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Freistetters Formelwelt: Wie groß ist das in Saarländern?

Große Zahlen verlangen nach kleinen Bundesländern. Aber helfen Vergleiche der Vorstellungskraft wirklich auf die Sprünge, fragt unser Kolumnist Florian Freistetter.
Ein Fußballfeld, kleiner als das Saarland

Als Astronom bin ich die Arbeit mit großen Zahlen gewohnt. Die Sonne hat eine Masse von 1,989 x 1030 Kilogramm. Die Erde ist im Durchschnitt 149 597 870 700 Meter von der Sonne entfernt. Das sind unhandliche Zahlen; rechnen lässt sich damit allerdings problemlos. Um die Mathematik ein wenig komfortabler zu machen, kann man natürlich auch andere Einheiten verwenden. Die Sonne hat das 333 000-Fache der Erdmasse. Die Erde ist so weit von der Sonne entfernt, dass das Licht zirka acht Minuten bis zu uns braucht. Das sind kleinere Zahlen, die wir Menschen besser verstehen. Aber sie sind deswegen nicht unbedingt leichter vorstellbar.

In den 15 Jahren, die ich in Deutschland verbracht habe, ist mir dieser Vergleich immer wieder begegnet:

Zugegeben, ich glaube nicht, dass ich irgendwann auf diese konkrete Umrechnungsformel gestoßen bin. Die Phrase »so groß wie das Saarland« und Variationen davon habe ich jedoch recht oft gehört. Als Österreicher konnte ich damit wenig anfangen; ich habe das Saarland bis jetzt auch nur zweimal besucht. Aber ich bezweifle, dass sich irgendwer wirklich eine vernünftige Vorstellung von der Größe des Saarlandes machen kann (ebenso wenig wie von mehr als 400 000 Fußballfeldern).

Sobald die Dinge den Bereich unserer Alltagserfahrung verlassen, wird es schwierig. Ich kann mir zum Beispiel sehr gut eine Dauer von acht Minuten vorstellen. Wenn ich schnell gehe, kann ich in dieser Zeit fast einen Kilometer zurücklegen. Wenn ich sehr schnell laufe, schaffe ich sogar zwei Kilometer. Aber ich kann mir beim bestem Willen keine Geschwindigkeit vorstellen, bei der ich in acht Minuten fast 150 Millionen Kilometer zurücklegen kann. Zu wissen, dass die Distanz zwischen Erde und Sonne acht Lichtminuten beträgt, ist praktisch – macht sie aber nicht zugänglicher.

Die legendärsten mathematischen Kniffe, die übelsten Stolpersteine der Physikgeschichte und allerhand Formeln, denen kaum einer ansieht, welche Bedeutung in ihnen schlummert: Das sind die Bewohner von Freistetters Formelwelt.
Alle Folgen seiner wöchentlichen Kolumne, die immer sonntags erscheint, finden Sie hier.

Es hilft mir noch weniger zu wissen, dass Österreich knapp 33-mal so groß ist wie das Saarland. Zumindest nicht, um diese Zahl direkt zu erfahren – wenn es um Flächen geht (also die Potenzen von Längen), ist unsere menschliche Vorstellungskraft tendenziell immer schlecht. Zumindest als Vergleichsgröße ist so ein Saarland unter Umständen jedoch praktisch. Immerhin weiß ich nun, dass Österreich zwar ein kleines Land ist, aber im Vergleich zu manchen deutschen Bundesländern doch eine relevante Größe hat.

Der britische Ökonom und Journalist Tim Harford, der sich im BBC-Podcast »More or Less« intensiv mit der Interpretation unverständlicher Zahlen aus den (Wirtschafts-)Nachrichten auseinandersetzt, empfiehlt daher auch, immer einen gewissen Vorrat an »landmark numbers« im Kopf zu haben, die als Vergleichsgröße dienen. Dazu zählt zum Beispiel die Bevölkerungszahl des Landes, in dem man lebt. Damit lassen sich schnell und ohne großen Aufwand praktische Abschätzungen durchführen. Im Budget von Österreich sind für 2021 etwa 681 Millionen Euro für den Punkt »Klima, Umwelt und Energie« eingeplant. Ist das viel oder wenig? Wenn ich weiß, dass die Einwohnerzahl 8,9 Millionen beträgt, kann ich das schnell (und mit ein wenig Übung sogar im Kopf) mit 365 Tagen multiplizieren. Das Resultat – gerundet 3250 Millionen – ist eine weitere »landmark number«, mit der Einheit »Menschentage«. Habe ich mir diese gemerkt, dann sehe ich sofort, dass die Zahl 681 Millionen für Klima, Umwelt und Energie deutlich kleiner ist, als sie auf den ersten Blick vielleicht wirken mag. Österreich gibt also im Jahr 2021 pro Einwohner und Tag sehr viel weniger als einen Euro dafür aus. 20 Cent, wenn man genau ist. Und das ist eigentlich ziemlich wenig, bedenkt man die Bedeutung dieses Thema für unsere Zukunft.

Zu wissen, wie groß das Saarland ist, kann praktisch sein. Ein paar »landmark numbers« sollten wir aber alle im Kopf haben. Es gibt viele Zahlen, bei denen wir verstehen sollten, ob sie groß sind oder nicht.

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