Direkt zum Inhalt

Rasante Eisschmelze: Countdown für Deutschlands Gletscher

Den vier verbliebenen Gletschern in Deutschland geben Fachleute nur noch wenige Jahre. Daran ändern auch halbwegs gute Nachrichten aus dem Sommerhalbjahr 2023 nichts.
Watzmann im Alpenglühen
Der Watzmanngletscher (hier 2016) ist einer von vier verbliebenen deutschen Gletschern. Er hat sich 2023 besser gehalten als befürchtet.

Die vier letzten Gletscher Deutschlands haben den Sommer 2023 teils besser überstanden als befürchtet. Eine Rettung gibt es für die vormaligen Eisriesen an der Zugspitze und im Watzmanngebiet trotzdem nicht: In etwa 15 Jahren wird auch der letzte von ihnen verschwunden sein, wie eine Prognose der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW) ergibt.

Der Höllentalferner und der Nördliche Schneeferner, beide an der Zugspitze gelegen, sind derzeit die beiden größten deutschen Gletscher. Ihre Flächen sind in diesem Sommer deutlich geschrumpft. Vor allem der Nördliche Schneeferner, der stark der Sonne ausgesetzt ist, hat gelitten. Der Höllentalferner hingegen liegt eher schattig, ebenso wie der Watzmann- sowie der Blaueisgletscher, die sich in der Nähe von Berchtesgaden befinden. Die beiden Letzteren haben nach den aktuellen Messungen der BAdW-Wissenschaftler in diesem Sommer vergleichsweise wenig Fläche verloren. Wie es mit dem Eisvolumen aussieht, ermitteln die Fachleute noch. »Wir sind dran, die Daten auszuwerten – und es sieht so aus, als ob wir in Berchtesgaden für die dortigen Gletscher gar keinen so schlechten Sommer gehabt hätten«, sagte der Glaziologe Christoph Mayer von der BAdW gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.

»Wir hatten in Berchtesgaden am Ende der Saison noch Schnee auf den Gletschern, teilweise zumindest«, erläutert Mayer weiter. Schnee reflektiert das Sonnenlicht und schützt damit das Eis. Auch das kalte Frühjahr mit spätem Schneefall habe wahrscheinlich dazu beigetragen, das Abschmelzen zu verlangsamen.

Schnee schützt aber nicht nur das Eis vor dem Schmelzen, er sorgt zudem für stetigen Nachschub der Eisriesen. Unter neuen Schneefällen wird der darunterliegende Schnee langsam zu einer dichteren Masse, dem Firn, und schließlich zu Eis gepresst, der Gletscher wächst. Kommt im Winter jedoch zu wenig Nachschub, können die neuen Schneefälle den Eisverlust vom vorherigen Sommer nicht mehr wettmachen.

Die Gletscher schwinden weltweit also aus zwei Gründen: weil im Winter zu wenig Schnee fällt und weil im Sommer zu viel Eis schmilzt. Im September und Oktober 2023 herrschten an der Zugspitze höhere Temperaturen, als in diesen Monaten jemals seit Beginn der Aufzeichnungen dort gemessen wurden. Früher legten Kälteeinbrüche wenigstes für ein paar Tage auch im Sommer eine schützende Schneedecke auf das Eis, erzählt Laura Schmidt, Wissenschaftskommunikatorin der Umweltforschungsstation Schneefernerhaus an der Zugspitze. Doch das geschehe immer seltener. Über null Grad warmer Regen, hohe Luftfeuchtigkeit und lange Sonnenperioden beschleunigen die Gletscherschmelze.

Da waren es nur noch vier

Das führt im Extremfall dazu, dass sich ein dynamischer Gletscher in eine statische Eisfläche verwandelt. So erging es dem Südlichen Schneeferner: Als Glaziologen ihn 2022 vermaßen, stellten sie nicht nur fest, dass er in den vier Jahren zuvor die Hälfte seiner Fläche eingebüßt hatte und nun mit anderthalb Hektar bloß noch etwas weniger als zwei Fußballfelder maß. Der Eisriese hatte auch aufgehört zu fließen, eine Eigenschaft, die Gletscher ausmacht – sie breiten sich unter ihrem Eigengewicht langsam aus und fließen gemächlich, aber stetig talwärts. Seither zählt Deutschland nur noch vier Gletscher.

Bei der letzten umfassenden Messung 2018 maßen die beiden größten deutschen Gletscher, Höllentalferner und Nördlicher Schneeferner, jeweils etwas mehr als 16 Hektar. Die beiden anderen Gletscher im Berchtesgadener Land waren damals um die fünf Hektar groß. Die Eisreserven dort reichen laut Mayer vielleicht noch für zwei oder drei Jahre – je nach dem Verlauf der nächsten Sommer auch etwas länger. Der Sommer 2022 mit wochenlangem Sonnenschein war den Wissenschaftlern zufolge jedenfalls »verheerend«: Die Schmelze war demnach alpenweit rund eineinhalbmal so stark wie in einem Durchschnittsjahr.

Am besten hält sich bislang der Höllentalferner. Er liegt in einer tiefen Mulde und wird regelmäßig durch Lawinen gespeist, zumindest im oberen Teil. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass er am längsten überleben wird – vielleicht bis 2035, lautet die vorsichtige Prognose des Glaziologen Mayer. Danach wird Deutschland wohl gletscherfrei sein. (dpa/vta)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.