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Zellbiologie: Genschere ohne Schere kann noch mehr

Eine neue CRISPR-Variante spürt den kaum bekannten Wegen der dreidimensionalen Genregulation im Zellkern hinterher - und deckt vorerst einmal ein paar neue Mysterien auf.
Gentherapie

Wer sich nicht auskennt, erkennt im Erbgut unserer Zellkerne erst einmal kaum mehr als ein heillos verwickeltes Knäuel – kein Wunder, wickeln sich hier doch rund drei Meter lange Fäden aus DNA-Spagetti auf kleinstem Raum. Trotzdem müssen die Gene dabei natürlich ständig arbeitsfähig bleiben und abgelesen werden können, und so ist das scheinbar chaotische Genomknäuel in Wirklichkeit hoch organisiert. Hinter die Geheimnisse der Chromosomenordnung kommen Forscher allerdings erst langsam – vor allem fällt es schwer, dabei alle drei Dimensionen zu berücksichtigen, in denen das in der lebenden Zelle stets aktiv und dynamisch verpackte und entpackte Erbgut sich bewegen kann. Helfen beim Verständnis könnte in Zukunft eine angepasste Variante des neuesten Lieblingswerkzeugs aller Molekularbiologen: CRISPR-GO, ein Werkzeug, dessen Einsatzmöglichkeiten ein Team von Biotechnologen im Fachblatt »Cell« vorstellt.

Die Genschere ist in ihrer Version »GO« (kurz für englisch »genome organization«) darauf optimiert, bestimmte DNA-Molekülabschnitte räumlich von einem Teil des Zellkerns in einen anderen umzusiedeln, beschreiben die Forscher. Solche Ortswechsel verändern – ohne dass an den Genen oder ihren Aktivierungssequenzen selbst etwas umgeschrieben wird – die Ablesehäufigkeit gelegentlich deutlich. Forscher vermuten seit einiger Zeit, dass der Zellkern solche räumlichen Verlagerungen von Erbgutabschnitten zur Regulierung der Genaktivitäten nutzt. Mit CRISPR-GO haben Haifeng Wang von der Stanford University und Kollegen dies nun exemplarisch an einigen Chromosomenabschnitten durchexerziert und diese durch die räumliche Veränderung der Struktur erfolgreich kontrolliert umprogrammieren können.

Dem eingesetzten Werkzeug CRISPR-GO haben die Forscher zu diesem Zweck zunächst die Genscheren-Funktion abtrainiert: Es nutzt vor allem die Fähigkeit, bestimmte DNA-Abschnitte durch die von den CRISPR-Leitsequenzen vorgegebenen Genabschnitte gezielt anzusteuern und sich dort festzuhaken. Am Enzym hängt zudem eine Art Anker, der durch einen Schalter – das pflanzliche Hormon Abscisinsäure – aktiviert werden kann. Am Anker befinden sich bestimmte Proteine, die vorgeben, an welche Stelle die angebundene DNA-Schleife gezogen wird: Sie binden an andere Proteine, die nur in den angesteuerten Regionen im Zellkern zu finden sind. Für ihre Versuche steuerten die Forscher so etwa die Telomere, also die Endkappen der Chromosomen, gezielt in bestimmte »Cajal-Körper«. Diese Körperchen sind deutlich umrissene, nicht aber von einer Membran abgetrennte Unterbereiche im Zellkern, über deren Funktion bis dato wenig bekannt ist: Sie enthalten Massen an kurzen snRNA-Abschnitten, die am Umbau anderer RNA-Moleküle sowie der RNA-Komponenten von DNA-Verpackungsproteinen, den Histonen, beteiligt sind – und so womöglich die Aktivität von Genen regulieren helfen. Zudem haben Cajal-Körperchen offenbar mit Wartungsarbeiten an den Telomeren zu tun.

Letzteres bestätigte sich nun in den CRISPR-GO-Versuchen: Wenn die Forscher Telomere aus einem Bereich der Zelle zogen, so verlangsamte die gesamte Zelle anschließend ihr Wachstum deutlich; verlagerten sie die Telomere stattdessen in bestimmte Cajal-Körperchen, trat die Zelle insgesamt aufs Gaspedal. Die Telomere der Chromosomen werden seit Längerem mit Altern, der Lebenserwartung und Krankheiten wie Krebs in Zusammenhang gebracht – und ihre räumliche Position im Zellkern ist dabei offenbar mitentscheidend, konstatieren die Forscher. Auch die Aktivität anderer Gene veränderte sich in ihren Experimenten je nach Adresse des CRISPR-GO-Ankers – etwa wenn Genbereiche in abgegrenzte Zellkernregionen transportiert werden wie die Zellkernkörper der Promyelozytischen Leukämie, in denen ebenfalls ganz bestimmte Regulationsprozesse verstärkt ablaufen. Alle diese Prozesse – und vor allem die dahinterstehenden Steuermechanismen – sind noch weitgehend unverstanden. Mit Werkzeugen wie CRISPR-GO können sie in Zukunft aber besser erforscht werden, hoffen die Forscher.

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