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Kooperation: Gefahr von außen fördert den Gemeinsinn

Das eigene Geld zum Wohl der Gruppe einsetzen? Dazu sind viele nur für kurze Zeit bereit. Doch wer sich bedroht fühlt, handelt länger im Interesse der Gemeinschaft.
Eine Bergsteigerin hilft ihrem Kollegen auf den Berg hinauf
In einer bedrohlichen Situation neigen viele Menschen intuitiv dazu, einander zu vertrauen. (Symbolbild)

Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine, nun auch noch Inflation und Wirtschaftskrise: Ständig drohen neue Gefahren. Zu Beginn der Pandemie schienen die Menschen zunächst näher zusammenzurücken und dem Gemeinwohl zuliebe auf eigene Freiheiten zu verzichten. Ein solcher Effekt hält allerdings nicht lange an, wie ein Experiment in »Psychological Science« nahelegt.

Die Forschungsgruppe aus den Niederlanden und der Schweiz hatte mehr als 100 Versuchspersonen zu einem Kooperationsspiel eingeladen. Je drei Personen saßen gemeinsam in einem Raum, aber so voneinander abgeschirmt, dass sie einander weder sehen noch hören konnten. Die Aufgabe bestand darin, mit den eigenen Ressourcen zu haushalten: Jede Person erhielt zu jeder neuen Runde zehn Geldeinheiten und durfte entscheiden, wie viel davon sie in einen Gemeinschaftstopf geben und wie viel sie für sich behalten wollte. Das Geld aus der gemeinsamen Kasse wurde nach jeder Runde automatisch um die Hälfte aufgestockt und dann gleichmäßig an alle drei Gruppenmitglieder ausgezahlt. In der Summe gab es also dann am meisten, wenn alle ihr gesamtes Geld einzahlten. Jedem Einzelnen drohte aber ein Verlust, wenn er selbst mehr einzahlte als die anderen.

Den eigenen Gewinn durften die Versuchspersonen nach dem Experiment behalten: 80 Cent pro Geldeinheit. Es gab insgesamt 60 Runden unter drei verschiedenen Bedingungen: In der einen bekamen die Versuchspersonen während des Spiels – unabhängig von ihren Entscheidungen – Elektroschocks verabreicht, die unangenehm, aber nicht schmerzhaft waren. In der zweiten Bedingung war die Stromstärke noch leicht spürbar, aber nicht unangenehm, und in der dritten gab es gar keine Elektroschocks. Die Reihenfolge variierte, aber die Beteiligten wussten, in welchen Runden Schocks drohten und dass ihre zwei Mitstreitenden stets dasselbe Schicksal erwartete: Alle bekamen gleichzeitig unangenehme Schocks verpasst. Die Forschungsfrage: Verhalten sich die Menschen in so einer Situation kooperativer – auch wenn sie damit nichts gegen die Schocks tun können?

Nur halb so viele Trittbrettfahrer

Eingangs war das tatsächlich der Fall, wie das Team um Maria Lojowska von der Universität Leiden schildert. In den ersten zehn Elektroschock-Runden gaben die Versuchspersonen im Mittel zunächst mehr Geld in den Gruppentopf als in den Runden, in denen nur leichte oder gar keine Schocks drohten. Das Risiko, dass jemand gar nichts in die gemeinsame Kasse gab, halbierte sich in der Schock-Bedingung nahezu, verglichen mit der Bedingung ohne Schocks. Die Wirkung zeigte sich auch in einem langsameren Herzschlag und einer vermehrten Schweißproduktion der Hände. Doch der Effekt verblasste schnell, und die Kooperation sank auf das Niveau der schockfreien Runden.

Das Fazit der Psychologin und ihrer Kollegen: »Bei äußerer Bedrohung kooperieren Individuen länger miteinander als ohne Bedrohung.« Ganz besonders gelte das für diejenigen, die sich auch unter normalen Bedingungen kooperativer verhielten. Andere Experimente hatten bereits gezeigt, dass eine Bedrohung von außen Kooperation fördern kann; allerdings diente sie in diesen Fällen dazu, gemeinsame Ressourcen zu verteidigen, anders als im aktuellen Experiment. Das lasse darauf schließen, dass eine Bedrohung grundsätzlich kooperatives Verhalten fördert.

Die aktuellen Erkenntnisse lassen sich natürlich nur bedingt auf die komplexe Realität übertragen. So verfügte im Labor jede Person über dieselben Mittel, und allen drohten die gleichen Unannehmlichkeiten. Wie die Forschungsgruppe berichtet, ließen andere Studien darauf schließen, dass die Menschen bei ungleich verteilten Ressourcen eher auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren – besonders diejenigen, die mehr zu verlieren hatten.

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