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News: Ins rechte Licht gerückt

Die Sonnenblume gilt als Paradebeispiel für durch Lichtreiz hervorgerufene Wachstumsbewegungen, den so genannten Phototropismus: Im Verlauf des Tages drehen sich ihre Blüten und richten sich je nach Sonnenstand aus. Doch nicht nur Pflanzen zeigen dieses Phänomen, sondern offensichtlich auch Photorezeptoren im menschlichen Auge. Denn nach der operativen Entfernung einer angeborenen Linsentrübung orientierten sich die Zapfen in der Netzhaut des Patienten schnell in Richtung der hellsten Lichtpunkte neu.
Dicht gepackt reihen sich in der Netzhaut, der lichtempfindlichen Innenauskleidung des menschlichen Auges, die Photorezeptoren aneinander. Etwa 130 Millionen Stäbchen und Zapfen sind hier für das Schwarz-Weiß- beziehungsweise Farbensehen verantwortlich, indem sie das durch die Pupille einfallende und durch die Linse gebrochene Licht einfangen und die Signale über verschiedene Schaltstellen und Nervenfasern in das Gehirn weiterleiten.

Bei Menschen, die am Grauen Star – auch Katarakt genannt – leiden, trübt sich jedoch die gewöhnlich transparente Augenlinse ein. Vergleichbar mit einem Milchglasfenster kann Licht infolgedessen nur noch schwer durch sie hindurchdringen und erzeugt auf der Netzhaut kein scharfes Bild mehr. Der Betroffene sieht unter anderem verschwommen, Helligkeit und Leuchtkraft von Farben nehmen ab. Größtenteils tritt diese Erkrankung erst jenseits des 60. Lebensjahres auf und ist somit auf das Altern des Auges zurückzuführen.

Doch bei dem Mathematiker Peter Doyle vom Darmouth College diagnostizierten Ärzte bereits im Alter von drei Jahren den Grauen Star, der sich infolge eines angeborenen genetischen Defektes ausgebildet hatte. Atropinhaltige Medikamente erweiterten seine Pupillen und produzierten ringförmige, klare Regionen um den eingetrübten Bereich der Linse, mit deren Hilfe er eingeschränkt sehen konnte. Als Harvey Smallman und Donald MacLeod von der University of California Doyles Sehvermögen näher untersuchten, machten sie eine erstaunliche Entdeckung: Versuche mit monochromatischem roten Laserlicht enthüllten, dass seine Augen das Licht als heller und weißer wahrnahmen, wenn es auf die klaren Regionen traf.

Normalerweise hat Licht, das zentral durch die Pupille ins Auge gelangt, eine größere Reizwirksamkeit und ruft eine andere Farbempfindung hervor als peripher hindurchtretendes. Dieser so genannte Stiles-Crawford-Effekt, der nur an die Zapfen gekoppelt ist, spiegelt die Ausrichtung der Photorezeptoren wieder: Bei Erwachsenen mit gesunden Pupillen orientieren sich die Zapfen nach der Geburt in Richtung der Pupillenmitte, wo das Licht am hellsten ist, und verharren das ganze Leben lang in dieser Stellung. Anders hingegen bei Doyle: Dessen Photorezeptoren hatten sich infolge der Atropin-Behandlung auf die größeren, klaren Regionen in jedem Auge ausgerichtet. Sollten die Photorezeptoren womöglich in der Lage sein, sich den hellsten Bereichen der Pupille aktiv zuzuwenden und sich somit neu zu orientieren?

Die Entscheidung Doyles, sich einer operativen Entfernung des angeborenen Grauen Stars zu unterziehen, gab den Forschern die Gelegenheit, ihre Vermutung näher zu untersuchen: Denn durch den Eingriff verschoben sich die hellsten Bereiche in Doyles Pupillen von den Rändern zurück in die Mitte. Und tatsächlich bestätigte sich die These der Wissenschaftler, wie Messungen der sichtbaren Helligkeit von Doyles Pupillen nach dem ärztlichen Eingriff ergaben: Innerhalb von zehn Tagen verschob sich die Ausrichtung der Zapfen im linken Auge um vier Grad, im rechten sogar um 6,5 Grad. Demnach zeigen die Photorezeptoren – wie Pflanzenorgane und -zellen – eine zur Richtung des Lichtes orientierte Krümmung.

Noch sind die biophysikalischen Prozesse unklar, welche die Zapfen zum Phänomen des Phototropismus befähigen. Möglicherweise gibt es aber Parallelen zur Pflanzenwelt: Denkbar wäre, dass sich das Proteinskelett der Photorezeptoren unterschiedlich ausdehnt – ähnlich den verstärkt wachsenden pflanzlichen Zellen auf den schattenzugewandten Seiten des Stängels. Wenn dies zuträfe, wäre der Vergleich mit den Sonnenblumen, die sich stets der Sonne zuwenden, durchaus angebracht.

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