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Pflanzenforschung: Fachleute erforschen am liebsten hübsche Pflanzen

Auch bei Pflanzen werden innere Werte oft übersehen. Bunte Blüten machen sie für die Forschung attraktiv, während Ökologie und Schutzstatus keine besondere Rolle spielen.
Blüten der Alpenwaldrebe (Clematis alpina). Es war nicht ganz trivial, eine für die Südwestalpen typische Pflanze mit blauen Blüten zu finden, von der es gleichzeitig auch ein hübsches Stockfoto gibt...

Wenn eine Pflanze gründlich erforscht werden will, sollte sie sich schöne Blüten zulegen, am besten in Blau. Dagegen sind weder seltene noch bedrohte Arten bei Fachleuten besonders beliebt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Arbeitsgruppe um Martino Adamo von der Universität Turin anhand einer Analyse von 280 Veröffentlichungen aus der Pflanzenforschung in den südwestlichen Alpen. Wie das Team in »Nature Plants« berichtet, sind Pflanzen mit farbigen Blüten gegenüber grünen oder braunen Arten überproportional repräsentiert. Das deute darauf hin, dass Pflanzenfachleute sich bei der Auswahl ihres Forschungsgegenstands oft von ästhetischen Überlegungen leiten lassen. Dieser Effekt ist auch bei Tieren bekannt.

Als Fallstudie für ihre Untersuchung wählten Adamo und sein Team die südwestlichen Alpen, eine gut erforschte Region mit hoher Biodiversität. Diese Eingrenzung erlaubte ihnen nach eigenen Angaben, mögliche Störfaktoren besser zu kontrollieren. Das Team setzte Eigenschaften der insgesamt 113 untersuchten Pflanzen, darunter Farbe, Größe, Lebensraum und Häufigkeit, ins Verhältnis zur Zahl der über sie publizierten Arbeiten. Das Ergebnis: Der wichtigste Auswahlfaktor scheint das Aussehen zu sein.

Das betrifft vor allem die Farbe der Blüten. Arten mit weißen und roten Blüten sind laut der Analyse in der Literatur doppelt so häufig vertreten, wie man erwarten sollte, blaue Blüten sogar mehr als dreimal. Dagegen spielten Eigenschaften, bei denen man höhere wissenschaftliche Bedeutung vermuten würde – zum Beispiel besondere Habitate oder ein Eintrag in der Roten Liste der gefährdeten Arten –, keine Rolle.

Diese Bevorzugung charismatischer Arten ist in der biologischen Forschung ein immer wieder beschriebenes Problem. Viele Fachleute fürchten, dass auf diese Weise weniger hübsche Organismen quasi im toten Winkel des Artenschutzes landen; Studien wie die von Adamos Team sollen dazu beitragen, die Pflanzenforschung ausgewogener zu machen. Wie man aber die Fachwelt von ihrer Sehnsucht nach der blauen Blume kuriert, dafür hat das Team bisher keine gute Lösung.

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