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Vince Ebert extrapoliert: Was wäre, wenn "Bio" giftiger wäre als "Chemie"?

Fingerhut oder Eibe sind bekannt für ihre Gifte, doch auch unser Essen kann ziemlich ungesund sein. Wissenschaftskabarettist Vince Ebert hat sich im Giftschrank der Natur umgesehen.
Der Kabarettist Vince Ebert

Wenn heutzutage von gefährlichen Stoffen die Rede ist, geht es meist um Chemieunglücke, Pestizidskandale oder Dioxineier. Im Gegenzug gilt das, was die Natur hervorbringt, als gesund und lecker. Pustekuchen. In Wirklichkeit sind die fiesesten Gifte 100 Prozent "bio". Nüsse enthalten zum Teil Schimmelpilzgifte, Aflatoxine, die zu den stärksten Krebserregern gehören, die wir kennen. In Zwiebeln finden sich Furan-Derivate, die in höheren Dosen Leberschäden verursachen. Champignons beinhalten Krebs erregende Hydrazine. In Brokkoli findet man Glukosinolate, die die Nieren schädigen. Aber die Himbeere toppt alles: Mit ihren verschiedenen Aldehyden und Ketonen, diversen Säuren, Kohlenwasserstoffen und dem leberschädigenden Kumarin ist sie praktisch das Tschernobyl unter den Nahrungsmitteln. Würde ein großer Lebensmittelkonzern eine Himbeere künstlich herstellen, die dieselbe Zusammensetzung enthielte wie eine natürliche, würden sich vermutlich die Mitglieder von Foodwatch demonstrativ bei REWE an die Obsttheke ketten.

Natürlich soll hier nicht die Wirkung von Pestiziden verharmlost werden. Denn sie sind zweifelsfrei hochtoxische Substanzen. Doch innerhalb der Europäischen Union sind die Richtlinien und Grenzwerte sehr streng, und so stellen sie für den Verbraucher kein Risiko dar.

Nach einer Studie des Biochemikers Bruce N. Ames sind in Gewicht gemessen nur 0,01 Prozent aller gesundheitsgefährdenden Stoffe chemischen Ursprungs, also durch Menschenhand gemacht. Es ist unglaublich, aber 99,99 Prozent aller Giftstoffe produzieren Pflanzen ganz von selbst! Warum tun sie das? Welches Interesse hat eine Kartoffel, uns das Leben mit Alkaloiden, Arsen und anderen gruseligen Zusatzstoffen schwer zu machen? Nun, eine Kartoffel ist ja auch nur ein Mensch – zumindest von ihren Grundbedürfnissen her: Sie will stressfrei leben und dabei ihre Gene weitergeben. Eine Couch-Potato eben. Das kann sie aber nur, wenn sie nicht gefressen wird. Auch wenn es viele anders sehen: Eine Kartoffel ist nicht zwingend auf der Welt, um uns in Form von Chips, Gratin oder Pommes satt zu machen.

Um sich vor Feinden zu schützen, hat die Natur eine Vielzahl von Strategien entwickelt. Kaninchen und Gazellen schlagen Haken, Maulwürfe und Mäuse suchen Schutz in unterirdischen Gängen. Opossums und Beamte stellen sich bei Gefahr sogar tot. Natur bedeutet knallharten Krieg ums Überleben. Das finden wir beim Pandabären süß, beim Kolibakterium eklig. Das rangiert beim Kuschelfaktor ganz weit hinten. Aber unter dem Mikroskop sind auch seine Haare zu sehen. Möglicherweise hat so ein Kolibakterium sogar Gefühle. Wer weiß.

Bei Pflanzen dagegen sind die Verteidigungsmöglichkeiten wesentlich eingeschränkter. Von einem Kohlkopf, der sich tot stellt, lässt sich ein hungriges Karnickel nicht groß beeindrucken. Was also tun Pflanzen, um dem Sensenmann von der Schippe zu springen? Entweder sie tarnen sich wie die lebenden Steine, schmecken scharf wie Chili oder sind einfach – giftig! So was spricht sich nämlich bei Käfern, Maden und Pilzen ganz schnell herum.

Auch wir Menschen wissen natürlich davon. Wenn man beispielsweise die falsche Stelle der Kartoffel isst, kann man mindestens Bauchweh bekommen und sich im schlimmsten Fall sogar neben das Opossum legen. Dennoch verzehren wir – gesundheitlich vollkommen unbedenklich – 60 Kilogramm Kartoffeln im Jahr. Denn wir wissen ganz genau, wo die Kartoffel ihr Gift lagert. Dort, wo es ihr wichtig ist: an den Fortpflanzungsorganen. Sie wissen schon, das war die Sache mit den Blüten und Bienen.

Die Blüten und Beeren einer Kartoffel enthalten diverse Glykoalkaloide in hohen Dosen. Das Bekannteste ist das Solanin. Die Knolle, in der die Stärke und die anderen leckeren Nährstoffe lagern, ist dagegen ungiftig. Dort rüstet die Pflanze erst dann mit Gift auf, wenn sie beschädigt oder gestresst wird. Aber was stresst eine Kartoffel? Bei zu viel UV-Licht beispielsweise schlägt die Kartoffelzelle Alarm und rüstet auf mit Solanin. Erkennbar an den grünen Augen. Dort bildet die Knolle nämlich nicht nur ihr Gift, sondern parallel dazu auch Chlorophyll. Für uns Menschen ist das ziemlich praktisch. Wir schneiden einfach die grünen Augen raus und essen die Knolle ohne Gefahr. Dumm gelaufen für die Kartoffel. Man sollte die Intelligenz seiner Fressfeinde eben nie unterschätzen.

Mehr Infos zum Autor finden Sie unter www.vince-ebert.de.

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