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Storks Spezialfutter: Grünes Wachstum in blühenden Landschaften

Beim Versprechen vom Grünen Wachstum fühlt sich unser Umweltkolumnist Ralf Stork an einen berühmten Ausspruch Helmut Kohls erinnert. Warum fehlt der Politik nur der Mumm zur Wahrheit?
Zwei junge Frauen machen es sich auf Liegestühlen im Grünen bequem
Das Konzept vom »Grünen Wachstum« suggeriert, dass alles so weitergehen kann wie bisher – nur ein bisschen grüner. Das macht es für die Politik attraktiv.

Der 1. Juli 1990 war ein historischer Tag für Deutschland. Ein gutes halbes Jahr nach der friedlichen Revolution der DDR wurde die Wirtschaft beider deutschen Staaten zusammengeschraubt. Die D-Mark, nach der sich viele Bürger und Bürgerinnen so sehr verzehrt hatten, wurde im Osten eingeführt. Das war ein schwieriges, ja sogar ein riskantes Unterfangen. In seiner Fernsehansprache zeichnete der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl trotzdem ein sehr positives Zukunftsbild: »Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt.«

Das »bald« wurde vom Kanzler kurze Zeit später noch mit einem konkreteren Datum versehen. Schon Mitte der 1990er hätte der Osten demnach in voller Blüte stehen sollen. Die Wahrheit sah dann doch etwas anders aus: Fast alle DDR-Unternehmen wurden abgewickelt. Noch Ende der 1990er lag die Arbeitslosigkeit im Osten bei etwa 25 Prozent. Außerdem gab es viele windige und wendige Geschäftemacher aus dem Westen, die die marktwirtschaftlich nicht vorgebildeten Neubürger über den Tisch zogen.

Das Versprechen der blühenden Landschaften war bestenfalls ein frommer Wunsch, schlimmstenfalls eine bewusste Wählertäuschung. Es suggerierte, dass man eine schnelle Wiedervereinigung ohne negative Auswirkungen für die Bevölkerung erreichen könne.

Die blühenden Landschaften von gestern sind dem »Grünen Wachstum« von heute gar nicht so unähnlich: In beiden Fällen geht es um eine herausfordernde Gegenwart, die irgendwie in eine rosige Zukunft münden soll, wobei der Weg dorthin allenfalls nebulös umrissen wird. Grünes Wachstum ist der schöne Gedanke, dass es dank technischer Innovationen möglich sein wird, wirtschaftliches Wachstum zu generieren und gleichzeitig den Verbrauch von Ressourcen und die CO2-Emissionen gegen null zu drücken. Es ist das Versprechen, dass jeder und jede weiter wie bisher konsumieren darf und nebenbei trotzdem das Klima gerettet wird. Das klingt großartig.

Kein Grünes Wachstum in Sicht

Allerdings gibt es bislang wenig Belege dafür, wie – beziehungsweise dass – so etwas klappen könnte. Die aktuellen Entwicklungen weisen in eine andere Richtung: Das Bundesumweltamt hat gerade den Projektionsbericht 2023 vorgestellt. Darin kommt es zu dem Schluss, dass »das Ziel der Netto-Treibhausgasneutralität bis 2045 (…) deutlich verfehlt« wird. Die von der Regierung gesteckten Ziele werden selbst dann noch gerissen, wenn geplante, aber noch gar nicht umgesetzte Reduzierungsmaßnahmen mit eingerechnet werden. Insbesondere der Verkehrssektor liegt bei dem projizierten Ausstoß klimaschädlicher Gase deutlich über den Zielvorgaben.

Auch nach eineinhalb Jahren im Amt hat es die Ampelregierung nicht hinbekommen, das Land auf den richtigen Klimapfad zu bringen. Man kann zu dem Schluss kommen, dass das genau so gewollt ist: Denn effektiver Klimaschutz hieße, dem Volk bittere Wahrheiten zuzumuten. Stattdessen wird, wie bei den blühenden Landschaften, die Aussicht auf Grünes Wachstum versprochen. Das kommt besser an als Tempo 120 auf Autobahnen oder die Einrichtung neuer Radwege auf Kosten einer Autospur.

»Der Umbau der Wirtschaft zur Klimaneutralität kostet etwas – auch den einzelnen Bürger«Veronika Grimm, Wirtschaftswissenschaftlerin

Das Grundproblem bleibt, dass die große Bevölkerungsmehrheit derzeit noch nicht die Notwendigkeit sehen will, sich für den Kampf gegen die Klimaerwärmung einzuschränken. Und dass der Politik Kraft und Einigkeit fehlen, den Wählern beizubringen, dass genau das nötig ist.

Das hat die Wirtschaftsweise Veronika Grimm vor Kurzem in einem Interview deutlich zur Sprache gebracht: »Fakt ist: In einer Phase mit sehr geringem oder sogar negativem Wachstum müssen sich die Menschen auf Härten einstellen. Es kommt zu realen Einbußen.« (…) »Wichtig ist mir, dass die Politik den Leuten reinen Wein einschenkt und deutlich macht: Der Umbau der Wirtschaft zur Klimaneutralität kostet etwas – auch den einzelnen Bürger«, sagte Grimm.

Das Einhegen des Klimawandels kann ohne Einschränkungen und Entbehrungen nicht gelingen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ein Weiter-so noch teurer und ungemütlicher werden würde, weil es die Krise bloß verschärft. Die Gesellschaft wird sich anpassen und verändern müssen. Diese Erkenntnis ist bei vielen Wirtschaftsfachleuten angekommen und in der Politik eigentlich auch. Die traut sich nur nicht, das offen zu kommunizieren, weil die Überbringer schlechter Nachrichten bei Wählern abgestraft werden.

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