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Immer nach Westen

Erstmals liegt der vollständig übersetzte und kommentierte Reisebericht des Antonio Pigafetta vor, welcher mit Ferdinand Magellan die Welt umrundete.

Im August 1519 legten fünf Schiffe im Hafen von Sevilla ab. Sie standen unter dem Kommando des portugiesischen Generalkapitäns Fernando Magellan, fuhren aber im Auftrag des spanischen Königs. Ihr Ziel war es, den westlichen Seeweg zu den Molukken zu finden, einer heute indonesischen Inselgruppe. Die Produkte der legendären Gewürzinseln – vor allem Nelken, Pfeffer und Muskat – wurden in Europa damals mit Gold aufgewogen. Im Erfolgsfall versprach die Expedition somit einen märchenhaften Gewinn. Dass daraus die erste Weltumsegelung werden sollte, wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

Eine aufgeteilte Welt

Wichtig war die Westroute vor allem deshalb, weil seit dem Vertrag von Tordesillas 1494 die Welt zwischen den beiden Seemächten Spanien und Portugal aufgeteilt war. Da Spanien die westliche Hälfte zugefallen war, versuchten die Schiffe die gefährliche Durchsegelung der portugiesischen Gewässer zu vermeiden, auch wenn damals noch unklar war, ob ein westlicher Seeweg zu den Molukken überhaupt existiert. Das war der Grund für jene Expedition, die 1519 auslief, sich 2019 zum 500. Mal jährte und in dem Zusammenhang vielfältig gefeiert wurde. Christian Jostmann, Hispanist, Historiker und Publizist, hat darüber bereits ein bemerkenswertes Buch verfasst: »Magellan oder Die erste Umsegelung der Erde«.

Jetzt legt Jostmann den erstmals vollständig übersetzten und kommentierten Reisebericht des Zeitzeugen Antonio Pigafetta vor. Über Pigafetta wissen wir nur, was er selbst über sich mitteilte. Demnach befand er sich – im Gefolge des päpstlichen Protonotars und Boten Francesco Chiericat – 1518 in Barcelona am Hof Kaiser Karls V. Dort erfuhr er von der geplanten Überseefahrt der kleinen Schiffsflotte in Sevilla. Von Fernweh gepackt und mit Empfehlungsschreiben ausgerüstet, traf Pigafetta im Frühsommer 1519 in Sevilla ein und traf dort den Expeditionskommandanten Fernando Magellan, der ihn in die Besatzung seines Flaggschiffs »Trinidad« aufnahm. Dies erstaunlicherweise, obwohl Pigafetta weder Ausbildung noch Erfahrung als Seemann mitbrachte und allenfalls literarische Kenntnisse über die Ozeane besaß. In der Heuerliste ist er als »sobresaliente« (deutsch: Ersatzmann) eingetragen, der keine spezielle Funktion an Bord wahrnahm und weniger verdiente als ein gemeiner Matrose. Die Reise trat er aber auch nicht des Geldes wegen an, sondern um selbst Erfahrungen zu sammeln und auszufahren.

Während der mehr als 1000-tägigen Expedition machte er ununterbrochen Notizen und schrieb auf, was ihm bemerkenswert erschien. Dabei kam ihm seine robuste Konstitution zu Hilfe: »… weil ich immer gesund war, hatte ich ohne eine einzige Unterbrechung jeden Tag geschrieben«. Diese Notizen sind zwar verloren. Doch 1523, zurück in Vicenza, machte er sich daran, einen zusammenhängenden Text auszuarbeiten. Er hinterließ der Nachwelt damit »den detailliertesten und lebendigsten (Reisebericht), den wir von der ersten Umsegelung der Erde besitzen, und zugleich eines der schönsten Reisebücher aller Zeiten« – so das Urteil Jostmanns.

Das Erstexemplar widmete Pigafetta 1524 dem damaligen Großmeister des Johanniterordens, jener religiösen Gemeinschaft, der er selbst spätestens seit 1523 angehörte. Heute ist das Werk noch in vier Handschriften erhalten, drei französischen und einer italienischen. Letztere ist die bedeutsamste, sie wird in der Biblioteca Ambrosiana in Mailand unter der Signatur L 103 sup. aufbewahrt. Da sie digitalisiert vorliegt, kann jede und jeder Interessierte sie am Bildschirm studieren. Jostmanns Übersetzung dieser italienischen Handschrift lässt insgesamt erkennen, dass er sein Metier beherrscht: methodisch als gelernter Mittelalterhistoriker, in der Kommentierung knapp, aber sicher, und die Übersetzung ist trotz möglichst enger Anbindung an den Text gut lesbar.

Man kann Pigafettas Reisebericht einerseits als spannende Erzählung lesen, die von Mühen und Nöten, Hunger und Krankheit, Entbehrungen und Ängsten einer Seefahrt zu Beginn des 16. Jahrhunderts handelt. Hinzu kamen Meuterei und Desertion sowie Schiffsverluste. Im März 1520 rebellierten die vier spanischen Kapitäne gegen den Portugiesen Magellan. Pigafetta sah hierin den eigentlichen Grund für ihren Hass auf den General: »weil er Portugiese war und sie Spanier«. Doch wie Jostmann herausarbeitet, entspricht das nicht der Wahrheit, denn die Kapitäne hatten durchaus Gründe für den Aufstand, den Magellan mit brutaler Gewalt brach. Als einziges Schiff blieb schließlich die »Victoria« übrig, die durch portugiesische Gewässer hindurch immer weiter nach Westen segelnd am 6. September 1522 wieder spanische Gestade sah, an Bord »nur mehr 18 Männer und der größte Teil krank«. Die schlimmste Katastrophe in den Augen Pigafettas aber war der Tod Magellans im Kampf mit Indigenen am 27. April 1521.

Andererseits lässt sich Pigafettas Werk als wissenschaftliche Publikation ansehen, die unter anderem interessante ethnologische und anthropologische Aspekte aufgreift. Mit Neugier beschrieb er die einheimischen Völker, wenngleich man nicht alles glauben darf – so dürfte der patagonische Riese mit einer »Stimme wie ein Stier«, »gut gebaut« und »so groß, dass wir ihm bis zum Gürtel reichten«, ins Reich der Fabeln gehören. An anderen Stellen wiederum gab er sehr genau wieder, was er sah: das Aussehen der Menschen, ihre Gebräuche, das soziale Gefüge, das Verhalten, ihre Ernährung und Kleidung (so vorhanden). Dabei schreckte er nicht davor zurück, zweideutige oder pikante Details zu beschreiben, etwa Methoden der Penis-Verzierung bei Indigenen: »Große und Kleine haben ihr Glied nahe der Eichel von einer Seite zur anderen mit einem Stäbchen aus Gold oder Zinn durchbohrt, so dick wie eine Gänsefeder (…) Sehr oft wollte ich mir das bei vielen Leuten ansehen, sowohl Alten als auch Jungen, denn ich konnte es nicht glauben.«

Geografen werden es zu schätzen wissen, wie Pigafetta die Lage der Inseln im Pazifik beschreibt, während Sprachwissenschaftler die kleinen Wörtersammlungen würdigen dürften, die mehrfach in seinen Bericht eingestreut sind. Insgesamt ist das Werk ein frühes Zeugnis der damals beginnenden Globalisierung. »Wenn sie dem König von Spanien gehorchen, den christlichen König als ihren Herrn anerkennen und uns Tribut entrichten wollten, wären wir ihnen freundlich gesinnt; wenn sie es aber gern anders hätten, sollten sie sich darauf gefasst machen, wie unsere Lanzen stächen«, ließ Magellan vor einem Gefecht gegnerischen Filipinos mitteilen – jenem Kampf übrigens, bei dem er zu Tode kam.

Jostmanns Ziel war es, Pigafettas Bericht »in authentischer und zugleich lesbarer Form einem größeren Publikum auf Deutsch zugänglich zu machen«. Das ist ihm mit diesem Buch rundum gelungen.

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