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Leseprobe »Teamgeist«: Miteinander arbeiten – eine Frage des menschlichen Betriebssystems

Aus verschiedenen Persönlichkeiten ein Meisterteam zu formen – das gehört zu den größten Herausforderungen für alle Menschen, die in Teams arbeiten, diese führen oder trainieren und motivieren. Eine Leseprobe
Teamsport

Wir Menschen sind nicht die einzigen Lebewesen, die in Gruppen zusammenleben. Auch bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, ist das so. Sie leben in kleinen Einheiten und bilden ein funktionierendes Sozialsystem. Sie kümmern sich umeinander, pflegen Freundschaften und kämpfen gemeinsam gegen Feinde. Ihre Rudel sind hierarchisch organisiert und werden von einem »Alpha«, meist einem Männchen, angeführt. Dieses setzt sich nicht deshalb an die Spitze der Gruppe, weil es etwa das stärkste Tier ist. Nein, es steht hierarchisch gesehen ganz oben, weil es ein großes und stabiles Netzwerk von Unterstützern aufgebaut hat.

Damit das Zusammenleben der Schimpansen gut funktioniert, darf die Gruppe nicht zu groß sein. Die einzelnen Tiere müssen sich kennen. Zwei Tiere, die sich noch nie gesehen, nie Seite an Seite gekämpft und sich noch nie gegenseitig Läuse aus dem Pelz gesucht haben, wissen nicht, ob sie sich über den Weg trauen können und ob es sich lohnt, sich gegenseitig zu helfen. Je mehr Tiere in einer Gruppe leben, desto schwieriger wird es, die sozialen Bindungen aufrecht zu erhalten und desto schwächer werden sie. In der Natur bilden etwa 20 bis 50 Tiere eine typische Gruppe. Wird diese zu groß, dann spalten sich Subgruppen ab und ein neues Rudel entsteht. Verschiedene Gruppen von Schimpansen arbeiten eher selten zusammen. Viel eher konkurrieren sie um Gebietsansprüche und Futter oder sie bekämpfen sich [3].

Vielleicht denken Sie jetzt, dass dies auf uns Menschen in etwa ebenfalls zutrifft und die Gehirne von Schimpansen und Menschen sich ohnehin ähneln, da diese Tiere ja zu unseren nächsten Verwandten zählen. Da haben Sie Recht, noch also fehlt der entscheidende Unterschied. Worin liegt dieser nun?

Er liegt darin, dass sich im Laufe der Evolution das menschliche Gehirn anders entwickelte als jenes aller anderen Lebewesen. Damit ist nicht nur Größe oder Energiebedarf gemeint (im Ruhezustand bei Menschen 25 % der Körperenergie, bei Affen in etwa acht Prozent), sondern vor allem die allgemeine Funktionsweise. Im Laufe der Zeit etablierte sich eine Systematik, die wir im Sinne einer Analogie Betriebssystem [4] nennen.

Den Begriff »Betriebssystem« kennen Sie wahrscheinlich aus der Welt der Informationstechnologie. Ein Betriebssystem ist eine Zusammenstellung von Programmen, die die Ressourcen eines Computers verwalten und Anwendungsprogramme zur Verfügung stellen. Typische Aufgaben sind etwa die Benutzerkommunikation, das Laden, Ausführen und Beenden von Programmen, die Verwaltung des Speicherplatzes für Anwendungen, die Verwaltung und der Betrieb angeschlossener Geräte [5].

Ähnlich regelt das menschliche Betriebssystem die Art und Weise, wie wir kommunizieren. Es steuert die Programme, die unser Verhalten erklären und bestimmen, auf welche Inhalte wir bevorzugt reagieren. Dieses System hat sich im Laufe unserer Entwicklung bewährt, unser Überleben gesichert und uns an die Spitze der Nahrungskette gebracht.

Wie funktioniert nun das menschliche Betriebssystem? Wie hat uns die Evolution ausgestattet? Was ist die Basis für das Zusammenarbeiten von Menschen?

Im Großen und Ganzen besteht unser Betriebssystem aus drei verschiedenen Ebenen, die miteinander interagieren. Manches Mal unterstützen sie sich, manches Mal konkurrieren sie miteinander [6].

2.1 Das Antriebssystem – der Griff nach den Sternen

Zunächst finden wir in unserem Betriebssystem eine Ebene, die dafür sorgt, dass wir in der Lage sind, lebenswichtige Ressourcen aufzuspüren und Entwicklungen zu bewerkstelligen. Deshalb schaffen es unsere Vorfahren, Werkzeuge wie Faustkeile, Messer und Speerspitzen aus Stein herzustellen, sie entdecken das Feuer, erfinden das Rad, den Buchdruck, das Automobil und den Computer.

Die Evolution hat uns mit einem Antriebssystem im Sinne eines Effizienzstrebens ausgestattet. Es zeigt sich in der Neugier, die wir, insbesondere in der Kindheit, so vielen Dingen entgegenbringen. Durch dieses besondere Interesse sind wir in der Lage, Entdeckungen zu machen, Probleme zu lösen, Maschinen zu erfinden, die uns das Leben im Alltag erleichtern, zum Mond zu fliegen oder auch den Planeten Erde so auszubeuten, dass er unbewohnbar werden könnte.

Dieses Antriebssystem repräsentiert die Leistungsmotivation, die grundsätzlich jeden Menschen auszeichnet. Sie ist dafür verantwortlich, dass wir uns einer Aufgabe voll verschreiben, darin aufgehen und mit dem Erreichten zwar zufrieden sind, es nach kurzer Zeit aber trotzdem überbieten wollen. Wer einen 4000 m hohen Berg bestiegen hat, der möchte als nächstes auf einen höheren, noch anspruchsvolleren Gipfel klettern. Wer nach einer Gehaltserhöhung 2500 EUR im Monat verdient, strebt nach einiger Zeit danach, mehr zu verdienen.

Dieses Prinzip sorgt dafür, dass wir nicht stehen bleiben; es treibt uns an, nach immer besseren, höheren Leistungen zu streben und manchmal eben nach den Sternen zu greifen. Erfolg gebiert Verlangen.

Dabei gibt es jedoch einen gewichtigen Haken. Das Antriebssystem ist in der Hauptsache in der Sachebene angesiedelt; es geht um Aufgaben und Themen. In Anlehnung an die Themenzentrierte Interaktion, ein Konzept zur Arbeit in Gruppen von Ruth Cohn, geben wir ihm den Beinamen ES. Damit dieses System aktiviert wird, braucht es eine Herausforderung, die in ein konkretes Ziel übersetzt wird, das je nach individuellem Anspruchsniveau immer wieder korrigiert, verändert und angepasst wird. Wer unter dem Einfluss dieses Systems steht, möchte bei der Realisierung des Vorhabens richtig gut sein, die Aufgabe erfolgreich lösen und dadurch noch besser werden.

Die Aktivitäten im Antriebssystem beziehen sich auf das Selbst des Handelnden. Andere Personen sind dafür nicht unbedingt nötig. Im Gegenteil, sie können sogar als störend empfunden werden, sodass eine soziale Distanz aufgebaut wird. Wer ein Kreuzworträtsel oder Sudoku löst, will das in der Regel alleine tun und nicht gestört werden. In der Welt des Theaters würde man von einem Einpersonenstück sprechen. Wer es schafft und sein Ziel erreicht, fühlt ein Erfolgserlebnis, das häufig von den Emotionen Freude, Stolz und Zufriedenheit begleitet wird und zum nächsten Schwierigkeitslevel führt.

Auf dieser Ebene unseres Betriebssystems haben wir keine besonders gute Voraussetzung für Teamarbeit. Als ob jedoch die Evolution dieses Handicap ausgleichen wollte, hat sie uns zudem mit einem Beruhigungs- und Versöhnungssystem ausgestattet.

2.2 Das Beruhigungs- und Versöhnungssystem – der Wunsch nach Gemeinschaft

Als Menschen noch Jäger und Sammler sind, reichen einzelne, wenige Bezugspersonen für das Überleben nicht aus. Es muss unter anderem die Nahrung sichergestellt werden, es gilt Schutz und Hygiene zu gewährleisten sowie Geborgenheit und Sicherheit zu vermitteln. Eine Großfamilie, in der die Aufgaben gut verteilt sind, bietet dafür wesentlich bessere Chancen und hat einen Wettbewerbsvorteil. Dies ist aber nur ein Element des Beruhigungs- und Versöhnungssystems. Ein weiterer wesentlicher Aspekt besteht darin, dass wir Menschen schlichtweg emotionale Nähe brauchen, um uns zu entwickeln und um überleben zu können.

Jäger und Sammler sind schon in der Lage, in größeren Gruppen von Hunderten Menschen zusammenzuarbeiten, die einander nicht persönlich kennen. Diese Kooperation ist allerdings eher lose. Die verschiedenen Kleingruppen tauschen Informationen und begehrte Gegenstände aus und schließen sich zu religiösen Zeremonien und kriegerischen Allianzen zusammen. Den typischen Alltag verbringen sie jedoch in einer überschaubaren Gruppe.

Hinter dem Beruhigungs- und Versöhnungssystem verbirgt sich zum einen der Wunsch, positive Beziehungen zu anderen Menschen aufzunehmen, aufrechtzuerhalten und Teil einer sozialen Gruppe zu sein; zum anderen aber auch die Angst, alleine und einsam zu sein, zurückgewiesen oder verlassen zu werden. Es geht also darum, in Interaktion mit anderen Menschen zu treten, diesen näherzukommen, persönliche Begegnung sowie freundschaftliche Beziehungen aufzubauen und flexibel zu kooperieren. Durch Empathie, eine typische Fähigkeit dieser Ebene, schaffen wir es, uns in andere hineinzuversetzen, Mitgefühl zu zeigen, uns nach Konflikten wieder zu versöhnen und nach Auseinandersetzungen wieder zu beruhigen.

Das Gefühl, einer sozialen Gruppe anzugehören, ist für eine stabile und positive Identität wichtig. Der Gedanke »Ich gehöre dazu« oder »Ich bin ein Teil von …« vermittelt in der Regel Geborgenheit und Sicherheit, ist eng an Sympathie und Freude, Verbundenheit und Vertrauen gekoppelt. Studien deuten darauf hin, dass »ein befriedigendes Gruppenleben als soziales Heilmittel« gesehen werden kann, »das eine ebenso wichtige Rolle spielen sollte wie medizinische Versorgung, gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung« [7]. Es scheint die Belastungen des Alltags sehr wirkungsvoll mindern zu können, wenn man in einer sozialen Einheit gegenseitige Hilfe und Vertrauen erfährt.

Das Beruhigungs- und Versöhnungssystem sorgt dafür, dass die Mitglieder einer Gruppe das Gefühl bekommen, die täglichen Herausforderungen des Lebens besser meistern und kontrollieren zu können. Ein Grund dafür ist, dass meist jeder weiß, man könne Probleme in einer Gruppe besser lösen als alleine. Dadurch entsteht jene Bindung zur eigenen Gruppe, die wir Loyalität nennen.

Das Beruhigungs- und Versöhnungssystem repräsentiert damit die Bindungs- und Anschlussmotivation, es ist die Basis für Gefühle der Entspannung und des Wohlbefindens. Im Gegensatz zum Antriebssystem sind hier andere Personen zwingend notwendig; deshalb bezeichnen wir dieses System als WIR.

Im Unterschied zum Antriebssystem finden wir hier also eine günstige Voraussetzung für Teamarbeit – was man von der dritten Ebene, dem Bedrohungssystem, nicht unbedingt behaupten kann. Obwohl auch dabei andere Personen eine bedeutende Rolle spielen, ist gerade dieses System oftmals die Quelle von Problemen und Konflikten in Gruppen.

Literatur & Quellen

  1. Dieser Abschnitt stützt sich in der Hauptsache auf: Harari YN (2015) Eine kurze Geschichte der Menschheit, 24. Auf. Verlagsgruppe Random House, München, S 32 f
  2. Diesen Begrif haben wir etabliert, nachdem wir über die drei emotionalen Systeme gelesen haben, die Paul Gilbert von der University of Derby beschreibt. Psychologie Heute, 12, 2017, S 39
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Betriebssystem. Zugegrifen: 28. Okt. 2018
  4. Zeyringer J (2010) Balance als Führungsstrategie. Haufe Verlag, Freiburg
  5. Schäfer A (2015) Gemeinsam glücklich. Warum Gruppen unser Leben bereichern. Psychologie Heute 6, 2015, S 18 f.

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