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Kuriose Kontinentkollision: Wie das Erdbeben von Kreta entstand

Das Erdbeben von Kreta geht auf einen paradoxen Effekt zurück. Dort prallt Afrika gegen Europa - doch statt die Insel zusammenzudrücken, zerrt der Kontinent sie nach Süden.
Eingestürzte Kirche auf Kreta nach einem Erdbeben im September 2021.

Das Erdbeben der Stärke 6,4 östlich von Kreta ist paradox. Es fand in einer Kollisionszone statt, an der zwei Erdteile unaufhaltsam gegeneinanderpressen – und dennoch war die Ursache der Erschütterung keineswegs Druck. Im Gegenteil. Tatsächlich zeigen Messdaten weltweit, dass die Erde bebte, weil sie über ihre Belastungsgrenze hinaus auseinandergezogen wurde. Hinter dem scheinbaren Widerspruch steckt die komplexe Geologie der bogenförmige Kette von Inseln am Südrand der Ägäis, zu der auch Kreta gehört. Dort trifft die Erdkruste des von Süden heranwandernden afrikanischen Kontinents auf Europa – genauer gesagt auf die Ägäische Erdplatte, in deren Rand auch das Erdbeben stattfand. Bei dem gigantischen Zusammenstoß wurde ein uraltes Gebirge gepresst, zerbrochen und schließlich im Meer versenkt.

Der Schlüssel zur Entstehungsmechanismus ist allerdings, dass die Gesteine der Afrikanischen Platte versinken. Sie sind schwerer als das Material, aus dem Kreta und die umliegende Erdkruste aufgebaut sind. Der Zusammenstoß hebt die Vorderkante der Ägäischen Platte an und bildet einen Inselbogen von den Ionischen Inseln im Westen über Kreta bis nach Rhodos im Osten, während afrikanische Gesteine daruntergleiten und dann in den Erdmantel abtauchen. Man bezeichnet diesen Prozess als Subduktion – er läuft an vielen Orten der Welt ab und verursacht die stärksten bekannten Erdbeben. So zum Beispiel das große Tohoku-Beben in Japan 2011 oder das Sumatra-Andamanen-Beben 2004. Auch auf Kreta gibt es Hinweise auf solche Subduktionsbeben in historischer Zeit.

Wie Afrika an Europa zerrt

Doch das Erdbeben vom 12. Oktober zählte nicht zu diesen Beben, bei denen die Gesteine zweier Erdplatten bis zum Zerbrechen gegeneinandergedrückt werden. Im Gegenteil, die Afrikanische Platte zieht die Gesteine, auf denen Kreta ruht, mit gigantischer Kraft nach Süden. Das erscheint angesichts der unaufhaltsamen Wanderung Afrikas nach Norden zuerst einmal widersinnig, hat aber einen ganz einfachen Grund. Die afrikanischen Gesteine tauchen sehr steil ab und sinken schneller in den Erdmantel, als sie unter den europäischen Kontinent geschoben werden. Dadurch öffnet sich eine Lücke zwischen den beiden Kontinenten, in die Kreta und der gesamte Rand der Ägäischen Platte hineinrutschen.

Das hat dramatische Folgen für die Ägäische Platte. Der Vorgang zerrt die gesamte Erdplatte dahinter auseinander wie ein Stück Pizzateig. Das ist auch der Grund, weshalb Griechenland und Kleinasien überhaupt durch ein Meer getrennt sind. Eigentlich ist dort ein uraltes Gebirge. Doch die Erdkruste dort ist nun so dünn, dass sie unter dem Meer liegt und die Gipfel die Kykladeninseln zwischen Griechenland und der Türkei bilden. Am stärksten gedehnt wird jedoch der vordere Rand der Erdplatte, der bei dem Versuch, mit der absinkenden Afrikanischen Platte Schritt zu halten, in einem großen Bogen nach Süden gezogen wird. Und dieser Bogen, auf dem Kreta liegt, wird dadurch immer länger und länger. Das alte Gebirge am Rand der Ägäischen Platte ist deswegen von unzähligen, grob in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Verwerfungen durchzogen, an denen die Gesteine sich ruckartig gegeneinander verschieben, wenn die Dehnung wieder einmal zu stark wird. So wie es jetzt wieder geschah.

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