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Paläozoologie: Urnager kaute sich merkwürdiges Ohr an

Eine der großen »Erfindungen« der Säugetiere in der Evolution ist das leistungsstarke Mittelohr. Ein Seitenzweig hat es aber gleich wieder abgeschafft - um anders kauen zu können.
Illustration von Jeholbaatar kielanae

Chinesische Forscher berichten von einem ausgestorbenen, nagetierähnlichen Säuger mit einer auffälligen und ungewöhnlichen Mittelohranatomie: Wahrscheinlich, so vermuten Yuanqing Wang und seine Kollegen in »Nature«, sorgte die innovative Kaubewegung des Tieres dafür, dass die Hörknöchelchen sich im Laufe der Evolution immer weiter verschoben haben.

Die Wissenschaftler haben ein fast vollständiges fossiles Skelett von Jeholbaatar kielana in der Jiufotang-Formation entdeckt, einer wichtigen Fossilfundstelle aus der unteren Kreidezeit im Nordosten Chinas. Das zu Lebzeiten wohl rund 50 Gramm schwere Tier gehörte zu den ausgestorbenen und nagetierähnlichen, aber nicht mit Nagern verwandten Multituberculata. Es hatte vor etwa 120 Millionen Jahren gelebt und sich wahrscheinlich von Pflanzen ernährt – und genau das dürfte ihm in der Kreidezeit einen Evolutionsvorsprung verschafft haben. Denn in der selben ökologischen Nische konkurrierende Arten ernährten sich damals noch ausschließlich räuberisch von kleinen Wirbeltieren und Insekten, die sie aber immer erst einmal fangen mussten.

Illustration von Jeholbaatar kielana | Diese künstlerische Darstellung zeigt, wie der Multituberculat Jeholbaatar kielana in der Kreidezeit wohl ausgesehen haben könnte. Im Hintergrund ist als Zeitgenosse ein vierflügliger Microraptor-Dinosaurier dargestellt.

Der besondere Pflanzenfresser aus der Unterkreide profitierte dagegen von seinem spezialisierten Kauprozess, bei dem er den Unterkiefer mahlend vor- und zurückschob – womit er Pflanzen effizient zerkleinern konnte. Dies war den Tieren aber nur möglich, weil andere Skelettbestandteile des Schädels im Laufe der Evolution allmählich aus dem Weg gewandert sind, meinen Wang und Kollegen, was insbesondere zu einem Stellungswechsel der Gehörknöchelchen geführt hat. J. kielana behielt dabei zwar die übliche knöcherne Ausstattung im Säugetierinnenohr, also Steigbügel (Stapes), Hammer (Malleus) und Amboss (Incus), die am Trommelfell anliegen und dessen Schwingungen aufnehmen. Bei dem Kreidezeitsäuger liegt der Amboss allerdings ungewöhnlicherweise eher auf und über dem Hammer, statt sich wie beim Durchschnittssäuger an ihn anzuschließen.

Unklar ist, ob das Tier mit diesem merkwürdigen Mittelohr tatsächlich noch gut hören konnte – immerhin ist der dreiteilige Aufbau der Gehörknöchelchen ein Markenzeichen der Säuger, das ihnen ein deutlich leistungsfähigeres Gehör gegenüber Fischen, Amphibien oder Reptilien beschert. Womöglich brachte ihm Taubheit in seinem Zeitfenster der Evolution weniger Nachteile, als die Ernährungsumstellung ihm Vorteile beschert hat, spekulieren die Forscher. Entstanden ist die Konstellation wahrscheinlich, weil die Kiefer der Tiere noch nicht die überlegene Beweglichkeit heutiger Säugerspezialisten beim Kauen entwickelt hatten. So sind moderne Wiederkäuer in der Lage, ihre Kiefer seitlich mahlend zu bewegen statt vor und zurück – während Raubtiere wie Katzen- und Hundeartige vor allem den von leistungsfähigen Kaumuskeln angetriebenen Biss mit senkrecht schließenden Kiefern perfektioniert haben.

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