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Kunststoffmüll: Spur im Rätsel um widersprüchliche Mikroplastik-Studien

Experimente mit winzigen Kunststoffteilchen fördern in Studien immer wieder verschiedene Ergebnisse zu Tage, selbst wenn die Partikel augenscheinlich gleich sind. Jetzt zeigt sich, woran das liegen könnte.
Eine Hand hält eine Lupe, darunter zu sehen eine andere Hand mit bunten kleinen Stückchen von Mikroplastik. Im Hintergrund Sand
Erst beim Blick auf die Details zeigt sich, wie sich Mikroplastikpartikel voneinander unterscheiden.

Die Oberflächenladung von Mikroplastikteilchen bestimmt darüber, ob sie mit den Zellen eines Organismus in Wechselwirkung treten oder nicht. Das hat eine Forschungsgruppe der Universität Bayreuth ermittelt. Die Ergebnisse könnten erklären, warum Studien zur Wirkung von Mikroplastik auf Zellen sich oft widersprechen.

Als man 1972 erstmals winzige Plastikteilchen im Ozean wissenschaftlich dokumentierte, hatte man noch keine Vorstellung davon, dass es 50 Jahre später keinen Ort auf der Erde mehr geben würde, der frei von solchem Mikroplastik ist – egal ob in der Tiefsee oder in der Antarktis. Mikroplastik bezeichnet jegliche Kunststoffpartikel, die kleiner als fünf Millimeter sind. Sie werden entweder in dieser Größe produziert oder entstehen, wenn sich größerer Plastikmüll zersetzt oder kleine Bruchstücke von Plastikprodukten als Abrieb in die Umwelt gelangen. Unweigerlich kommen Organismen dort mit den Partikeln in Kontakt und nehmen sie über die Nahrung sowie die Atemorgane auf.

Was dann geschieht, war zunächst nicht klar. »Lange hat man nicht gewusst, ob Zellen in der Lage sind, Mikroplastik aufzunehmen. Mittlerweile weiß man: Die zelluläre Aufnahme von Mikroplastikpartikeln ist in Abhängigkeit der Partikeleigenschaften möglich«, sagt die Biologin Anja Ramsperger von der Universität Bayreuth. Wie die Kunststoffpartikel dann mit den Zellen interagieren, bestimmt darüber, ob die Teilchen dem Organismus schaden können oder nicht. Doch die zahlreichen Studien weltweit, welche die Effekte dieser Mikroplastikpartikel bisher untersucht haben, lieferten oft widersprüchliche Ergebnisse.

Mit einem internationalen Team hat sich Ramsperger jetzt genauer angeschaut, woran das liegen könnte. Dazu nahmen sie das Material unter die Lupe, das den meisten Untersuchungen zu Grunde liegt. In etwa 80 Prozent aller Studien zu den Auswirkungen von Mikroplastik werden für die Experimente als Modell-Mikroplastikpartikel Polystyrolkügelchen genormter Größe und Form verwendet. Entsprechend den Angaben der diversen Hersteller sind diese Polystyrolkügelchen augenscheinlich identisch. Die Bayreuther Fachleute wiesen jetzt nach, dass das so nicht stimmt.

Gleiches Material, unterschiedliche Eigenschaften

Sie untersuchten dazu Partikel von acht verschiedenen Herstellern, die den Angaben nach gleich sein sollten. Dabei zeigte sich, dass sich deren Zetapotenzial, das mit der Oberflächenladung eines Partikels in Zusammenhang steht, je nach Hersteller unterschied. Zwar bestanden alle Polymerkügelchen aus demselben Kunststoff, genau wie angegeben. Die Oberflächeneigenschaften der Partikel unterschieden sich jedoch signifikant. »Jedes der acht augenscheinlich identischen Polystyrolkügelchen wies, einfach gesagt, eine andere Oberflächenladung auf. Diese bestimmt letztlich, wie die Partikel mit Zellen interagieren« erklärt Christian Laforsch, Professor für Tierökologie an der Universität Bayreuth, der die Studie initiiert hat.

Mikroplastikkügelchen | Zwei nominell identische Mikroplastikpartikel verschiedener Hersteller. Bei detaillierter Betrachtung unterscheiden sie sich deutlich voneinander, etwa in Oberflächenbeschaffenheit und elektrischer Ladung. Das hat Einfluss darauf, wie die Partikel mit Zellen interagieren.

Partikel mit einem hohen Zetapotenzial – was beispielsweise bei einer stärkeren negativen Ladung auftritt – traten vermehrt mit Zellen in Wechselwirkung und wurden häufiger von diesen aufgenommen. »Widersprüchliche Ergebnisse in den Experimenten könnten daher ihren Grund auch in diesen Unterschieden haben«, erklärt Simon Wieland, einer der Erstautoren der Studie.

Ramsperger geht noch weiter. »Ein weiteres Problem ist, dass diese Modellmikropartikel so in der Umwelt nicht vorkommen. Plastikteilchen in der Umwelt interagieren mit dieser und altern durch biologische und physikalische Prozesse. Dabei bildet sich eine Schicht aus Biomolekülen, man spricht von Ökokorona.« Um der Realität etwas näher zu kommen, beschichtete das Team also die Partikel mit einer solchen Ökokorona. Die so veränderten Teilchen interagierten im Experiment deutlich stärker mit den Zellen als jene, die frisch aus der Fabrik kamen.

Laforsch betont, auch mit dem heutigen Wissen könne man nicht allgemein sagen, ob Mikroplastik schädlich sei oder nicht: »Das hängt von den vielfältigen chemischen und physikalischen Eigenschaften der Partikel wie Größe, Form oder Oberflächenbeschaffenheit ab.« Neben den eigentlichen Polymeren, den Hauptbestandteilen der Kunststoffe, bestimmen außerdem zugesetzte Additive über deren Eigenschaften.

Mikroplastikteilchen seien einfach zu unterschiedlich, als dass man allgemein gültige Aussagen treffen könne, sagt Laforsch – wie an der aktuellen Studie zu sehen ist, gilt das sogar für ein und denselben Polymertyp derselben Form und Größe. Immerhin hat man nun aber erste Anhaltspunkte, wann die Partikel verstärkt mit den Zellen im Organismus wechselwirken.

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  • Quellen

Wieland, S., Ramsperger, A.F.R.M., Gross, W. et al. Nominally identical microplastic models differ greatly in their particle-cell interactions. Nat Commun 15, 922 (2024).

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