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Toxikologie: Insektenkiller braucht Adjutant

Mensch und Insekt haben einiges gemeinsam - zum Beispiel, dass es ihnen ohne gesunde Darmflora gar nicht gut geht. Die Ausnahme bilden Kerbtiere, die Giftanschläge nur in völliger Keimfreiheit überstehen können.
Der erste wirklich publikumswirksame Auftritt war im 34. Jahr der Herrschaft von Japans Kaiser Meiji und erzeugte mehr als Missfallen. Damals, 1901 nach westlicher Zeitrechnung, war wieder einmal etwas in die Seidenraupenzucht eingedrungen und hatte gewütet, wie es der Natur eines hemmungslosen Insektenschädlings entspricht. Diesmal aber ergründeten Untersuchungen japanischer Forscher endlich den Killer der wertvollen Zuchtraupen – ein bodenlebendes Bakterium, das den Namen Bacillus thuringiensis erhalten sollte.

Maiszünsler | Der unscheinbar grau-braune Schmetterling Ostrinia nubilalis ist ein Hauptziel der Gentechnologen, die Mais mit Bt-Toxin-Genen ausstatten. Dem Anfang des letzten Jahrhunderts aus den USA eingeschleppten Maiszünsler ist nämlich mit herkömmlichen Mitteln nur schwer beizukommen. Er kann Ernteausfälle von bis zu dreißig Prozent verursachen.
Ein Jahrzehnt darauf sahen deutsche Forscher um Ernst Berliner die Ursache seiner Tödlichkeit, ohne sie allerdings zu erkennen: einen für manchen Sechsbeiner, nicht aber für andere Tiere oder den Menschen giftigen Kristall. Das Bakterium, später dann nur sein ominöses "Bt-Toxin", ist seit dieser Zeit zum Wohle der Menschheit gegen Insektenschädlinge in Stellung gebracht worden, mit immer weiter verfeinerter Methodik. Heute ist es ein bereits alternder Star der Grünen Gentechnologie, denn es war das Bakterienerbgut zur Produktion des Bt-eigenen Insektizids, das Genetikpioniere als erste mit einigem Erfolg in Pflanzen eingebaut hatten, um diese resistent gegen Insektenfraß zu machen. In Deutschland sind, Stand 2006, fünf gentechnisch mit Bt-Toxinen aufgerüstete Maissorten zugelassen.

"Auf Annahmen basierende Annahmen erklären die Wirkung des Bt-Toxins: ein wissenschaftliches Kartenhaus"
(Jo Handelsman)
Zu Recht musste vorher der gentechnisch veränderte Mais, erstmals genehmigt in den USA 1996, unzählige Prüfverfahren absolvieren – seine Auswirkungen auf Nutzinsekten und Kleinstorgansimen wurde untersucht, die Verweildauer der Insektizide im Boden analysiert, die Entwicklung von Resistenzen in den Schädlingen argwöhnisch überwacht. Und während die Diskussion zwischen Gegnern und Befürwortern vor sich hinsimmert, um ab und zu mal wieder hochzukochen, kommt nun Jo Handelsman und sagt, dass bislang eigentlich niemand weiß, wieso das althergebrachte Gift überhaupt giftig ist.

Reine Provokation? Alle bisherigen Hypothesen zum Thema, so der Wissenschaftler von der Universität von Wisconsin, seien nicht mehr als gelehrte Spekulationen; wissenschaftlich fragile Kartenhäuser ohne Fundament, die historisch tradiert immer wieder voneinander abgeschrieben wurden, bis sie – was jeder seit Jahren sagt, kann ja nicht falsch sein – als richtig galten. Und so stehe in Lehrbüchern heute eben, dass das Bt-Toxin die Darmwand von Insekten zerstöre, was zwei Varianten von Folgen haben könne: Die Bt-Bakterien dringen in die Körperhöhle der vergifteten Insekten vor und verursachen dort eine Art Blutvergiftung. Oder die vergifteten Kerfe verhungern schlicht, weil der durchlöcherte Darm keine Nährstoffe mehr aufnehmen kann? Oder vielleicht beides, ein wenig.

"Die Bedeutung der Mikroben-Gemeinschaft wurde unterschätzt"
(Jo Handelsman)
Handelsmans Team hat nun einmal genauer hingeschaut und sich dabei eine feste, vor allem aber fundierte Meinung gebildet. Dazu haben die Forscher zunächst einmal die natürliche Bakterienfauna im Darm von Raupen des Schwammspinners per Antibiotika abgetötet. Diese darmentleerten Tiere traktierten die Wissenschaftler dann mit Bt-Keimen, eine im Normalfall für die Insekten tödliche Begegnung. Tatsächlich aber überlebten die keimfreien Schwammspinner den Gifteinsatz folgenlos. Dies allerdings nur, bis ihnen ein Bakterienersatz in Form der Mikrobe Enterobacter verabreicht wurde, die den Darm flächendeckend rekolonialisierte: Kurz darauf starben die Insekten wieder, wie gehabt, am noch vorhandenen Bt-Toxin.

Entscheidend ist also nicht die Präsenz von Bacillus thuringiensis selbst – ohne zusätzliche Darmflora-Assistenz kann der Raupentod nichts ausrichten. Dies liegt offenbar daran, das Bacillus jenseits der von ihm gestanzten Löcher im Darm nicht so recht gedeiht: Ganz im Gegensatz zu Enterococcus, einem natürlichen Insektendarmbewohner, oder gar E. coli, der normalerweise im Darm des Menschen lebt, kann der Bacillus sich in der Hämolymphe der Raupen nicht schnell vermehren.

Die Bedeutung der Mikroben-Gemeinschaft wurde also unterschätzt, schließt Handelsman – erst die natürlicherweise im Darm lebenden Keime richten sich gegen ihren Wirt; sie verursachen letztlich per Blutvergiftung den Tod von Insekten, deren Darm von Bt-Toxin angegriffen worden ist. Wer weiß, vielleicht ermöglicht diese Erkenntnis einmal, noch wirksamere Waffen gegen bestimmte Insektenarten zu schmieden. Und wenn das so schnell nicht klappt, hat Handelsman wenigstens solidere Fundamente unter ein Lehrbuchwissen-Kartenhaus zementiert.

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