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Deutschland: Wildschweine wegen Atomwaffentests stark mit Cäsium belastet

Vor allem bayerische Wildschweine sind immer noch stark radioaktiv kontaminiert. Doch das Cäsium stammt nicht nur aus Tschernobyl, sondern ist Jahrzehnte älter.
Ein Wildschwein in einem Wald in Bayern.
Die arme Sau! Das gilt jedenfalls für Wildschweine in Bayern, die immer noch stark radioaktiv belastet sind.

Die teils hohe radioaktive Belastung von Wildschweinen – vor allem in Bayern – geht zu einem unerwartet hohen Teil auf Atomwaffenversuche der 1950er und 1960er Jahre zurück. Damit sind die Cäsiumwerte im Tierfleisch nicht nur der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 geschuldet. Wie ein Forscherteam um Georg Steinhauser von der TU Wien im Fachblatt »Environmental Science & Technology« erläutert, hatte sich der Fallout der Waffentests weltweit verteilt und auch in Bayern Niederschlag gefunden. Zwischen 10 und 68 Prozent des radioaktiven Cäsiums im untersuchten Wildschweinfleisch stammten von den Atomwaffenversuchen.

Die Forschenden um den Radioökologen Steinhauser hatten 48 in Bayern erlegte Wildschweine aus den Jahren 2019 bis 2021 untersucht. Dabei dokumentierten sie eine Belastung mit dem radioaktiven Isotop Cäsium-137 von 370 bis zu 15 000 Becquerel pro Kilogramm. Mit diesem Wert ist der EU-Grenzwert für den Verzehr, der bei 600 Becquerel pro Kilogramm lieg, um das bis zu 25-Fache überschritten.

Bisher nahmen Fachleute an, dass der Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 die Hauptquelle für Cäsium-137 in der Natur sei. Nun ergab die aktuelle Isotopenanalyse, dass das bei Atomwaffentests entstandene Cäsium-137 erheblich zur Belastung der Wildschweine beiträgt. Es sei die erste Studie, die das Cäsium aus Atomwaffentests quantifiziere, sagte Steinhauser der Deutschen Presse-Agentur.

Gemäß früheren Schätzungen würden etwa zehn Prozent des radioaktiven Cäsiums in Bayern auf die Atomwaffentests zurückgehen, etwa 90 Prozent auf Tschernobyl. Doch das Cäsium in den Wildschweinen stammte zu bis zu 68 Prozent von Atomwaffen – ein erstaunlich hoher Anteil. Um die Herkunft der radioaktiven Belastung festzustellen, bestimmten die Forscher das Verhältnis von Cäsium-135 zu Cäsium-137. Cäsium-135 ist sehr viel langlebiger als Cäsium-137, aber weniger radioaktiv. Das Mischungsverhältnis der beiden Isotope unterscheidet sich allerdings je nach Quelle. Es war bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ein anderes als bei den Atomwaffentests.

Wie der Hirschtrüffel die Belastung verstärkt

»Selbst wenn es Tschernobyl nicht gegeben hätte, würden einige Proben den Grenzwert überschreiten«, sagt Steinhauser. »Verantwortlich dafür dürfte der Hirschtrüffel sein, der unterirdisch lebt.« Weil das Cäsium nur langsam durch den Boden wandere, komme es erst spät bei dem Pilz an. »So erklärt sich, dass das ›alte‹ Cäsium überproportional im Wildschwein ist«, so der Radioökologe. Das Tschernobyl-Cäsium hingegen hätte den Pilz noch gar nicht vollends erreicht. Vor allem wenn das Futter an der Oberfläche gegen Ende des Winters knapp werde, müssten die Tiere graben und sich von dem Pilz ernähren. Das erkläre auch, warum im Winter geschossene Schweine tendenziell stärker kontaminiert waren.

Atomwaffen waren vor allem in den 1950er Jahren bis 1963 von den USA und der Sowjetunion oberirdisch getestet worden. Daraus stamme der Hauptanteil der radioaktiven Belastung, spätere Tests hätten eine untergeordnete Bedeutung, sagt Steinhauser. Das zeige allerdings auch, wie hoch die Belastung damals gewesen sein muss. Denn Cäsium-137 hat eine Halbwertszeit von zirka 30 Jahren. Damit sind heute ohnehin nur noch 25 Prozent dieses radioaktiven Cäsiums übrig. Von Tschernobyl dürften demnach noch rund 42 Prozent vorhanden sein.

Cäsium-137 ist ein radioaktives Isotop, das nicht in der Natur vorkommt. Es kann sich nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) im Knochengewebe einlagern und dort das Erbgut schädigen. Langfristig kann das zu Knochenkrebs und Leukämie führen. Jäger und auch Pilzsammler sollten sich über die zusätzliche Strahlendosis durch den Verzehr von Wildpilzen und Wildbret informieren, schreibt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) auf seiner Internetseite(dpa/kas)

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