News: Wenn einem Hören und Lesen vergeht
Die Forscher führten ihre Untersuchungen an sieben Erwachsenen mit Dyslexie durch, die normal intelligent waren, jedoch große Schwierigkeiten mit Lesen, Buchstabieren und Schreiben hatten. Die Ergebnisse wurden anschließend mit denen von sieben lesekompetenten Erwachsenen verglichen. Die dyslektischen Personen schnitten beim standardisierten Lesetest schlecht ab. Gleichzeitig erzielten sie, wie es bei der großen Mehrzahl der erwachsenen Dyslektikern der Fall ist, auch bei einer Vielzahl von Tests schlechte Resultate, bei denen ihre Fähigkeit gemessen wurde, rasch aufeinanderfolgende Lautreize unterscheiden zu können.
In einem dieser Tests zur Wahrnehmung von Lauten wurden den Versuchspersonen zwei Töne vorgespielt, die sich in ihrer Frequenz unterschieden und die ein Zehntel oder ein Fünftel einer Sekunde voneinander getrennt auftraten. Die Probanden wurden dann gebeten, die Töne zu identifizieren und die Sequenz so wiederzugeben, wie sie ihnen vorgespielt worden war. Gleichzeitig wurde ihre Gehirnaktivität mit magnetoenzephalographischen Methoden aufgezeichnet. Hierbei werden die Schwankungen des Magnetfeldes gemessen, die von räumlich lokalisierbaren Gehirnaktivitäten im Bereich von Millisekunden auftreten. Schlechte Leser berichten zwar, daß sie zwei sehr kurze Töne wahrgenommen haben und wußten auch oft, daß es sich nicht um dieselben handelte, sie waren jedoch unfähig diese zu identifizieren oder die Tonfolge zuverlässig zu rekonstruieren.
Merzenich geht davon aus, daß es sich um ein grundlegendes Problem bei der Signalrezeption handelt. Die einströmenden komplexen Lautinformationen werden dabei nur unzureichend von dem Teil des Cortex verarbeitet, der für die gehörte Sprache zuständig ist. "Die Art wie das Gehirn bei schlechten Lesern Töne verarbeitet, ist sehr verschieden von seiner Verarbeitung und Darstellung von sich rasch ändernden Schallreizen bei kompetenten Lesern.", sagt er.
Die Autoren betonen, daß ihre Ergebnisse die zusätzliche Beteiligung höherer Verarbeitungsniveaus bei Dyslexie nicht ausschließen, bei denen komplexere Kombinationen von Informationen zur Erkennung und Interpretation von Sprache führen. Gleichzeitig argumentieren sie, daß genau der elementare Defekt bei der Verarbeitung von Tönen im Gehirn eine wichtige Rolle spielen muß bei der Erzeugung relativ schwacher neuronaler Darstellungen der Lautmuster von gehörter Sprache. Dies könnte nach Ansicht der Wissenschaftler einen Anhaltspunkt für geeignete medikamentöse Therapien liefern, die darauf abzielen, Geschwindigkeit und Genauigkeit der die Lautverarbeitung betreffenden Gehirnaktivität zu "trainieren".
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 4.3.1998
"Warum das Lesen so schwer fällt"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum der Wissenschaft 1/97, Seite 30
"Legasthenie gestörte Lautverarbeitung"
(nur für Heft-Abonnenten online zugänglich)
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