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Jungfernzeugung: Rochenweibchen hat Sex mit sich selbst

Ein Stechrochen-Weibchen in den USA steht kurz davor, Jungtiere zu gebären – ohne sich mit Männchen gepaart zu haben. Dank eines ungewöhnlichen Mechanismus befruchtete sie wohl ihre eigenen Eizellen.
Kalifornischer Rundstechrochen auf sandigem Meeresboden
Küstennah in flachem Wasser lebend halten sich Kalifornische Rundstechrochen gern über sandigem oder schlammigem Grund auf. Sie praktizieren ungewöhnliche Fortpflanzungsweisen.

Überraschung an der US-Ostküste: Ein Stechrochen-Weibchen, das in einem öffentlichen Aquarium in Hendersonville (North Carolina) lebt, bekommt Nachwuchs – obwohl es sich nicht mit männlichen Artgenossen gepaart hat. Das Tier namens Charlotte sorgt damit weithin für Verwunderung. Im Internet machen Spekulationen die Runde, die Rochendame könnte von einem der kleinen Haie befruchtet worden sein, mit denen sie sich das Becken teilt. Fachleute halten das jedoch für unwahrscheinlich.

Hätte Charlotte tatsächlich mit einem Hai zusammen Nachwuchs gezeugt, wäre das weitaus verblüffender als ein »Löwolf«, ein fiktives Tier mit einem Löwen und einem Wolf als Eltern. Darauf weist Demian Chapman hin, Direktor des Hai- und Rochenschutzprogramms am Mote Marine Laboratory & Aquarium in Florida. Der letzte gemeinsame Vorfahre von Katzen und Hunden lebte vor rund 45 Millionen Jahren. Haie und Rochen dagegen haben sich vor etwa 300 Millionen Jahren evolutionär auseinanderentwickelt.

Es gibt noch eine andere plausiblere Erklärung für Charlottes bevorstehende Mutterschaft: Die Stechrochen-Dame ist vermutlich im Begriff, sich selbst zu reproduzieren. Und zwar mittels Jungfernzeugung, fachsprachlich als Parthenogenese bezeichnet. Das klingt erst einmal höchst ungewöhnlich, kommt tatsächlich aber gar nicht so selten vor. Fachleute kennen rund 80 Wirbeltierarten, die diese Art der Fortpflanzung praktizieren – darunter Amphibien, Reptilien, Fische und Vögel. »Eine ganze Reihe von Hai- und Rochenarten sind bekannt dafür, sich in Gefangenschaft auf diese Weise zu vermehren«, erläutert Chapman, der den ersten bekannten Fall von Parthenogenese bei einem Hammerhai untersucht hat. »Wir haben sogar Hinweise darauf, dass manche Rochen das in freier Wildbahn tun.«

Bevorstehende Premiere

Charlotte, die zu den Kalifornischen Rundstechrochen (Urobatis halleri) gehört, hat bereits einen auffälligen »Babybauch«. Dass sie kurz vor dem Wurf steht, haben Ultraschalluntersuchungen bestätigt. Ihre Spezies ist ovovivipar, das heißt, die dotterreichen Eier werden im Mutterleib ausgebrütet und die Jungtiere schlüpfen noch im mütterlichen Organismus. Charlotte könnte jederzeit gebären, so die Einschätzung der Fachleute. Das Tier wäre der erste bekannte Kalifornische Rundstechrochen, der sich mittels Parthenogenese fortpflanzt, betont Kady Lyons, die als Wissenschaftlerin am Georgia Aquarium arbeitet.

Biologinnen und Biologen wissen nicht genau, warum Parthenogenese bei Tieren stattfindet und was dieses Fortpflanzungsverhalten auslöst. Es gibt verschiedene Mechanismen der Jungfernzeugung; Stechrochen nutzen die so genannte Automixis. Im Körper des Weibchens läuft zunächst eine spezielle Form der Zellteilung ab, die so genannte Meiose. Dabei entstehen Eizellen, die von Spermien befruchtet werden können, sowie zusätzliche Komponenten namens Polkörper, die üblicherweise nicht an der Befruchtung mitwirken. Eizellen und Polkörper enthalten jeweils einen halbierten Chromosomenbestand – also die Hälfte des Erbmaterials, das für einen neuen Organismus benötigt wird. Bei der Automixis verschmilzt an Stelle eines Spermiums einer der Polkörper mit der unbefruchteten Eizelle und es geht ein Embryo daraus hervor. Wie bei der klassischen sexuellen Befruchtung tauschen die beiden Chromosomensätze genetisches Material aus. Die entstehenden Jungtiere sind der Mutter zwar genetisch sehr ähnlich, aber eben keine Klone von ihr. So ist es weiblichen Tieren möglich, Nachkommen zu produzieren, ohne sich mit männlichen Artgenossen gepaart zu haben.

Bei der automiktischen Jungfernzeugung enthalten sowohl die Eizelle als auch der Polkörper, der mit ihr verschmilzt, lediglich Teile des mütterlichen Genoms. Deshalb sind die Nachkommen im Vergleich zur Mutter genetisch verarmt. Das erhöht das Risiko von Erbkrankheiten und Entwicklungsdefekten und macht die Population der Jungtiere insgesamt anfälliger. Parthenogenese birgt deshalb die Gefahr, dass der Nachwuchs weniger robust ist als die Elterngeneration, wie Lyons erläutert. »Man kann sich das wie eine ausgeprägte Form der Inzucht vorstellen.«

Kalifornische Rundstechrochen fallen generell durch eigenwillige Fortpflanzungsweisen auf. Weibliche Tiere paaren sich im Frühjahr mit verschiedenen Männchen und bringen drei bis vier Monate später einen Wurf zur Welt, der mehrere Väter hat. Zudem baden sie ihre Föten in einer nährstoffreichen Körperflüssigkeit, die der Milch von Säugetieren nicht unähnlich ist und den Jungtieren einen Überlebensvorteil verschafft, wenn sie auf die Welt kommen. Bei der Geburt haben die Rochenkinder einen Durchmesser von kaum acht Zentimetern, sind aber bereits in der Lage, für sich selbst zu sorgen.

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