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Hemmer und Meßner erzählen: Kleine Geschichte einer OP an einem erlauchten Hinterteil

Es waren einmal ein König, sein Allerwertester und ein Chirurg. Kein Märchen, sondern eine medizinhistorische Revolution unter und an Ludwig XIV., wie unsere Kolumnisten berichten.
Porträt von Ludwig XIV., gemalt von Hyacinthe Rigaud (1659–1743).

Ludwig XIV., Sonnenkönig und Regent über Frankreich für 72 Jahre, war berühmt für seine Extravaganz. Nicht zuletzt der Umbau eines kleinen Jagdschlösschens bei Versailles zu einer der prächtigsten Schlossanlagen Europas zeugt heute noch davon. Der Einfluss Ludwigs auf die barocke Kultur Europas ist ebenso unbestritten wie – was jedoch kaum zur Sprache kommt – sein Einfluss auf die Medizingeschichte. Auf Grund der Aufzeichnungen seiner Leibärzte Antoine Vallot, Antoine d'Aquin und Guy-Crescent Fagon wissen wir recht viel über die diversen Leiden des Herrschers.

Die beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner bringen jede Woche »Geschichten aus der Geschichte« auf ihrem gleichnamigen Podcast. Auch auf »Spektrum.de« blicken sie mit ihrer Kolumne in die Vergangenheit und erhellen, warum die Dinge heute so sind, wie sie sind.
Alle bisherigen Artikel der Kolumne »Hemmer und Meßner erzählen« gibt es hier.

Als Ludwig im Jahr 1715 kurz vor seinem 77. Geburtstag starb, notierte man als Todesursache Gangrän, die durch Diabetes hervorgerufen wurde. Das passt zu einer weiteren Tatsache: Übermäßiger Zuckerkonsum schädigte seine Zähne nämlich derart, dass er im Alter von 40 Jahren nur noch über Reste eines Gebisses verfügte. Vielleicht aus diesem Grund wirken auf seinen Porträts die Wangen oft eingefallen. Die damalige Medizin hatte dem aber nicht viel entgegenzusetzen. Denn besonders raffiniert waren die Techniken von einst nicht, was sich etwa darin zeigte, dass dem König beim Ziehen eines faulen Zahns versehentlich ein Stück seines Oberkiefers und Teile seines Gaumens mit ausgerissen wurden.

Was ihm aber ab Mitte der 1680er Jahre zu schaffen machte, lag nicht in seinem Mundraum, sondern war am anderen Ende des Verdauungsapparats zu finden: am After.

Eine Fistel am Allerwertesten des Königs

Ludwig, der grundsätzlich sehr bedacht auf den Zustand seines Magendarmtraktes war – in Aufzeichnungen sind mehr als 2000 Darmspülungen vermerkt –, hatte sich einen schmerzhaften Abszess zugezogen. Wie das passieren konnte, ist ungeklärt. War’s vom Reiten? Vielleicht vom legendär seltenen Baden? Wir wissen nur, dass sein Leibarzt am 15. Januar 1686 eine Schwellung am After des Königs identifizierte. Im Februar notierte der Arzt, die Schwellung sei nun ein Abszess, im Mai platzte dieser auf, und nach weiteren Untersuchungen war klar: Ludwig hat eine Fistel.

Das Wort »fistula« stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Röhre oder Flöte. Es handelt sich dabei um einen eitrigen Gang, der sich in diesem Fall zwischen Enddarm und Haut gebildet hatte und im Allgemeinen durch Bakterien hervorgerufen wird. Genauer gesagt, war es eine perianale Fistel, also eine Entzündung um den After.

Um weitere Abszesse zu vermeiden, wurde beschlossen, die Fistel des Monarchen operieren zu lassen. Der Mann, der für diese Tat auserkoren wurde, war Ludwigs Leibchirurg, der ihn auch schon auf Feldzügen begleitet hat: Charles-François Félix de Tassy (1635–1703).

Der Chirurg verschaffte sich Zeit zum Üben

Eine Fistulotomie, wie eine solche Operation heißt, hatte der Mann allerdings noch nie durchgeführt. Nicht unproblematisch, da ein derartiger Eingriff mitnichten trivial war, sondern viel Fingerspitzengefühl erforderte und katastrophal schiefgehen konnte. Félix de Tassy handelte daher einen Zeitraum von sechs Monaten aus, um die Operation zu üben.

Aua! Das tut weh! | Das Gemälde von David Teniers dem Jüngeren (1610–1690) zeigt eine Operation am Kopf. Das Bild entstand in der Zeit um 1650. Damals war die Chirurgie ein grobes Handwerk.

Der König selbst ging mit seiner Erkrankung offen um – und so fieberte der gesamte Hof dem Eingriff wochenlang entgegen. Alle wollten wissen, ob und wie der Chirurg den König von seinem Leiden befreien könne.

75 arme Seelen kamen unter das Messer Félix de Tassys, bevor er sich schließlich dazu befähigt sah, die Operation an Ludwig selbst durchzuführen.

Wie verlief die OP?

Am 18. November 1686 war es schließlich so weit. Félix de Tassy war bereit, die wahrscheinlich wichtigste Operation seines Lebens durchzuführen. Ludwig lag auf dem Bauch, anwesend waren seine Mätresse Madame de Maintenon, sein Sohn, sein Beichtvater Père Lachaise und sein Leibarzt d'Aquin. Auch sein Premierminister Marquis Le Tellier de Louvois war vor Ort.

Félix de Tassy hatte für die Operation eigens ein Messer konstruiert: eine Kombination aus einem sichelförmigen Skalpell und einer Knopfsonde. Damit konnte er sowohl den Wundkanal sondieren als auch den für die Operation nötigen Schnitt durchführen. Mit Hilfe eines Spreizers und seiner eigenen Konstruktion glückte der Eingriff, auch wenn es für Ludwig kurze Zeit sehr schmerzhaft war.

Einen Monat später konnte Ludwig bereits das Bett verlassen, einige weitere Monate danach saß er auch schon wieder auf dem Pferd.

Die erste und einzige Fistulotomie des Félix de Tassy

Die Operation erlangte große Bekanntheit als »La Grande Opération« oder einfach nur »La Royale«. Der Hof soll von der Fingerfertigkeit Félix de Tassys derart begeistert gewesen sein, dass ihn mehr als 30 Personen gebeten haben, die Operation auch an ihnen durchzuführen. Da allerdings keine von ihnen an einer perianalen Fistel litt, kam es zu keiner weiteren Fistulotomie.

Auch die Verbände, die Ludwig während der Genesungszeit unter seinen Hosen tragen musste, sollen so beliebt gewesen sein, dass sie eine Zeit lang als modisches Accessoire am Hof galten.

Die schmerzhafte OP am königlichen Hintern brachte die Chirurgie voran

Der Chirurg Félix de Tassy hängte nach der Operation seinen Beruf an den Nagel. Angeblich weil es immensen Stress bedeutet hatte, den Eingriff vorzubereiten und durchzuführen. Es ist aber anzunehmen, dass der Adelstitel, der ihm danach verliehen wurde, und die stolze Pension, die ihm der König nun zahlte, Grund genug waren, sich zur Ruhe zu setzen.

Sein Vermächtnis sollte allerdings bedeutender sein als die Heilung des königlichen Afters. Denn bis dahin hatte die Chirurgie kein sehr hohes Ansehen genossen – »La Royale« änderte das. Durch seine geschickte Arbeit, die sich von den üblichen brachialen Behandlungsmethoden am Schlachtfeld deutlich unterschied, zeigte Félix de Tassy, zu was die Chirurgie tatsächlich im Stande war.

Laut Autor und Chirurg Arnold van de Laar, der in seinem Buch »Schnitt« auch die Episode über das Hinterteil des Sonnenkönigs beschreibt, entlarvte die Operation die Unwissenheit vieler Ärzte. Denn deren Behandlungsmethoden hatten sich seit Jahrhunderten kaum geändert und oft noch zusätzlichen Schaden angerichtet wie zum Beispiel der Aderlass. Die moderne Medizin dürfte also nicht unwesentlich vom schmerzlichen Leiden des Sonnenkönigs profitiert haben.

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