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Vogelzug: Jedes Jahr sterben Vögel am hell erleuchteten Post Tower

Millionen von Vögeln – vom Wintergoldhähnchen bis zum Weißstorch – kommen im Frühjahr aus ihren Winterquartieren zurück nach Mitteleuropa, um zu brüten. Für viele der Tiere endet der Vogelzug vorzeitig und tödlich: Sie kollidieren mit Gebäuden. Eine Fallstudie.
Posttower in Bonn
Glasfassaden gelten noch immer als modern, auch beim Post Tower in Bonn hat man großflächig verglast. Für Vögel ist das ebenso gefährlich wie eine nächtliche Beleuchtung.

Graue Wolken ziehen über den Post Tower in Bonn. Vom Rhein weht ein kalter Wind herauf. Heiko Haupt blickt die gläserne Fassade der Post-Konzernzentrale hinauf zu ein paar Dutzend Bürofenstern, die in der Dämmerung dieses Abends Anfang März hell erleuchtet sind. Auch die Notbeleuchtung in den Treppenhäusern ist von außen deutlich zu erkennen. Es ist Vogelzug-Zeit. Und diese Lichtquellen können für Zugvögel zur Todesfalle werden.

Wie genau, das hat der Biologe in den vergangenen 15 Jahren immer wieder beobachtet – vor allem in den Hauptmonaten des herbstlichen Vogelzugs. Ganze Nächte lang hat er die Vögel am Turm beobachtet, tote Tiere eingesammelt und bestimmt. Seine Erkenntnisse sind in einer Fallstudie nachzulesen, die im »Journal of Ornithology« erschienen ist.

Der Post-Turm besteht aus zwei Teilen, deren Grundflächen Kreissegmente sind. Aus der Luft betrachtet sieht es aus, als hätte jemand aus einer 41-stöckigen Torte die Mitte herausgeschnitten und die beiden verbliebenen Stücke aneinandergeschoben. Ganz oben prangen in Gelb und Rot die Logos der »Deutsche Post DHL Group« (DPDHL). Der Turm steht genau quer zur Hauptrichtung des Vogelzugs. Eine Glasfassade ist nach Nordnordwest ausgerichtet, die andere nach Südsüdost.

Hinter 1000 Fenstern jeder Fassade sind farbige Leuchtstoffröhren installiert, die sich so ansteuern lassen, dass bunte Bilder über die gesamte Höhe des Turms entstehen. Die Fassaden sind demnach zwei riesige Flachbildschirme mit lausiger Auflösung. Lange Jahre hat das Unternehmen die Fassade in den ersten Nachtstunden in Blau, Gelb und Rot erstrahlen lassen. Zu besonderen Anlässen zeigte es Bilder darauf – zu Weihnachten etwa einen Tannenbaum, zum Beethovenfest einen Notenschlüssel. Egal, welche Motive zu sehen waren: Für viele Zugvögel erwies sich die massive Lichtbarriere auf ihrer Route als fatal. Die meisten toten Vögel hat Heiko Haupt in der Passage gefunden, also in dem breiten Durchgang zwischen dem Turm der Deutsche-Post-Zentrale und der »Post Tower Lounge«, dem dreistöckigen Glasbau direkt nebenan.

Verletztes Wintergoldhähnchen | Längst nicht alle Vögel sterben sofort, wenn sie mit dem Turm zusammenstoßen, wie dieses Wintergoldhähnchen. Der winzige Vogel sitzt apathisch am Boden und blutet aus dem Schnabel. Solche Tiere haben aber sehr schlechte Überlebenschancen.
»Besonders gefährlich sind Balkonbrüstungen, Scheiben, die stark spiegeln, oder Verglasungen über Eck«Heiko Haupt, Biologe

Glasfassaden, zumal erleuchtete, sind schon lange als große Bedrohung für Vögel bekannt, beispielsweise der neue Berliner Flughafen und mehrere Bauten im Berliner Regierungsviertel. Worin genau die Bedrohung besteht, erklärt der Ornithologe Livio Rey von der Schweizerischen Vogelwarte Sempach. Vögel hätten zwar ausgezeichnete Augen, sagt er, trotzdem übersähen sie Glasscheiben. »Besonders gefährlich sind Balkonbrüstungen, Scheiben, die stark spiegeln, oder Verglasungen über Eck«, erklärt er. Die Vögel sehen nur, was hinter der Scheibe ist, oder das Spiegelbild des Himmels – und prallen ungebremst gegen das Hindernis.

Lichtverschmutzung verschlimmert das Problem

Die Lichtverschmutzung verschärft die Gefahr während des Vogelzugs: Vögel orientieren sich nachts an Mond und Sternen; sie sind zudem in der Lage, das Magnetfeld der Erde zu sehen – dafür haben sie spezielle Rezeptoren in ihren Augen. Bei Nebel oder in unübersichtlichem Gelände fliegen Vögel in Richtung der hellsten Lichtquelle. In naturnahen Landschaften ist das der Mond, heute hingegen sind es meistens Lampen. »Wenn ein Vogel in so einen Lichtkegel gerät, kann er darin regelrecht gefangen werden«, sagt Livio Rey. »Das führt zu großem Stress, es schwächt die Tiere oder sie sterben sogar.«

Am Post Tower hat Heiko Haupt Tiere erlebt, die desorientiert abstürzten, Menschen gar nicht mehr als Feinde erkannten und sich ihnen auf die Schulter setzten. Von einer Bank in 100 Meter Entfernung beobachtete er Vögel, die durch die Kegel der Scheinwerfer auf dem Dach des Post-Turms flogen – Scheinwerfer, die zum Anstrahlen der DPDHL-Logos installiert sind. Bei mehr als 90 Prozent der Vögel, die dort hineingerieten, habe er ein völlig ungewöhnliches Flugverhalten beobachtet.

Beleuchteter Post Tower | Festbeleuchtung: Zu besonderen Anlässen wie dem Beethovenfest hat die DPDHL ihre Fassade auch während des Vogelzugs immer wieder mit bunten Grafiken geschmückt. Früher leuchtete die Fassade jeden Abend in den ersten zwei bis drei Nachtstunden.

Je weniger Licht, desto weniger tote Vögel

Bislang hat der Biologe Vögel 37 verschiedener Arten aufgelesen. Die mit Abstand häufigsten Opfer waren Sommergoldhähnchen, es folgten Rotkehlchen, Singdrosseln und Zaunkönige. Aber Haupt hat auch Arten gefunden, die gar nicht (mehr) oder nur noch selten in Bonn brüten: Ringdrosseln, Gartenrotschwänze, Steinschmätzer, Waldschnepfen und Wasserrallen.

»In den ersten Jahren haben wir zwischen Ende Juli und Mitte November über 1000 Vögel am Fuße des Turms aufgelesen«, sagt Heiko Haupt. Damals ließ die Post noch jede Nacht Animationen über die Fassade laufen. »Als die Post dann in den Folgejahren die Beleuchtung etwas reduzierte, fanden wir in derselben Zeitspanne immer noch 200 bis 300 Opfer.« Im Herbst 2022 schaltete die Post auch die Beleuchtung der beiden Logos ab. Doch selbst dann kamen immer noch 100 Vögel zu Tode. Das liegt an der Notbeleuchtung, die unter anderem in den Treppenhäusern dauerhaft brennt und durch die Glaswände hell nach draußen scheint.

100 tote Vögel in wenigen Monaten – das ist immer noch das Zehnfache dessen, was die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten an einem Gebäude wie dem Post-Turm als »zulässig«, also unvermeidbar einschätzt. Die deutschen Vogelschutzwarten haben hochgerechnet, dass jedes Jahr fünf Prozent aller hier lebenden Vögel an Gebäudefassaden verunglücken – das heißt 100 bis 115 Millionen Tiere.

Volle Beleuchtung in der Vogelflugzeit

Ein Sprecher von DPDHL erklärt auf Anfrage, das Unternehmen habe in den letzten zehn Jahren einen sechsstelligen Betrag investiert, um das Gebäude vogelfreundlicher zu gestalten. So habe man beispielsweise im ganzen Haus Dämmerungssensoren installiert. Die Lichter in den Büros schalteten sich nachts automatisch aus, falls die Mitarbeitenden das vergäßen. Die Sonnenschutzlamellen hielten Streulicht aus dem Gebäude zurück.

Heiko Haupt erkennt diese Bemühungen an, sieht aber immer noch schwer wiegende Defizite. Er kritisiert besonders, dass die Post auch während der Vogelzugzeiten nicht darauf verzichtet, zu besonderen Anlässen die komplette Fassade zu beleuchten. Außerdem seien die Sonnenschutzlamellen in den Büros nicht aus Vogelschutzgründen, sondern zum Schutz der Menschen konzipiert und ließen immer noch eine Menge Licht nach draußen. Zudem sind die Schmalseiten des Gebäudes und die notbeleuchteten Treppenhäuser nach wie vor nicht abgeschirmt, die großen Glasflächen, die drei Stockwerke hoch den Turm krönen, weiterhin ungesichert. Eine besonders gravierende Bedrohung ist immerhin abgestellt worden: Die großen Logos an der Turmspitze bleiben seit Mitte 2022 dunkel.

Selbst wenn die Post versuchte, diese Defizite noch zu beheben: Am Post Tower kann sie in Sachen Vogelschutz nur noch Schadensbegrenzung leisten. Weil er bei der Planung der Gebäude schlicht nicht mitgedacht wurde. Architekten, Bauherren oder generell Stadtplaner, die den Schutz der Biodiversität schon bei ihren Entwürfen im Blick haben, sind nach wie vor die Ausnahme.

Greifvogelsilhouetten und UV-Markierungen sind wirkungslos

Glasfassaden gelten noch immer als modern und sind beliebte Gestaltungselemente an Gebäuden. Aber genau sie stellen die größte Gefahr für Vögel dar. Je weniger Glas beim Bauen, desto besser – auf diesen einfachen Nenner lasse es sich bringen, sagt Livio Rey von der Vogelwarte Sempach. »Aber auch, wenn man mit Glas baut, kann man sehr viel tun, um Vögel vor Kollisionen zu schützen.« Konkrete Empfehlungen haben die Schweizer Vogelschützer in der Broschüre »Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht« zusammengestellt: Verzicht auf Eckverglasung oder große Glasflächen. Wo Glas unvermeidlich ist oder scheint: Vogelschutzglas verwenden, das durch eingeprägte Punktstrukturen für Vögel als Hindernis erkennbar ist. Ein nachträglicher Behelf sind Folien mit Streifen- oder Punktmustern.

Eine immer noch häufig empfohlene Maßnahme hat sich dagegen in Studien als wirkungslos erwiesen: UV-Markierungen verhüten Vogelkollisionen ebenso wenig wie die seit Jahrzehnten beliebten Greifvogelsilhouetten. Denn Vögel nehmen deren Umrisse nicht als Hindernisse wahr.

Womöglich gehen wir bei den Silhouetten zu sehr von uns Menschen aus. Am Ende der Passage zwischen dem Turm und der Lounge, wo die Glaswand ein paar Meter über die Fassade hinausragt, klebt ein schwarzer Vogelumriss an der Scheibe. Genau in Kopfhöhe von Spaziergängern. »Diese Silhouette rettet keinem Vogel das Leben«, sagt Heiko Haupt, »die soll uns Menschen auf die Glasscheibe aufmerksam machen.« Und das tut sie. Gezählt hat noch niemand, aber der Aufkleber dürfte schon einige Dutzend Kopfbeulen verhindert haben.

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