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Chirale Bose-Flüssigkeit: Frustriertes Quantensystem erzeugt neue Form von Materie

Eine »Frustrationsmaschine« erforscht das Verhalten von Materie in sehr exotischen Zuständen. Dabei treten seltsame Phänomene auf, die auch für Quantencomputer interessant sind.
Regelmäßig angeordnete Kügelchen vor blauem Hintergrund strecken sich in die Ferne.
Quasiteilchen mit ähnlicher Energie bilden in der neue Materieform eine überraschend regelmäßige Anordnung.

Bei Versuchen mit speziell angeordneten Halbleitern haben Fachleute eine neue Materiephase entdeckt, die so genannte chirale Bose-Flüssigkeit. Wie das Team um Rui-Rui Du von der Universität Peking berichtet, entsteht die ungewöhnliche Phase in einem »frustrierten« Quantensystem, in dem ein Ungleichgewicht verhindert, dass es einen echten energetischen Grundzustand einnimmt. Dadurch können in solchen Systemen sehr exotische Phänomene auftreten. Laut der Veröffentlichung in »Nature« besteht die chirale Bose-Flüssigkeit aus Elektronen, die bei sehr tiefen Temperaturen einen geordneten Zustand einnehmen, in dem die einzelnen Teilchen über lange Strecken quantenverschränkt sind. Dieser Zustand ist ungewöhnlich stabil und wird weder von Wechselwirkungen mit anderen Teilchen noch von zusätzlichen Magnetfeldern gestört. Das macht die Entdeckung interessant für stabile Datenspeicher für Quantencomputer.

Die Arbeitsgruppe bezeichnet ihre Konstruktion als »Frustrationsmaschine« für Elektronen: Mit ihr lassen sich potenziell viele solcher exotischer Materiezustände herstellen. Sie besteht aus zwei Halbleiterschichten mit unterschiedlichen Eigenschaften. Die obere Schicht enthält dabei freie Elektronen, die untere »Löcher«, also quasi Leerstellen, die sich wie positiv geladene Teilchen verhalten und mit Elektronen kombinieren können. Beide kombinieren sich zu Quasiteilchen, den so genannten Exzitonen. Das Team um Du konfigurierte die Halbleiter so, dass der untere viel mehr freie Löcher enthält als der obere Elektronen. Letztere können also mit mehreren Löchern Exzitonen fast gleicher Energie bilden; dadurch hat das ganze System keinen klar definierten Grundzustand niedrigster Energie, was man als Frustration bezeichnet

Die chirale Bose-Flüssigkeit entsteht, weil diese Elektronen und Löcher gleicher Energie jeweils in Kanälen wandern, in denen alle Teilchen die gleiche Spin-Orientierung haben. Wenn die Arbeitsgruppe das Magnetfeld anlegt, wandern diese Kanäle unterschiedlicher Spin-Orientierung auseinander. Dabei bildet sich die chirale Bose-Flüssigkeit. Diese hat eine Reihe von seltsamen Eigenschaften. Die beteiligten Teilchen sind über recht große Entfernungen quantenverschränkt und ihre gemeinsame Spin-Orientierung ist sehr stabil gegenüber Störungen. Neben der zumindest theoretischen Möglichkeit, dereinst solche Systeme in Quantencomputern einzusetzen, sind diese frustrierten Quantensysteme prinzipiell interessant. Sie sind Sonderfälle, in denen Teilchen auf sehr seltsame Weise wechselwirken. Neue Materiephasen wie die chirale Bose-Flüssigkeit können durch ihre exotischen Eigenschaften womöglich neue Erkenntnisse bringen, wie die subatomare Welt insgesamt funktioniert.

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