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Homo erectus : Älteste Menschen dachten noch nicht wie Menschen

Das erste weltweit erfolgreiche Modell des Menschen, der Homo erectus, entwickelte sein Gehirn erst allmählich zu einem modernen Denkapparat. Seine frühen Vertreter ähnelten darin noch eher dem Vorfahren von Affe und Mensch.
Schädel von H. erectus

Die ältesten Formen unseres Vorfahren Homo erectus haben aus Afrika heraus die ganze Welt besiedelt. Ihr Gehirn ähnelte dabei aber zumindest am Anfang weniger dem eines modernen Menschen als dem eines Menschenaffen. Dies schließen zumindest Forscher um Marcia S. Ponce de León von der Universität Zürich und Kollegen, nachdem sie Schädel einiger besonders alter Exemplare von H. erectus mit modernsten Verfahren analysiert haben, um die Gehirnstruktur der Hominiden exakter zu modellieren.

Im Zuge der Evolution aus einem gemeinsamen Vorfahren haben sich Gehirnstrukturen von Affen und Menschen unterschiedlich entwickelt: So liegt bei den großen Primaten heute der untere Teil des Sulcus praecentralis, einer auffälligen Furche des Großhirns, im Schädel eindeutig vor der Koronarnaht, der von außen sichtbaren Naht zwischen vorderem Stirnbein und dem sich nach hinten anschließenden Scheitelbein des Schädels. Beim modernen Menschen ist das anders, denn die Hirnwindung wich im Lauf der Menschwerdung nach hinten aus, um Teilen des Frontallappens Platz zu machen, der offenbar wichtiger wurde und zunehmend mehr Platz einnahm. Hier finden sich auch die Hirnregionen, die mit höheren kognitiven Aufgaben betraut sind, etwa Sprachzentren wie das Broca-Areal. Forscher vermuten, dass diese umgebaute Hirnstruktur mit einer größeren kognitiven Leistungsfähigkeit einherging: Ohne die stärker ausgebauten Hirnareale dürften weder Sprache noch das Erfinden und der Bau von allerlei Werkzeug denkbar gewesen sein.

Wo einzelne Areale lagen und wie ausgeprägt sie waren, ist dabei an gut erhaltenen Schädeln sogar noch nach Millionen von Jahren zu erkennen, denn die Furchen hinterlassen Dellen an ihnen. Somit ist es schon seit langer Zeit möglich, Rückschlüsse auf die Gehirnstrukturen längst ausgestorbener Affen, Früh- und Vormenschen zu ziehen. Dabei galt die Schlussfolgerung: Ein Schädel, in dem ein ausgeprägtes Broca-Areal lag, barg wahrscheinlich ein Gehirn, das zu komplexen kognitiven Leistungen fähig war. Klar war dabei, dass afrikanische Vormenschen, die vor 2,8 Millionen Jahren in Afrika lebten, noch kein in dieser Form typisch menschliches Gehirn hatten. Eine ärgerliche Lücke lässt dann ausgerechnet der etwas später erschienene H. erectus, der über einen sehr langen Zeitraum in vielen unterschiedlichen Formen in aller Welt vorkam: Bislang fehlten vor allem Untersuchungen an gut erhaltenen Schädeln dieser Art aus der Zeit, in der der Frühmensch sich als erster Hominide auf den Weg aus Afrika heraus gemacht hatte. Diese Leerstelle füllen Ponce de León und Kollegen nun mit ihrer in »Science« veröffentlichten Studie.

Die Forschenden haben mehrere Fossilien von der Dmanisi-Fundstelle in Ostgeorgien untersucht, unter anderem den berühmten, gut erhaltenen Hirnschädel eines 1,8 Millionen Jahre alten H. erectus. Dabei durchleuchteten sie die Schädelfragmente mit Synchrotronstrahlung genauer als zuvor und modellierten schließlich die Hirnstrukturen in 3-D. Dabei zeigte sich eindeutig: Die Hirnwindungen dieser alten Erectus-Varianten verliefen ähnlich wie die noch früherer Vorfahren; von einer Vergrößerung des Broca-Areals und den daraus resultierenden Gehirnumbauten war nichts zu erkennen. Anders ist dies bei jüngeren Vertretern von H. erectus, die vor weniger als 1,5 Millionen Jahren in Asien gelebt haben: Hier ist der Frontallappen schon umgebildet. Offenbar haben die Umbauten also erst nach den ersten Abwanderungen von H. erectus aus Afrika in den Rest der Welt eingesetzt.

Damit stellen sich neue Fragen nach dem Warum des Gehirnumbaus. Bislang lag die Vermutung nahe, dass ein kognitiv leistungsfähigeres Hirn der Auswanderung des Frühmenschen aus Afrika in die ganze Welt vorausging und vielleicht sogar erst die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass die Art sich auf Wanderschaft begeben hat. Nun ist unklarer als zuvor, welcher Selektionsdruck bei der deutlichen Veränderung des Frühmenschen-Hirns gewirkt hat. Forscher können hier derzeit nur spekulieren. Amélie Beaudet von der Autonomen Universität Barcelona weist in einem Begleitkommentar in »Science« darauf hin, es sei auch denkbar, dass der Umbau der Gehirnstruktur und die erhöhte kognitive Leistungsfähigkeit nicht unmittelbar miteinander verknüpft waren: Womöglich haben sich Schädel und Hirnstruktur zunächst aus anderen, unbekannten Gründen verändert, und erst später haben dann die neu geformten Hirnwindungen in der Evolution durch einen Prozess der Exaptation neue Funktionen übernommen.

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