waldboden, auf dem sie sich bevorzugt aufhalten. Nur die weißen Enden der Schwanzfedern heben sich von den Brauntönen der Waldschnepfe ab – und offenbaren einen unerwarteten Rekord, wie ein Team um Jamie Dunning von der University of Akron in Ohio im »Journal of the Royal Society Interface« berichtet.

Dieser Teil des Gefieders reflektiert laut den Messungen der Arbeitsgruppe 55 Prozent des einfallenden Lichts: ein Drittel mehr als alle anderen bislang untersuchten Vogelfedern. Selbst die insgesamt ziemlich weißen Raubseeschwalben und das weiße Wintergefieder der Alpenschneehühner reichen nicht an diesen Wert heran, bringen die beiden Arten aber immerhin auf Platz 2 der Reflexionsskala.

Um herauszufinden, wie die Waldschnepfen zu diesem glanzvollen Weiß kommen, entwickelten Dunning und Co ein Computermodell der mikroskopischen Struktur der Federn. Damit berechneten sie, wie die Lichtteilchen vom darin enthaltenen Faserprotein Keratin zurückgeworfen werden. Zudem untersuchten sie, wie die Federn aufgebaut sind: Die einzelnen Federn bestehen demnach aus einem zentralen Stiel mit zahlreichen kleinen Federästchen, die Rami genannt werden und den Großteil der Struktur bilden. Die Ästchen werden durch runde, klettverschlussartige »Widerhaken« zusammengehalten.

In den weißen Schwanzfedern der Waldschnepfe sind die Rami verdickt und abgeflacht, was die Oberfläche vergrößert, an der das Licht abprallen kann. Gleichzeitig verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Licht zwischen den Federwiderhaken hindurchgeht, ohne reflektiert zu werden. Das ist aber noch nicht alles: Die verdickten Federn bestehen aus einem ganzen Netzwerk von Keratin-Nanofasern und verstreuten Lufteinschlüssen. Dadurch entstehen viele Grenzflächen, die das Licht streuen können, was die diffuse Reflexion der Federn weiter erhöht. Außerdem sind die Rami und Widerhaken der weißen Waldschnepfenfedern in einem optimalen Winkel zur Lichtreflexion angeordnet, so dass sie einen jalousieartigen Effekt erzeugen, der die Oberfläche ebenfalls vergrößert. Das Ergebnis ist der Reflexionsrekord.

Und warum das alles? Um während der Balz die Aufmerksamkeit der am Boden ausharrenden Weibchen zu erregen, verlassen sich die Schnepfen nicht nur auf ihre charakteristischen Rufe, das so genannte Quorren. Wenn sie mitten im schummrigen abendlichen Wald optische Signale einsetzen wollen, müssen sie das wenige vorhandene Licht optimal einsetzen. Die hohe Reflexionsfähigkeit ihrer Federn hilft ihnen dabei. Zu sehen sind diese Schwanzfedern nur, wenn die Männchen sie beim Balzflug spreizen oder sie sitzend heben. Sonst halten die Vögel sich am liebsten bedeckt.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.