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Psychische Störungen: Macht Übergewicht psychisch krank?

Menschen mit Adipositas leiden häufiger an Depressionen, bipolaren Störungen und Ängsten. Warum das Gewicht trotzdem nicht die Ursache dafür ist, erklärt die Psychobiologin Katrin Giel.
Füße auf einer Waage, im Vordergrund liegt ein Maßband

Übergewichtige sind gemütlich, heiter und vergnügt.« Dieses Klischee ist weit verbreitet. In der Forschung kennt man es als die »Jolly fat«-Hypothese. Studien zeigen jedoch: Insbesondere für starkes Übergewicht gilt das leider nicht. Denn davon betroffene Menschen leiden öfter unter psychischen Störungen als normal- und leicht übergewichtige.

Als Richtmaß dient dabei meist der Body-Mass-Index (BMI). Dieser Wert setzt das Gewicht einer Person ins Verhältnis zu ihrer Körpergröße (kg / m2). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) legte die Grenze des Normalgewichts bei einem BMI von 25 fest. Alles darüber gilt als übergewichtig. Adipositas, also starkes Übergewicht, beginnt bei einem BMI von 30. Bei einer Größe von 1,68 Metern spricht man also ab 84,7 Kilogramm von Adipositas, bei 1,83 Metern ab 100,5 Kilogramm. 2016 fielen schätzungsweise 13 Prozent der Erwachsenen weltweit in diese Kategorie, weitere 23 Prozent waren übergewichtig.

Laut einer großen Studie unter US-Bürgern von 2006 ist starkes Übergewicht mit einem rund 25 Prozent höheren Risiko verbunden, an einer Depression, Angststörung oder bipolaren Störung zu erkranken. So litten 12,3 Prozent derjenigen mit einem BMI über 30 an Angststörungen und nur 9,8 Prozent aller übrigen Menschen, also der mit einem BMI unter 30.

Veränderter Hirnstoffwechsel, weniger Teilhabe, mehr Stigmatisierung: Die Ursachen sind vielfältig

Macht starkes Übergewicht demzufolge psychisch krank? Nein! Vielmehr begünstigen Übergewicht und psychische Erkrankungen sich gegenseitig. Dabei greifen biologische, psychologische und soziale Faktoren ineinander. Eine Depression etwa kann den Appetit steigern und den Schlaf beeinträchtigen. Beides führt dazu, dass man mehr isst. Eine leckere Mahlzeit kann zudem gedrückte Stimmung kurzfristig aufhellen. Diese Konstellation fördert langfristig eine Gewichtszunahme. Vermittelt wird das unter anderem durch Veränderungen im Hirnstoffwechsel, wobei der Botenstoff Serotonin eine wichtige Rolle spielt. Er ist sowohl an der Steuerung des Essverhaltens beteiligt als auch an der Gefühlsregulation.

Ist das Übergewicht erst einmal da, hat dies Folgen für den Hirnstoffwechsel sowie die Kommunikation zwischen Verdauungstrakt und Gehirn. So gerät oft das Sättigungsgefühl aus dem Lot, und es wird dauerhaft mehr Nahrung verzehrt. Außerdem können bestimmte Persönlichkeitseigenschaften sowohl die Entstehung von Übergewicht als auch psychische Erkrankungen begünstigen. Impulsive Menschen verlieren eher einmal die Kontrolle darüber, was und wie viel sie zu sich nehmen. Solche Essanfälle können derart ausgeprägt sein, dass man von einer »Binge-Eating-Störung« spricht. Hier kommt es ebenfalls zu biologischen Anpassungen, die das gestörte Essverhalten aufrechterhalten.

Und schließlich kann das Übergewicht selbst auf das Gemüt schlagen. Betroffene leiden oft unter einem engen Bewegungsradius und geringerer Teilhabe am öffentlichen Leben, aber auch an körperlichen Erkrankungen wie Diabetes. Das kann sozialen Rückzug, depressive Verstimmung und Ängste fördern. Viele Betroffene werden zudem in ihrem Umfeld ausgegrenzt und stigmatisiert.

Starkes Übergewicht und psychische Erkrankungen treten also häufig gemeinsam auf, dennoch gibt es keine allein gültige Erklärung dafür. Um den Betroffenen zu helfen, braucht es einen differenzierten Blick.

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  • Quellen

Giel, K. E. et al.: Food-related impulsivity in obesity and Binge Eating Disorder – a systematic update of the evidence. Nutrients 9, 2017

Herhaus, B. et al.: Depression, anxiety and health status across different BMI classes: A representative study in Germany. Journal of Affective Disorders 276, 2020

Puhl, R. M. et al.: Weight stigma as a psychosocial contributor to obesity. American Psychologist 75, 2020

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