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Lernforschung: Lernen: Mit Bewegung gehtÂ’s leichter

Heidelberg. Denken gilt den meisten Menschen als abstrakte, vom Körper losgelöste Fähigkeit. Unser Geist habe mit dem mechanisch funktionierenden Organismus wenig zu tun. Diese Vorstellung zweifeln immer mehr Forscher heute jedoch an, berichtet das Magazin "Gehirn und Geist" in seiner neuen Ausgabe (Heft 1-2/2013). Wie Experimente von Psychologen und Neurowissenschaftlern zeigen, beeinflussen Bewegungen und andere körperliche Vorgänge das Denken viel stärker als bisher angenommen.
Leib und Seele

So verändert zum Beispiel schon die Art und Weise, wie wir einen Stift übers Papier bewegen, unsere Kreativität. Michael Slepian von der Tufts University in Medford (USA) und Nalini Ambady von der Stanford University ließen Probanden entweder geschwungene oder kantige Formen auf einem Blatt nachzeichnen. Im anschließenden Kreativitätstest schnitten jene, die die eckigen Figuren kopieren sollten, im Schnitt schlechter ab!

Wie kommt es zu solchen Effekten? Der Blick ins Gehirn liefert eine mögliche Erklärung: Wenn wir uns erinnern, nachdenken oder rechnen, sind dieselben Areale des Gehirns aktiv, die Bewegungen steuern oder Formen und Farben wahrnehmen. Betrachten wir zum Beispiel einen Hammer, dann wird ein Netzwerk unterschiedlicher Hirnareale aktiv, zu dem auch der prämotorische Kortex (PMC) gehört – jene Region, die Bewegungen vorbereitet. Offenbar spult unser Denkorgan unmittelbar eine Art "motorische Gebrauchsanweisung" ab. Das Wissen um die Handhabung von Objekten lässt sich also nicht von unserem konzeptionellen Wissen ("Das ist ein Hammer.") trennen, resümierte der Psychologe Alex Martin von der University of Maryland in Bethesda.

Zum Hintergrund: Wahrnehmen, nachdenken, handeln – diese Funktionen sind im Gehirn nicht klar voneinander abzugrenzen. Wenn unser Körper nicht nur unsere Urteile und Emotionen beeinflusst, können wir ihn dann auch als Hilfsmittel zum Denken und Lernen nutzen? Diese Frage untersucht der Kognitionsforscher derzeit. Fast alle Kinder der Welt gebrauchen beim Rechnenlernen die Finger. Und das scheint für die Entwicklung ihrer Zahlenkompetenz von großer Bedeutung zu sein: Laut Studien können Erstklässler, die ein ausgeprägtes Körpergefühl in den Fingern haben, ein Jahr später auch besser mit Zahlen umgehen als Gleichaltrige mit weniger sensiblen Fingern.

Die Tübinger Psychologen Ulrike Cress und Hans-Christoph Nürk untersuchten 2012, ob gezielte körperliche Erfahrungen Kindern beim Mathelernen helfen. Verbessert sich beispielsweise ihr Gefühl für den Wert von Zahlen, wenn sie den Zahlenstrahl mit körperlichem Einsatz üben? "Mathe mit der Matte" heißt ein Projekt, bei dem Kinder auf einer digitalen Tanzmatte stehen, Zahlen vergleichen und je nachdem, ob eine Zahl größer oder kleiner ist, nach rechts oder nach links springen. Mit Zweitklässlern übten die Forscher einen Zahlenstrahl am Boden entlangzugehen und vorgegebene Zahl an der richtigen Stelle eintragen. Ergebnis der Studie: Die Kinder kennen anschließend nicht nur den Zahlenstrahl besser, sondern profitieren auch in anderen Bereichen der Mathematik. Die Kleineren können besser zählen, die Größeren leichter Additionsaufgaben lösen.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Gehirn&Geist, 1 - 2 / 2013
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