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Archäologie: Makabrer Knochenbrauch aus der Bronzezeit

Heute lassen uns die Knochen der Verstorbenen vor allem gruseln. Vor ein paar Jahrtausenden sah das offenbar noch ganz anders aus, zeigt nun eine neue Studie.
Menschlicher Oberschenkelknochen, der möglicherweise als Flöte diente (Fundort Whiltshire bei Stonehenge)

Die fernen Vorfahren der Briten haben offenbar die Knochen ihrer Ahnen verehrt und diese jahrzehntelang aufbewahrt. Das jedenfalls folgern zwei Wissenschaftler aus verbesserten Radiokarbonanalysen, mit denen sie das Alter archäologischer Funde aus England präzisiert haben. In 23 von 55 Gräbern aus der Bronzezeit (2200 bis 800 v. Chr.) wurden demnach Knochen bestattet, die Jahrzehnte älter sind als andere Gegenstände im selben Grab, berichten Thomas Booth vom Francis Crick Institute in London und Joanna Brück vom University College Dublin im Fachmagazin »Antiquity«.

Aus Sicht der Archäologen lässt sich das am besten erklären, wenn die Knochen eine kulturelle Bedeutung für die Menschen der damaligen Zeit hatten: Vermutlich habe es sich um die Überreste der unmittelbaren Vorfahren gehandelt oder die wichtiger Würdenträger des Stamms, an die man sich auch nach Generationen noch erinnerte. Möglicherweise habe man den Überresten der Verstorbenen besondere Kräfte zugeschrieben und einen positiven Einfluss auf sein Leben erhofft, spekulieren die Forscher. Denkbar sei aber auch, dass man vor allem die Gebeine von Widersachern ausstellte.

Die jeweiligen Bräuche dürften sich generell je nach Gruppe und Zeit stark unterschieden haben. In einer Bronzezeit-Fundstätte nahe der englischen Gemeinde Ingleby Barwick hat beispielsweise jemand zwei deutlich ältere Schädel in das Grab einer Frau gelegt. Eine in Cambridgeshire bestattete, von einem Schwert beschädigte Schädelplatte ist dagegen nicht merklich älter als im selben Grab beigelegte Tierüberreste – entsprechend dürfte das Schädelfragment allenfalls einige Monate oder Jahre als Trophäe oder Mahnmal gedient haben.

Bei manchen Knochen scheint dagegen schon die Form die These der Forscher zu untermauern. Dazu zählt vor allem ein abgebrochener Oberschenkelknochen aus einem Grab in Wilsford in der Nähe von Stonehenge. Er erinnert stark an eine Flöte – folglich könnte es sich um eine Art Musikinstrument gehandelt haben, glauben Archäologen. Generell legt die Studie nahe, dass der Abscheu vor menschlichen Knochen eine moderne Erfindung ist: Bei unseren fernen Vorfahren haben sie möglicherweise sogar positive Gefühle ausgelöst.

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