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Evolution: Uralte Verbindung zwischen Mikrobiom und Nervensystem

Signalstoffe des Mikrobioms wechselwirken mit Neuronen und verändern so direkt das Verhalten von Süßwasserpolypen. Vermutlich ist diese Beziehung so alt wie das Nervensystem selbst.
Eine Ansammlung quietschbunter Bakterien in allen Formen und Farben.
Auf allen Tieren und Pflanzen leben komplexe Bakteriengemeinschaften, die weit reichende Auswirkungen auf die Lebensweise haben können.

Das Mikrobiom, also die Bakterien, die auf und in uns leben, beeinflusst unsere Gesundheit, unser Wohlbefinden und auch unser Verhalten. Und diese Beziehung reicht vermutlich bis zum Anfang der Evolution zurück. Das legen Experimente nahe, laut denen Bakterien das Nervensystem einfacher Tiere direkt manipulieren. Das Team um Christoph Giez von der Universität Kiel hat sich das Fressverhalten von Süßwasserpolypen (Hydra) angeschaut. Es fand heraus, dass Bakterien auf ihrer Oberfläche Moleküle produzieren, die wiederum auf jene Nervenzellen Einfluss nehmen, die am Fressvorgang beteiligt sind. So könne ein Bakterium durch sein Stoffwechselprodukt sogar das Öffnen des Mundes komplett blockieren, schreiben die Autoren in der Fachzeitschrift »Current Biology«.

Giez und sein Team untersuchten, wie das recht einfache Nervensystem des nur etwa einen Zentimeter großen Polypen dessen Fressverhalten steuert – und welche Rolle dabei Bakterien spielen. Die Gattung Hydra ist dafür gut geeignet, weil die kleinen Tiere nur relativ wenige Neurone und ein kleines Mikrobiom haben. Die Arbeitsgruppe ließ die Hydren zuerst steril aufwachsen, also ohne ihr normales Mikrobiom – mit dem Ergebnis, dass sich der Mund der Tiere auf das Futtersignal Glutathion hin sehr viel kürzer öffnete. Stellten die Fachleute die normale Bakterienbesiedelung wieder her, normalisierte sich das Verhalten.

Anschließend testete die Gruppe, welche Folgen die Besiedelung mit jeweils einzelnen Mikrobenspezies hat. Dabei fiel vor allem das Bakterium Curvibacter auf. Es macht normalerweise etwa 70 Prozent des Mikrobioms aus, ohne Probleme zu verursachen. Ist die Mikrobe jedoch das einzige Bakterium auf einem Süßwasserpolypen, kann dieser seinen Mund praktisch nicht mehr öffnen. Der Grund: Curvibacter produziert die Aminosäure Glutamat. Wie die Forschenden um Giez feststellten, bindet diese an die Nervenzellen des Polypen und blockiert dadurch den Mund nahezu vollständig.

Zwei andere Bakterien machen diesen Effekt wieder rückgängig: Undibacterium und Duganella bauen das überschüssige Glutamat ab und heben somit dessen Wirkung auf das Nervensystem auf. Laut den Fachleuten bestätigen die Ergebnisse nicht nur, dass komplexes Verhalten bei Tieren ohne Zentralnervensystem durch Zusammenwirken verschiedener Gruppen von Neuronen entsteht, sondern zeigen auch, dass Signalstoffe aus dem Mikrobiom dabei eine wichtige Rolle spielen. Die chemische Verbindung zwischen Bakterien und Nervenzellen sei in der Evolution womöglich gleichzeitig mit dem Nervensystem entstanden.

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