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August der Starke: Der Barock-Titan aus Sachsen

Kaum in Amt und Würden lässt sich August als »Hercules Saxonicus« abbilden. Und ein Herkules ist er fürwahr. Kein Barockfürst scheiterte so schön wie er.
August der Starke

Der absolutistische Fürst, er findet sich selbst als Gott auf dem Planeten vor. Nach drei Jahrzehnten des Kriegs, in dem sich Völker und Religionen selbst zerfleischten, hebt der Fürst des Barocks zu spielen an. Und spielt bald mit allem, was in seinem riesigen Sandkasten herumliegt: mit Staat und Untertanen, mit Kunst und Religion, mit der Armee und einer Armee von Frauen. Er handelt zum Vergnügen, aus reiner Autorität und Willkür, in grenzenloser Freiheit – allein Gott verpflichtet.

Man hat den Barock, die Epoche zwischen 1570 und 1750, als Zeitalter der Inszenierung und als »großes Welttheater« beschrieben, in dem der glänzende Schein über den Rang von fürstlichen Herren entschied. Und keiner hat dabei so talentiert Fehler gemacht wie Friedrich August I. von Sachsen, der heute vor 350 Jahren, am 12. Mai 1670, geboren wurde.

Die Geschichtsschreibung taufte ihn August den Starken, auch wenn dieser Bonvivant fast nichts verwirklichen konnte, was in seiner blühenden Fantasie an Veränderungsplänen für die Welt aufzuckte – zuletzt der Traum, Herrscher und Kaiser der Welt zu sein. Auf allen Schlachtfeldern – denen des Kriegs, der Diplomatie, der Kunst und der Frauen – wollte er Ruhm ernten. Von seinen Taten aber mästeten sich seine Feinde. Sein Land wollte er stärken und es unbezwinglich sehen im Krieg: Es wurde verwüstet, von fremden Armeen plündernd durchzogen.

Kavalierstour durch Europa

Der zweite Sohn des Wettinerfürsten Johann Georg III. von Sachsen und der Prinzessin Anna Sophie von Dänemark und Norwegen kommt aus einem kunstsinnigen Haus. Doch nicht so sehr die Bühne, sondern der Kraftsport hat es dem 17-Jährigen angetan, der sich anno 1687 als »Graf von Leißnigk« zur Kavalierstour durch Europa aufmacht. Die große Bildungsreise soll jungen Männern von Stand Horizonte für das weitere Leben öffnen. Auf seiner zweijährigen Reise über Paris, Madrid, Mailand, Venedig, Florenz, Wien und Prag pflückt er am Wegrand nicht nur alle ehrgeizigen politischen, architektonischen und künstlerischen Sehnsüchte und Antriebe für später. Er tobt vor allem seinen zu groß und kräftig geratenen Körper aus.

Mit 1,76 Meter besitzt der kursächsische Prinz eine für damalige Verhältnisse stattliche Körpergröße, im Alter wird er rund 120 Kilogramm auf die Waage bringen. Mit bloßen Händen zerbricht er Hufeisen und faltet Silberteller wie Servietten zusammen, begeistert Europas Fürstenhöfe mit seiner urwüchsigen Kraft.

Spanien erlebte, wie er im Kampf einem mächtigen Stier mit einem Hieb den Schädel vom Rumpf abschlug. Die Wiener unterhielt der Jungwettiner mit den Tönen aus einer Trompete, allerdings blies sie einer, den August mit seinem Arm über die Brüstung des Stephansdoms hielt. Im Dresdner Schlosshof, Schauplatz permanenter blutiger Gemetzel an sächsischem Getier, nahm er es mit einem Eber auf, der gegen ihn anrannte: Er stieß das Tier mit einem Degen nieder. Einen Finger verlor er 1690 bei der Belagerung von Mainz. Vom Vater mit dem älteren Bruder Johann Georg auf den französischen Feldzug in die kriegerische Lehre mitgenommen, wollte der kraftstrotzende Filius an der Mainmündung über den Fluss schießen, indem er die Pistole doppelt lud. Sie flog ihm um die Ohren.

Friedrich August war jedoch kein dummer August. Als ihm 1694 die sächsische Kurwürde überraschend zufiel – der Vater war 1691, der Bruder Johann Georg drei Jahre später an den Blattern gestorben –, fand sich Friedrich August zwar auf der Höhe seiner Kraft und seiner jugendlichen Lebensgier, doch: »Ich hatte seit dem 18. Lebensjahr nur militärische Studien getrieben und nicht die geringste Kenntnis von den Geschäften«, räumte er selbst, elf Jahre nach seinem Regierungsantritt, ein. Das Anerkenntnis dieser traditionellen Schwäche der Wettiner, die nicht sehr stark entwickelte Begabung für die Realpolitik, hinderte ihn jedoch nicht, der Prachtentfaltung des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. nachzueifern, sich zu wünschen, das ganze Versailles in Deutschland »nachzuspielen«.

Sächsischer Absolutismus

Dabei wird es dem jungen Herrscher nicht eben leicht gemacht. Augusts Sachsen verweigern ihm den Marsch in den strengen Absolutismus. Zwar verfügt er über die Einkünfte aus einem gewaltigen Grundbesitz, streicht Einnahmen aus dem Bergbau, der Jagd, aus Zöllen oder dem Salzmonopol ein, aber dieses Geld deckt nicht einmal annähernd den Aufwand für seinen Regierungsstil. Hofhaltung, Feste, Mätressenwirtschaft und ein Söldnerheer, das finanziell bei der Stange gehalten werden musste, verschlingen Unsummen.

Der preußische Soldatenkönig und sein »dicker Vetter« | Der nüchterne Preuße Friedrich Wilhelm (rechts) konnte mit seinem feierwütigen Nachbarn und dessen »liederlichen Leben« nicht viel anfangen.

Prekärer noch: Während die brandenburgischen Nachbarn schon über ein stehendes Heer gebieten, ihre Finanzen geordnet haben und stolz auf ihren sparsamen Fürsten sind, ist der Wettiner weiterhin von der Bewilligung der Steuern durch seine Stände abhängig. Der »sächsische Sonnenkönig«, so der Dresdner Historiker Josef Matzerath, ist längst nicht so souverän wie sein großes Vorbild in Paris. Anders als in Frankreich war es in Sachsen nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs nicht zu einer Stabilisierung der absoluten Fürstenmacht gekommen, sondern zu einem Ausbau der Ständerechte, was Augusts Verfügungsgewalt über die staatlichen Ressourcen empfindlich einschränkte.

Ausschlaggebend dafür ist Matzerath zufolge eine Einigung aus grauer Vorzeit. 1438 hatten sich die Wettiner mit den kursächsischen Landständen auf ein Mitspracherecht bei wichtigen Angelegenheiten des Landes geeinigt, was auch die Steuerbewilligung umfasste. Und die Eliten des Landes, die Vertreter von Ritterschaft, Geistlichkeit und Städten, sahen offenkundig keinen Grund, dieses Recht wieder herzugeben. Mit einem derart eingeschränkten Handlungsspielraum aber war für August kein Staat zu machen, zumindest kein absolutistischer.

Schrittweise suchte sich der Kurfürst dem Einfluss der Landstände zu entziehen, setzte unabgesprochen Gremien ein, die die Steuerverhältnisse durchleuchteten, führte ab 1702 die Generalkonsumtionsakzise ein, eine Art Mehrwertsteuer auf Verbrauchswaren und Landbesitz, und schuf schließlich im Jahr 1706 ein »Geheimes Kabinett« als Instrument der landesherrlichen Zentralgewalt. Dessen Minister unterstanden allein ihm, damit »nach gebührender Überlegung alles nach Ihrer Königlichen Majestät allerhöchster Intention mit blindem Gehorsam und bei Fortsetzung aller anderer Privatabsichten expediret (=ausgeführt) werde«, wie es in den Plänen zur Schaffung eines solchen Regierungsorgans aus dem Jahr 1703 heißt. Erst mit solchen Maßnahmen schafft sich Friedrich August die Freiräume, um weitestgehend nach Gusto regieren zu können.

Der Herrscher sucht nach einer Krone

Seinen vermutlich größten Coup hatte August da jedoch längst gelandet. Denn wie es die Fügung wollte, war im Nachbarland Polen die Königskrone vakant geworden. Im Juni 1696 starb Johann III. Sobieski, der Sieger der Schlacht am Kahlen Berg vor Wien anno 1683 gegen die Türken. In Dresden witterte August die Chance, mit dem Erwerb der Königskrone Rang und Ansehen seiner Person zu mehren, und beteiligte sich an dem Tauziehen um den Thron an der Weichsel. Da Polen ein Wahlkönigtum ist, kommt es auf die Stimmen der Wähler an.

Monatelang verhandelt Friedrich August mit dem polnischen Adel in tiefster Verschwiegenheit um den Besitz der Krone. Doch dafür braucht er Geld, viel Geld. August verschachert seine Länder, bettelt um Darlehen, verpfändet seine Juwelen an die Jesuiten in Wien, nur um die Bestechungsgelder für die polnischen Magnaten aufzubringen, von denen er im Sejm, dem polnischen Adelsparlament, gewählt werden muss. Rund 39 Millionen Reichstaler sollen geflossen sein, um die Gegenkandidaten aus dem Rennen zu werfen.

Um aber überhaupt erst als Kandidat ernsthaft in Betracht gezogen werden zu können, musste August über seinen konfessionellen Schatten springen. Will heißen, er musste vom evangelisch-lutherischen Bekenntnis zum römisch-katholischen Glauben konvertieren. Für August den Starken, in Glaubensdingen ohne Meinung, war dieser Schritt ein leichter. Religion ist dem Sachsenherrscher schlicht gleichgültig. Anders sehen dies die sächsischen Landstände und Kirchenvertreter. Bei allem, was heilig ist, ausgerechnet der Fürst des Geburtslandes der Reformation sollte heimlich, um schnöder Machterweiterung und Titelsucht willen, den Glauben der Väter aufgeben?

Es solle ja alles beim Alten bleiben, verkündet Friedrich August kleinlaut, als sein Plan ruchbar geworden war. In einem eigens verfassten Religionsversicherungsdekret gewährt er den sächsischen Protestanten, dass sie auch weiterhin ihrem evangelischen Glauben nachgehen können, dass die Landes- und Steuerverfassung unverändert und die Minister- und Beamtenposten in lutherischer Hand bleiben werden. Trotzdem muss August einen Katholiken als seinen Statthalter nach Dresden senden – er gibt dem Papst nach, der den neuen polnischen König als Speerspitze einer weiteren Gegenreformation betrachtet.

Krönung in Krakau

Allen Irrungen und Wirrungen zum Trotz gelangt der Sachsenherrscher schließlich ans Ziel seiner Träume: Am 27. Juni 1697 wird Friedrich August I. von Sachsen als August II. in Wola, dem traditionellen Wahlort der polnischen Könige vor den Toren Warschaus, zum Rex polonicus gewählt. Zehn Wochen später, am 15. September, zieht der Wettiner mit unvorstellbarem Pomp in die Krönungsstadt Krakau ein: Er reitet in einen Hermelinmantel gehüllt auf einem perlfarbenen Hengst, prahlt mit diamantenbesetztem Degengeschirr und Zaumzeug und zeigt sich in polnischer Nationaltracht, bevor ihm der Bischof von Kujawien, Stanisław Dąmbski, in der Wawelkathedrale die Krone aufs Haupt setzt.

Polen und Sachsen waren fortan in Personalunion miteinander verbunden – ein Bund zweier souveräner Staaten in der Hand des Wettiners, der neben dem sächsischen Kurhut nun auch die polnische Königskrone trug. Kursachsen war künftig in die europäische Politik einbezogen, und Dresden durfte sich als europäische Hauptstadt empfinden.

Die Steigerung des Dagewesenen | Immer noch einen draufzusetzen, ist Prinzip und höchste Kunstform im Barock. Mit Prachtbauten wie dem Zwinger erhebt August Dresden zur würdigen europäischen Hauptstadt und Kulisse bombastischer Feste, wie diese Karnevalsbelustigung »Caroussel Comique« von 1722.

In der Forschung wurde der Griff nach der polnischen Krone mitunter als »Abenteuer« eines von »Ehr- und Ruhmsucht« getriebenen, geltungssüchtigen Herrschers gedeutet. Das mag ein Motiv gewesen sein, aber nicht das ausschlaggebende, wie Frank-Lothar Kroll, Neuzeithistoriker an der TU Chemnitz, vermutet. Für Friedrich August war der Erwerb der polnischen Krone vielmehr Ausdruck eines im Barockzeitalter vorherrschenden Epochentrends: »Ansehen und Bedeutung eines Landes bemaßen sich im Zeitalter des von barockem Repräsentationsbedürfnis getragenen Absolutismus zuallererst nach dem Rang seines Herrschers innerhalb des tonangebenden Konzerts der großen Mächte. Als gleichberechtigter Mitspieler in diesem Konzert galten aus zeitgenössischer Sicht allein die souveränen Monarchen Europas, nicht hingegen die der Kaisermacht untergeordneten Reichsfürsten«, schreibt Kroll in der »Geschichte Sachsens«. Für den wettinischen Kurfürsten stellte der Erwerb der polnischen Königskrone eine Prestigefrage ersten Ranges dar. Durch sie war er nun auf Augenhöhe mit Europas gekrönten Häuptern.

Im Schatten des Zaren

Die Thronbesteigung verwickelte ihn aber sogleich auch in jenen ostmitteleuropäischen Konfliktherd, der Polen, Russland, Dänemark und jetzt auch Sachsen in einem Bündnis gegen die Großmacht Schweden zusammenführte.

Wie sein großes Vorbild Ludwig XIV. trachtete August der Starke nach militärischem Lorbeer. »Mein höchster Ehrgeiz ist Ruhm, wonach ich bis an mein Lebensende streben werde«, schrieb der Regent im Jahr 1697. Doch Augusts Schwäche ist seine Leichtgläubigkeit. Vom russischen Zaren Peter I. lässt er sich zu einem kriegerischen Abenteuer überreden, das ihn teuer zu stehen kommt. Im August 1698 treffen sich beide Monarchen in Rava bei Lemberg, um das gegen Schweden gerichtete Bündnis abzuschließen. Beide entbrennen so sehr in Liebe zueinander, dass sie die Kleider tauschen und ein viertägiges Fest veranstalten, bei dem sie ständig unter Alkoholdampf stehen. Die »Freunde« trinken sich Mut zu, denn es soll gegen Augusts schwedischen Vetter Karl XII. gehen. Man will ihm Livland abnehmen, das Schweden seit 1660 besetzt hält.

Doch mehr als dem Regenten eines von vielen Staaten abhängigen Landes guttun mochte, gab sich Friedrich August der Illusion hin, ein wettinisches Reich vom Erzgebirge bis zum Baltikum errichten zu können. Was verheißungsvoll begann, endete in einem politischen Desaster.

Im Großen Nordischen Krieg (1700-1721), den Friedrich August mit dem Einmarsch in Livland vom Zaun brach, bezogen die Bündnispartner so manche Prügel. Schweden besetzte Ende 1706 Teile Sachsens, und August musste zu allem Übel im Frieden von Altranstädt (1706/7) auch noch auf die polnische Krone verzichten, kaum zehn Jahre, nachdem er sie sich ergattert hatte. Nur den Königstitel durfte August weiterführen, ein Zugeständnis des Schwedenkönigs.

Der Goldene Reiter | Kein anderer als der Kurfürst und polnische König glänzt hier vom Ross herunter. Der »Goldene Reiter« auf Dresdens Neustädter Markt ist das berühmteste Denkmal der Stadt.

Zwar erhält er seine heiß geliebte Krone nach dem triumphalen Sieg Peters über die Armeen Karls XII. bei Poltawa (1709) wieder, doch steht er fortan »im Schatten Russlands«. Der Zar lässt August einfach links liegen. Nicht den Sachsen, sondern den Russen überlassen die Schweden am Ende das begehrte Livland.

Der außenpolitische Misserfolg im Nordischen Krieg legte Augusts gravierende Mängel auf dem diplomatischen Parkett wie auch seine begrenzten Fähigkeiten als Feldherr schonungslos offen. Ein Manko, das den Sachsenherrschern generell anzuhaften schien. Offenbar hatte Goethes Großonkel, Freiherr Johann Michael von Loen, August den Starken vor Augen, als er rückblickend den Sachsen ein unmilitärisches Wesen attestierte: Sie taugten nicht fürs Militär, »weil sie zu wollüstig und zu gemütlich sind«.

Dresden als monumentale Bühne

Dass Augusts Leben mehr von Glanz als von Gloria umgeben war, zeigt ein Blick auf die höfische Festkultur in seiner Residenzstadt Dresden. Das Prestige eines Barockfürsten manifestierte sich in der höfischen Welt Europas vor allem in monumentalen Bauten. Und was diese betrifft, konnte sich der Sachsenherrscher mit den anderen gekrönten Häuptern Europas mehr als messen. Friedrich August ließ Dresden zu einer strahlenden Kunst- und Kulturmetropole ausbauen, die zum höfischen Mittelpunkt europäischer Repräsentationskultur avancierte.

August baut sein Dresden zu einem architektonischen Juwel aus | In der Stadt an der Elbe schart er Kunstschaffende aus ganz Europa um sich. Die Stadtansicht von Bernardo Bellotto stammt aus dem Jahr 1748.

Auf seinem sächsischen Welttheater versammelte er namhafte Größen der Zeit, wie den Baumeister Matthäus Daniel Pöppelmann, unter dessen Leitung in relativ rascher Folge so berühmte Bauten wie der Zwinger (1711-1728), das Japanische Palais (1715), die Augustusbrücke (1727-1731) und der Neubau des Taschenbergpalais (1718-1720) entstanden, sowie dessen Kollege George Bähr, nach dessen Entwurf die Frauenkirche (1726-1743) entstand. Dieses Ensemble barocker Prachtbauten bildete die architektonische Bühne, auf der sich der sächsische Titan selbst in Szene setzte – als Hauptdarsteller und Regisseur von Gottes Gnaden.

Während die Stararchitekten die Kulisse für Augusts Elbflorenz schufen, brachten ihm die illustren Kunstsammlungen, wie etwa das Grüne Gewölbe mit seiner Kollektion von erlesenen Goldschmiedekreationen und wundersamen Kleinodien einen weit über die Grenzen Sachsens hinaus reichenden Ruf als Mäzen und Förderer der Künste und Wissenschaften ein.

Zu den schöpferischen Persönlichkeiten an Augusts Musenhof gehörte der berühmte Bildhauer Balthasar Permoser, der den Skulpturenschmuck für den Dresdner Zwinger schuf, oder auch der Naturforscher Ehrenfried Walther von Tschirnhaus, die Koryphäe der sächsischen Naturwissenschaften, dessen Forschungen unter anderem in der Erfindung des europäischen Porzellans mündeten. Nicht zu vergessen der Alchimist Johann Friedrich Böttger, der zwar kein Gold herstellen konnte, aber von Tschirnhausens Porzellanrezept zur Fabrikreife weiterentwickelte und in Meißen die erste Porzellanmanufaktur Europas schuf.

Kraftprotz und Frauenheld

Klappern gehörte zum Handwerk barocker Monarchen. Ihrem sozialen Rang in der europäischen Adelshierarchie mussten sie mit einer gnadenlosen Selbstdarstellung weithin sichtbaren Ausdruck verleihen. Augusts ostentativ zur Schau gestellte Leibeskraft diente nach Ansicht der Historikerin Kathrin Keller von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wohl auch der persönlichen Imagepflege des Sachsenherrschers. Gleich zu Beginn seiner Herrschaft, im Frühjahr 1694, hatte der Kraftprotz eine Medaille prägen lassen, die ihn als »Hercules Saxonicus« mit Löwenfell und Keule zeigt, den typischen Attributen des mythischen Helden.

Mindestens ebenso legendär wie Augusts körperliche Kraft waren seine Liebschaften. Auch sie standen im Dienst seines Strebens nach Selbstinszenierung. In der testosterongesteuerten Männerwelt des Barocks waren Frauen willkommene Komparsinnen auf der höfischen Bühne der Lustbarkeiten. Die hochwohlgeborenen Herren der Schöpfung wetteiferten in einem regelrechten Überbietungswettbewerb um die Schönen ihrer Zeit und ließen dies auch öffentlichkeitswirksam dokumentieren. Für August übernahm dies der preußische Schriftsteller Freiherr Karl Ludwig von Pöllnitz, der in seinem »La Saxe Galante«, einem viel gelesenen Decamerone, die amourösen Abenteuer des Sachsenherrschers auflistete.

Kaum im Amt stürzte sich Friedrich August in ein erotisches Abenteuer mit Gräfin Aurora von Königsmarck, einer attraktiven Schönheit, der er bei einem Kostümfest auf Schloss Moritzburg näherkam, und die Voltaire zufolge »die berühmteste Frau zweier Jahrhunderte« gewesen sein soll. Dass der Sachsenherrscher zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr mit der streng gläubigen Christiane Eberhardine von Brandenburg-Bayreuth verheiratet war (1693), der »Betsäule Sachsens«, störte den Don Juan von der Elbe wenig.

Liebe zum Vergnügen und zur Aufmerksamkeit

Doch auch die schöne Gräfin von Königsmarck blieb nur eine Episode im Liebesreigen des flatterhaften Lebemanns. Herzdamen wie die Kessel, die Esterle, die Lubomirska, die Denhoff, die Osterhausen und die Gräfin Anna Constantia von Cosel waren für Friedrich August nicht mehr als austauschbare Requisiten einer ständigen Inszenierung der Sinne. Geliebt hat er nach Aussage seines engsten Vertrauten, Jakob Heinrich von Flemming, nur zum Vergnügen und um Aufmerksamkeit zu erregen.

Übrigens duldete der galante Liebhaber es nicht, wenn eine seiner schönen Gespielinnen sich anmaßte, Einfluss auf die Politik zu nehmen, wie die Gräfin Cosel, die ihre Impertinenz mit fast 50-jährigem Hausarrest auf der Burg Stolpen bezahlte.

Die sexuellen Freiheiten, die sich der Wettiner herausnahm, blieben seinen Untertanen verwehrt. Drohte ihnen bei Ehebruch die Ausweisung aus Kursachsen, blieben Augusts Seitensprünge ohne Folgen. Ganz in der Vorstellung der Zeit, wonach ein souveräner Herrscher in allem seinem Tun und Handeln nur Gott gegenüber verantwortlich war.

Dass ein solcher Lebenswandel für allerlei höfischen Klatsch sorgte, verwundert nicht. Aus der geschwätzigen Feder der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, Lieblingsschwester Friedrich des Großen, stammt der Satz, dass August »eine Art Harem der schönsten Frauen seines Landes« unterhielt. Ferner, so die Markgräfin, soll die Potenz des Herrschers über 300 unehelichen Kindern zum Leben verholfen haben. Eine fantastische Zahl, die sicherlich maßlos übertrieben ist. Tatsächlich sind inklusive des Kurprinzen, Friedrich August II., nur neun von ihm anerkannte Kinder bekannt, die Sachsens Gottkönig auf Erden einmal, im Jahr 1728, zu einer gemeinsamen Familienfeier um sich scharte.

Partylöwe von der Elbe

Überhaupt die Feiern! Zur Zurschaustellung maßloser Pracht und verschwenderischen Prunks gesellte sich am Sachsenhof eine schier voluptuöse Vergnügungssucht. Laut Graf Flemming war Letztere eine der beherrschenden Leidenschaften seines Dienstherrn gewesen.

Augusts grobschlächtiger Nachbar und gelegentlicher Zechkumpan, Preußens Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., dem das Präsentieren von Gewehren wichtiger erschien als solches Allotria, rapportierte: »Was das liederliche Leben betrifft, so bin ich zwar nur zwei Tage hier, aber ich kann in Wahrheit sagen, dass ich dergleichen noch nie gesehen.«

Dresden bekam seinen Ruf als Partymeile Europas verpasst. Der Völlerei zugeneigt und sinnenfroh, liebte der exaltierte Sachsenherrscher rauschende Feste, oft tagelang und mit zehntausenden Komparsen, über alles, bei denen er sich als Bacchus inszenierte. Vor allem dem Trunk frönte er im Übermaß. Gleich reihenweise soll der königliche Quartalssäufer Fürstlichkeiten, Generale und Minister unter den Tisch getrunken haben. Als Oberbefehlshaber des Reichsheers wollen ihn die deutschen Generale sturzbetrunken in den Kampf gegen den Sultan haben reiten sehen.

Riesenstollen für den Soldatenkönig

»Die Steigerung des bisher Dagewesenen […]«, schreibt Helmut Neuhaus, emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, »war ein Grundprinzip im ständigen Konkurrenzkampf absolutistischer Fürsten.« August wirft gigantische Feuerwerke in die Waagschale, ausgerichtet zum Anlass des Besuchs des Dänenkönigs Friedrichs IV. 1709, veranstaltet Feierlichkeiten zur Vermählung seines Sohnes, die mehr als vier Wochen dauern, inszeniert aufwändige Jagden, rauschende Bälle, opulente Wasserspiele.

Sein »Lustlager« von Zeithain an der Elbe im Jahr 1730 setzt neue Maßstäbe bei der barocken Verquickung von Militär und Kulinarik: Der Preußische Soldatenkönig und sein Sohn, der spätere Friedrich der Große, müssen zusehen, wir ihr »dicker Vetter« unter klingendem Spiel die neustrukturierte, 30 000 Mann starke sächsische Armee vorführt, während Dresdner Bäcker einen Riesenstollen in einem eigens dafür erbauten Backofen herstellen, aus dem der monströse Striezel mit Walzen und Ketten herausgezogen werden musste.

Es war das letzte große Fest August des Starken. Er starb am 1. Februar 1733, um vier Uhr morgens, in Warschau mit 62 Jahren an der Zuckerkrankheit – eine Folge seines ausschweifenden Lebens.

Der Körper des Sachsenherrschers wurde in der Kathedrale zu Krakau beigesetzt. Das Herz brachte man in einer Kapsel nach Dresden in die katholische Hofkirche. Geblieben von ihm ist Dresden, jene prächtige, wiederaufgebaute Stadt.

Dem Land allerdings, dem er fast 40 Jahre vorstand, war die Geschichte nicht hold. Während des Siebenjährigen Kriegs (1756 bis 1763) verblasste Sachsens Glanz vor Preußens Gloria. 1763 ging den sächsischen Kurfürsten die teuer eingekaufte polnische Krone verloren. Seit 1806 regierte im Kurstaat mit Friedrich August I. wieder ein König – allerdings nicht von Gottes, sondern von Napoleons Gnaden, der Sachsen zu einem französischen Satellitenstaat degradierte. Auf der großen europäischen Bühne hatte Sachsen da längst ausgespielt.

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