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Von Bach-Blüten bis Homöopathie

Die Ärztin Natalie Grams legt dar, warum Homöopathie nicht wirken kann und was uns die evidenzbasierte Medizin bringt.

"Natürlich" ist nicht gleichbedeutend mit "gut": So lautet ein Kredo von Natalie Grams. In ihrem neuen Buch entlarvt die Ärztin, die früher selbst als Homöopathin und TCM-Therapeutin gearbeitet hat, die falschen Versprechen diverser alternativer Behandlungsverfahren. Auch wegen dieser Vorgeschichte wirkt Grams glaubwürdig. Ihre spät gereifte Einsicht, dass homöopathische Mittel, die keinen Wirkstoff (mehr) enthalten, Menschen allenfalls mittels des Placeboeffekts helfen können (den aber alle möglichen Präparate vermitteln, nicht nur homöopathische), veröffentlichte sie 2015 im Buch "Homöopathie neu gedacht". Mit "Gesundheit!" liefert sie nun eine Fortsetzung.

Grams setzt sich unter anderem damit auseinander, warum so viele Patienten auf die Alternativmedizin setzen, wo diese ihre Grenzen hat und inwieweit wir unseren persönlichen Erfahrungen trauen können, wenn es darum geht, die Wirksamkeit einer Therapie zu beurteilen. Zudem erläutert sie die Grundlagen des wissenschaftlichen Denkens und das Prinzip der evidenzbasierten Medizin, die sie den Heilsversprechen der alternativen Medizin gegenüberstellt. Ausführlich beschreibt die Autorin bekannte und weniger bekannte alternative Heilmethoden, darunter Homöopathie, Schüßler-Salze, Bach-Blüten und anthroposophische Verfahren wie mineral- oder metallhaltige Arzneimittel, Farbtherapie und Heileurythmie. Sie zeigt auf, dass für deren Wirkung keine Belege existieren und der esoterische Überbau naturwissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht. Stattdessen gehen die Ansätze auf vorwissenschaftliche Konzepte wie das Gleichheitsprinzip ("Gleiches heilt Gleiches") und die Vier-Säfte-Lehre der Antike zurück.

Wenn Alternativmedizin lebensbedrohlich wird

Gefährlich wird die Alternativmedizin, wenn Menschen ihren Verheißungen vollständig vertrauen, wie die Eltern der 1995 an Krebs erkrankten Olivia. Die beiden Anhänger der "Germanischen Neuen Medizin" propagierten die "natürliche Heilung" durch die Selbstheilungskräfte des Körpers und verweigerten ihrer Tochter eine schulmedizinische Behandlung. Diese wurde erst möglich, nachdem die österreichischen Behörden den Eltern das Sorgerecht entzogen hatten. Auch Verschwörungstheorien kommen im Buch zur Sprache wie die Leugnung von Viren durch den deutschen Molekularbiologen Stefan Lanka, der sich damit 2015 die Auszeichnung "Das Goldene Brett vorm Kopf" der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung der Parawissenschaften verdiente. Zum Thema Impfen legt Grams dar, dass Impfstoffe sehr sichere Arzneimittel sind, die unzählige Qualitätskontrollen durchlaufen, in umfangreichen Studien getestet werden und bis heute etlichen Millionen Menschen das Leben gerettet haben. In aller Deutlichkeit widerlegt die Autorin Schritt für Schritt die verschiedenen Argumente der Impfgegner und räumt dabei auch mit der Mär auf, Impfungen könnten Autismus auslösen. Den entsprechenden Artikel aus dem Jahr 1998 hat die Fachzeitschrift "Lancet" längst zurückgezogen; die britische Ärztekammer entzog dem Verfasser Andrew Wakefield wegen unethischer Forschungsmethoden die ärztliche Zulassung.

Dass sich Homöopathie und Co. trotz ausbleibender Wirksamkeitsbelege großer Popularität erfreuen, erklärt Grams einerseits mit der intensiven Zuwendung, die der Patient durch den Alternativtherapeuten erfährt, und andererseits mit dem Irrglauben, die Präparate seien besonders "natürlich" und schonend. Sie macht klar, dass eine Wirkung ohne Nebenwirkung so gut wie ausgeschlossen ist, da jede Substanz, um zu wirken, in irgendeiner Weise in Körpervorgänge eingreifen muss – ganz gleich, ob es sich um eine "natürliche" oder eine "chemische" (sprich: artifizielle) Substanz handelt.

Die Autorin hält das deutsche Gesundheitssystem trotz Schwächen insgesamt für sehr leistungsfähig, sie sieht allerdings auch Handlungsbedarf. Für eine "vernünftige Medizin" müsse man die Bedingungen in der Schulmedizin so verändern, dass die Suche nach Alternativen unnötig werde – etwa, indem sich Ärzte wieder mehr Zeit für den einzelnen Patienten und das empathische Gespräch nehmen (können). Außerdem sei es sinnvoll, im Medizinstudium stärker als bisher das wissenschaftliche Denken zu vermitteln, denn viele Ärzte seien methodisch nicht gut ausgebildet. "Gesundheit!" ist ein wichtiges und mutiges Buch, das umfassend über pseudomedizinische Verfahren aufklärt und dabei viele einschlägige Mythen entzaubert.

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