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Misokinesie: Wenn Fingertippen und Fußwippen wahnsinnig machen

Manche Menschen empfinden großes Unbehagen, wenn sie andere kauen oder sich räuspern hören. Nun entdeckten Forscher, dass es ein ähnliches Phänomen auch beim Anblick repetitiver Bewegungen gibt.
Mädchen trommelt mit dem Finger auf dem Tisch

Ob Kauen, Schlürfen oder Husten – Menschen, die von Misophonie betroffen sind, empfinden bestimmte Geräusche, die andere Personen verursachen, als unangenehm. Werden sie im Alltag damit konfrontiert, können sie die Laute oft nur schwer ertragen und reagieren mit Ekel oder Ärger. Erst kürzlich bekam das Phänomen ein wenig mediale Aufmerksamkeit: Britische Forscher hatten herausgefunden, dass bei den Betroffenen jene Hirnareale, die für die Geräuschverarbeitung verantwortlich sind, besonders rege mit solchen Regionen kommunizieren, welche die Motorik von Gesicht, Hals und Rachen steuern. Entsprechend scheinen Misophoniker die unliebsamen Geräusche auf neuronaler Ebene unbewusst zu spiegeln – ohne sie allerdings kontrollieren zu können. Dieser innere Konflikt führt schließlich zu den negativen Gefühlen.

Neben Geräuschen besitzen aber offenbar auch repetitive Bewegungen das Potenzial, andere Menschen zur Weißglut zu treiben. Das berichtet nun ein Team um Sumeet Jaswal von der University of British Columbia in Vancouver, Kanada, nach einer Reihe von Untersuchungen im Fachmagazin »Scientific Reports«. Die Gruppe taufte das Phänomen in Anlehnung an die Misophonie auf den Namen »Misokinesie«.

Jaswal und ihre Kollegen legten zunächst rund 2700 Studentinnen und Studenten einen Fragebogen vor. Darin sollten diese angeben, inwiefern sie sensibel auf Geräusche wie Kauen, Fingerschnippen oder Gelenkknacken reagierten. Außerdem wollten sie von den Teilnehmern wissen, ob auch der Anblick bestimmter Bewegungen bei ihnen starke negative Gefühle auslöst. Als Beispiele nannten die Forscher, jemanden dabei zu beobachten, wie er mit den Fingern tippt, mit dem Fuß wippt oder Kaugummi kaut.

Tatsächlich berichteten etwa knapp 40 Prozent der Befragten, dass solche Bewegungen bei ihnen Unbehagen auslösten. Etwas mehr Teilnehmer – rund 50 Prozent – empfanden menschengemachte Geräusche als unangenehm. In einer zweiten Studie, in der die Autoren mit mehr Fragen noch genauer nachbohrten, gaben sogar 60 Prozent der Probanden an, zumindest ein wenig sensibel auf repetitive Bewegungen zu reagieren, rund 70 Prozent klagten über Misophonie. Wie erwartet gab es eine merkliche Überschneidung zwischen den Gruppen: 40 Prozent der Versuchspersonen waren von beiden Phänomenen betroffen.

Frauen und ältere Menschen sind besonders sensibel

Frauen störten sich insgesamt stärker an Wippen und Wedeln als Männer (43 versus 28 Prozent). Und wie eine weitere Befragung mit etwas älteren Teilnehmern ergab, die dem Studentenalter bereits entwachsen waren, scheint Misokinesie mit dem Alter zuzunehmen.

Um der Ursache des Phänomens auf die Spur zu kommen, testeten Jaswal und ihr Team in einem Verhaltensexperiment, ob sich Menschen mit Misokinesie leichter durch Bewegungen ablenken lassen. Das war jedoch nicht der Fall. Womöglich basiert die Abneigung gegen bestimmte Bewegungen auf ähnlichen neuronalen Prozessen wie das Unbehagen beim Hören mancher Geräusche, spekuliert die Arbeitsgruppe. Ob das stimmt, werden aber erst weitere Untersuchungen zeigen können.

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