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Meteorologie: Antarktische Hitzewelle für die Geschichtsbücher

Im März 2022 suchte eine außergewöhnliche Hitzewelle die Antarktis heim. Teilweise lagen die Temperaturen um 40 Grad Celsius höher als üblich. Nun kennt man die Gründe.
Antarktis
Lange konnten sich große Teile der Antarktis weitgehend der globalen Erwärmung entziehen. Doch inzwischen zeigen sich auch hier die Folgen.

Minus 9,4 Grad Celsius maßen die Temperatursensoren am 18. März 2022 an der italienisch-französischen Concordia-Forschungsstation in der Ostantarktis: ein absoluter Rekordwert für diesen Ort in mehr als 3200 Meter Höhe und 950 Kilometer Entfernung von der Küste. Die höchste dort zuvor gemessene Temperatur zu dieser Jahreszeit lag bei frostigen minus 27,6 Grad Celsius. Ausgelöst wurden die vergleichsweise milden Bedingungen durch ein meteorologisches Phänomen, das ein Team um Jonathan Wille von der ETH Zürich analysiert hat und im »Journal of Climate« beschreibt: Die Hitzewelle betraf ein Gebiet, das der Fläche Indiens entspricht, und sie sorgte dafür, dass stellenweise die Temperaturen sogar 30 bis 40 Celsius über den langjährigen Mittelwerten lagen.

Verursacht wurde die Anomalie durch eine komplexe Fernwirkung zwischen den Tropen und dem Südpol, an der mehrere klimatische Einzelereignisse beteiligt waren. 2022 herrschte noch La Niña im Pazifik, was dazu führte, dass im Bereich der indonesischen Inseln stark erwärmte, feuchte Luftmassen aufstiegen. Gleichzeitig bildeten sich vor der südafrikanischen Küste im Indischen Ozean starke Tiefdruckgebiete, die sich ostwärts bewegten. Daraus entwickelten sich insgesamt zwölf tropische Stürme im Februar und März 2022, von denen fünf sogar noch zu Wirbelstürmen heranwuchsen, obwohl es bereits sehr spät für die damalige Saison war.

Hitze und Feuchtigkeit mehrerer Sturmgebilde vermengten sich und wurden vom zu der Zeit stark mäandrierenden Jetstream über der Südhalbkugel aufgenommen und rasch über eine große Distanz in Richtung Antarktis transportiert. Parallel dazu hatte sich südlich von Australien ein intensives, so genanntes blockierendes Hoch etabliert: Es verhinderte, dass sich die Luftmassen mit der Westwinddrift weiter in Richtung Südamerika bewegen konnten. Stattdessen entstand ein intensiver atmosphärischer Fluss, der die feuchtwarme Luft bis tief hinein in die Antarktis trieb: Noch nie zuvor hatten Wissenschaftler einen derartig starken Zustrom an ursprünglich tropischen Luftmassen bis in die zentralen Bereiche der Antarktis beobachtet.

Das Ereignis sorgte dafür, dass das Conger-Eisschelf am 15. März 2022 endgültig zerfiel: Es bestand zu diesem Zeitpunkt nur noch aus einem 50 Kilometer langen und 20 Kilometer breiten Eisstreifen, nachdem es bereits seit den 1970er Jahren zunehmend in einzelne Eisberge zerbrach. Sonst hielten sich die Folgen für die Antarktis allerdings in Grenzen, wie die an der Studie beteiligte Wissenschaftlerin Dana Bergstrom von der University of Wollongong auf »The Conversation« schreibt – dank der Jahreszeit mit zunehmend längeren Nächten und sinkenden Temperaturen.

Während es an der Küste noch regnete und Eis schmolz, fielen die intensiven Niederschläge weiter landeinwärts als Schnee, der sich auf dem Eisschild ablagerte. Insgesamt, so kalkulierte das Team, überwog diese Menge an Schnee den Eisverlust durch Schmelze während des gesamten vorherigen Jahres. Es müsse aber nicht immer so glimpflich ablaufen, sagt Bergstrom: Im Sommer hätten die Folgen für die Gletscher und Eisschelfe deutlich schlimmer sein können.

Bislang galten derartige Extremwetter in der Antarktis als Jahrhundertereignisse. Die Arbeitsgruppe kalkulierte jedoch anhand von Modellen, dass diese mit fortschreitender Erderwärmung häufiger werden dürften. Nach den Beobachtungen vom März 2022 können sie zum Zerfall von Schelfeis beitragen. Dieses stabilisiert allerdings die dahinter liegenden Gletscher, die ohne ihre Barrieren schneller ins Meer strömen und dort Eis verlieren – was die Meeresspiegel steigen lässt. Ein Albtraumszenario für Bergstrom wäre es denn auch, wenn ein derartig massiver Warmlufteinbruch im Sommer auf das Schelfeis vor dem Thwaites-Gletscher treffen würde: Wegen seiner gewaltigen Eismassen und ihren Folgen für die globalen Pegel heißt er nicht umsonst auch »Doomsday Glacier«.

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