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Astrophysik: Rückschlag für umstrittenes Dunkle-Materie-Signal

Ist die Dunkle Materie längst entdeckt? Ein italienisch-chinesisches Forscherteam ist überzeugt davon, aber nun gerät die Interpretation ins Wanken.
Dunkle Materie (blau)

Wenn es nach einer italienisch-chinesischen Forschergruppe geht, ist das große Dunkle-Materie-Rätsel längst gelöst. Demnach verursacht die hypothetische Materieform seit vielen Jahren eine saisonale Schwankung in einem Detektor unter dem Gran-Sasso-Massiv nordöstlich von Rom. Im Juni kollidieren mehr der Dunkle-Materie-Teilchen mit den Atomen dieses DAMA/LIBRA genannten Messgeräts, im Dezember hingegen deutlich weniger, behaupten die zwei Dutzend beteiligten Wissenschaftler seit Langem.

Auf den ersten Blick hat das Argument Charme: Genau solch eine Variation würde man erwarten, wenn die Milchstraße tatsächlich eingehüllt ist in eine diffuse Wolke aus Dunkler Materie, wie viele Forscher vermuten. Dann würde die Erde bei ihrem alljährlichen Weg um die Sonne mal etwas flotter und mal etwas langsamer durch diesen Nebel fliegen: Im Juni bewegt sich unser Planet parallel zur Sonne auf deren Bahn ums galaktische Zentrum, im Dezember ist er gerade in Gegenrichtung unterwegs.

Umstrittene Interpretation

Außerhalb der DAMA/LIBRA-Gruppe teilen allerdings nur wenige Experten die spektakuläre Interpretation. Die meisten Forscher halten eine irdische Störquelle oder eine unverstandene Eigenart des Detektors für die wahrscheinlichste Ursache der rätselhaften Schwankung. Schließlich sieht DAMA/LIBRA die Dunklen-Materie-Teilchen nicht direkt. Stattdessen weist das Instrument nur Lichtblitze nach, die die mutmaßlichen Teilchen bei Kollisionen mit Atomen in speziellen Natriumjodid-Kristallen aussenden sollen. Und diese Lichtblitze könnten viele andere Ursache haben, sagen Kritiker.

Sie sehen ihre Skepsis auch dadurch bestärkt, dass alle anderen Untergrundlabore bisher keine Spur der Dunklen Materie aufgespürt haben. Und das, obwohl diese Geräte zum Teil sehr viel empfindlicher auf die unsichtbaren Partikel reagieren müssten. Diese Konkurrenten jagen dem Phantom jedoch mit anderen Techniken nach. Populär ist etwa der Einsatz des Edelgases Xenon, mit dem die derzeit besten Dunkle-Materie-Detektoren bestückt sind.

DAMA/LIBRA | Blick in den mit Bleiblöcken abgeschirmten Dunkle-Materie-Detektor in einem Labor unter dem Gran Sasso d'Italia.

So zieht sich die DAMA-Debatte seit Jahren hin. Immer mal wieder muss das Team harsche Kritik einstecken, weil Wissenschaftler anderer Gruppen eine Schwachstelle in den Messungen identifiziert haben wollen. Die Italiener begegnen solcher Kritik meist mit stoischer Verbissenheit: Nein, da haben wir schon dran gedacht, sagen sie. Dabei mangelt es aus Sicht vieler Kollegen aber an der Transparenz und Offenheit, die Wissenschaftler in solch einer kniffligen Situation erwarten.

Doch nun zeichnet sich endgültig Klarheit in dem Streit ab: Weltweit stehen mehrere Detektoren in den Startlöchern, die mit demselben Kristalltyp nach Dunkler Materie suchen wollen. Eines dieser Teams hat seinen Detektor jetzt im Fachmagazin »Nature« vorgestellt. Er heißt COSINE-100, steht in Südkorea und hat bereits 60 Tage lang nach dem DAMA/LIBRA-Signal Ausschau gehalten -vergeblich.

Damit sei das Szenario der Italiener in Teilen entkräftet, schreibt das koreanisch-amerikanische Team. Übrig blieben nur noch Varianten, in denen die Dunkle-Materie-Wolke rund um die Milchstraße anders aussieht als erwartet oder die Teilchen aus unbekannten Gründen seltener mit den südkoreanischen Atomkernen interagieren als gedacht. Ein paar Jahre müsse man noch messen, schreiben die Forscher. Dann könne man auch diese denkbaren Erklärungen endgültig ausschließen.

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