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Beredsamer Ausflug

Der Mathematiker Rudolf Taschner beweist einmal mehr, dass er ein großes Talent dafür besitzt, Geschichten über sein Fach zu erzählen.

Rudolf Taschner ist Professor für Mathematik an der Technischen Universität Wien, Österreichs Wissenschaftler des Jahres 2004 und Volksbildungspreisträger der Stadt Wien. Seit November 2017 betätigt er sich zudem als ÖVP-Abgeordneter im österreichischen Parlament und tritt als Experte für Bildungsfragen in Erscheinung. Mit großer Regelmäßigkeit veröffentlicht er Bücher, in denen er erfolgreich das Interesse seiner Leser für Mathematik weckt. »Spektrum der Wissenschaft« hat mehrere dieser Werke rezensiert, zuletzt »Vom 1x1 zum Glück« (2017).

Sein neuer Band untergliedert sich in fünf Abschnitte, deren Überschriften das aufgreifen, was der Verlag als »fulminante Reise entlang der Grenze von Mathematik und Philosophie« anpreist. Im Vorwort kündigt der Autor an, dass er »von Überraschendem und Unerwartetem« berichten wird, und tatsächlich bekommen die Leser zahlreiche verblüffende Ergebnisse aus der Welt der Mathematik geboten.

Der lange Bogen hin zum Buchthema

Auf statistische und wahrscheinlichkeitstheoretische Paradoxa folgen erstaunliche Erkenntnisse über das Unendliche sowie im dritten Abschnitt diverse geklärte und ungeklärte Fragen über Primzahlen. Das letzte Kapitel widmet der Autor dem Banach-Tarski-Paradoxon, in dem es darum geht, dass das mathematische Modell des Raums als Punktmenge gewisse Aspekte hat, die sich in der physikalischen Realität nicht wiederfinden.

Was es mit den Farben der Quadratzahlen auf sich hat, verrät der Autor erst im vierten Kapitel. Das erscheint sehr spät, schließlich ist mit diesem Thema das gesamte Buch überschrieben. Um dorthin zu gelangen, spannt er über mehr als 40 Seiten hinweg einen gewaltigen Bogen – beginnend mit der Frage, wie groß man drei quadratische Pinienpflanzungen anlegen müsste, damit vom Mond aus erkennbar wäre, dass es sich um eine Pythagorasfigur handelt. Anschließend erläutert er, wie schon Steinzeitmenschen hätten überprüfen können, dass ein in den Boden gerammter Stab tatsächlich senkrecht steht, und wie sie ihn etwa als Sonnenuhr hätten nutzen können. Es folgt ein Beweis des Satzes von Pythagoras, der allzu wortreich ausfällt, schließlich ist die Beweisfigur eigentlich selbstredend. Weiter geht der Autor auf pythagoreische Zahlentripel ein und erläutert, welche Berechnungsmethode Euklid in seinen »Elementen« angab, um solche Tripel zu finden. Über diverse zusätzliche Stationen – darunter die Irrationalität der Wurzel aus 2, die Weltbilder berühmter Gelehrter, Galileis Tuschzeichnungen von Mondkratern, das newtonsche Gravitationsgesetz, minimale Abstandsquadrate, Linsenfehler – stößt er endlich zu den fraunhoferschen Spektrallinien vor und somit zur Erklärung, was die Quadratzahlen mit den Farben zu tun haben. Demnach entdeckte der Schweizer Mathematiklehrer Balmer quadratische Zahlenverhältnisse bei den Frequenzen dieser Spektrallinien und damit eine geniale Begründung für ihre physikalische Erscheinung.

Taschners große Stärke ist es, Geschichten zu erzählen, was dieses Buch erneut bestätigt. Doch damit verbunden ist immer die Gefahr, dass er sich in seinen Erzählungen verliert, wie die obige Aufzählung vielleicht deutlich macht. Sich dessen wohl bewusst seiend, schreibt er im Vorwort, sein Buch sei ein Essay – eine Schrift also, die eher »dem Feuilletonistischen verpflichtet« ist. Gleichwohl behandelt er konkrete mathematische Probleme und Theorien, in deren Zusammenhang auch Terme und Gleichungen unvermeidlich vorkommen. Den Charakter des allzu Formalen versucht Taschner durch verbale Beschreibungen zu umgehen, was mitunter zu vermeidbaren Wiederholungen führt. Er selbst räumt an einer Stelle ein: »Eigentlich ist dies alles sehr einfach und bildhaft viel schneller zu begreifen als mit umständlichen wortreichen Erklärungen.« Da sei dann die Frage erlaubt, warum die vielen Worte?

Das Buch enthält eine Reihe von Tabellen und Grafiken, die das Verständnis des Textes fördern. Ärgerlich ist nur, dass man gelegentlich hin- und herblättern muss, weil zueinander gehörende Texte und Grafiken auf der Vorder- und Rückseite eines Blatts stehen.

Dem Autor kann man sicher nicht vorwerfen, ein langweiliges Buch verfasst zu haben. Und es ist fraglos erstaunlich, wer und was alles in dem Werk vorkommt. Viele Persönlichkeiten treten freilich nur in einem einzigen Satz auf, und man fragt sich: wofür? Warum beispielsweise war es für den Autor so wichtig zu erwähnen, dass Abraham de Moivre es nicht schaffte, das Basler Problem zu lösen? Welche Belege hat er dafür, dass dieser bedauernswerte hugenottische Emigrant, der in London ums Überleben kämpfen musste, Newton »hündisch« ergeben war, und wieso musste er das in diesem Zusammenhang unbedingt anführen?

Das umfangreiche Register am Ende des Buches ist gleichwohl ein Beleg für den großen Kenntnisreichtum Taschners, der stets aus dem Vollen schöpfen kann und als Vortragender ebenso wie als Buchautor seine Zuhörer- beziehungsweise Leserschaft zu fesseln vermag.

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