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Die Frühzeit der Erde

Radiometrische Verfahren zur Altersbestimmung haben riesige Zeiträume der geologischen Entwicklungsgeschichte erschlossen. Damit erhält man sogar Einblick in die Bildungsphase und in die Driftbewegung der ersten Kontinente.

Der Zerfall radioaktiver Isotope ermöglicht Altersbestimmungen über geologische Zeiträume. Mit Hilfe solcher radiometrischer Verfahren vermochte man den Ablauf der Erdentwicklung aufzuklären und das Alter unseres Planeten zu etwa viereinhalb Milliarden Jahren zu bestimmen. Die frühesten Stadien der Erdgeschichte aber, in denen sich der große Eisenkern und die leichten, beweglichen Kontinente herausbildeten, waren bisher kaum datierbar, weil vielerlei Prozesse sozusagen den Nullpunkt der radioaktiven Uhr verstellt haben.

Infolge der Kontinentaldrift versinkt zwischen den Landmassen liegender Meeresboden in den heißen Erdmantel. Dort, wo Kontinente zusammenstoßen, bilden sich Faltengebirge. Glutflüssiges Tiefenmaterial kann das Kontinentalgestein durchbrechen und sich als Lava über die Oberfläche ergießen. Durch Erosionsprozesse werden Berge abgetragen, und vieles von dem Material lagert sich schließlich als Sediment in den ozeanischen Gräben ab, von wo es ebenfalls in den Erdmantel zurückkehrt.

Mit zunehmend feineren Methoden aber entlocken Geowissenschaftler mittlerweile den bislang stummen Gesteinen Informationen über früheste Ereignisse der Erdgeschichte. Die Untersuchungen alter Mineralien enthüllen, wann die ersten Kontinente entstanden sind und wie ausgedehnt sie waren. Auch finden sich immer mehr Indizien, daß die Plattentektonik im Gegensatz zu manchen theoretischen Erwartungen fast während der gesamten Zeit seit Bildung der festen Erdkruste auf ähnliche Weise wirksam war wie heute. Die jüngsten Entdeckungen sind gleichsam die noch fehlenden Puzzlestücke, mit denen sich unser Bild von der anfänglichen Phase der Erdentstehung, in der sich viele der typischen Merkmale unseres Planeten herausbildeten, vervollständigt.

Um die Frühzeit der Erde zu enträtseln, wenden Geophysiker mehrere radiometrische Datierungsverfahren an, von denen jedes seine Stärken und Schwächen aufweist. Alle beruhen aber auf der Messung der relativen Häufigkeiten eines radioaktiven Isotops und seines Tochterisotops, das ebenfalls radioaktiv sein kann; am Ende einer solchen Zerfallsreihe entsteht ein stabiler Atomkern. Kennt man die Wahrscheinlichkeit, mit der ein radioaktives Isotop innerhalb einer Zeiteinheit zerfällt (sie läßt sich im Labor mit großer Präzision messen), kann man aus der relativen Isotopenhäufigkeit ermitteln, wie lange sich die Zerfallsprodukte in einer Gesteinsprobe angereichert haben. Daraus erhält man unter Berücksichtigung anderer Beobachtungen viele Einblicke in die geologische Entwicklung.

Uran-Blei-Methode

Bei der beharrlichen Suche nach den ältesten kontinentalen Überresten bestimmt man hauptsächlich die Häufigkeit von Uran-Isotopen. Da Uran sich nach mehreren Zerfallsschritten letztlich in das stabile Blei umwandelt, bezeichnet man das Verfahren auch als Uran-Blei-Methode.

Sie ist gut anwendbar, da sich gewöhnlich aus Zirkonkristallen hinreichende Mengen an Uran und Blei extrahieren lassen. Solche Kristalle sind häufig in granitischen, in metamorphen und in einigen vulkanischen Gesteinen sowie in Sedimenten zu finden, die von derartigen Gesteinen herrühren. Zirkone sind zudem äußerst hitze- und verwitterungsbeständig, so daß sie auch unbeschadet in Gesteinen überdauert haben können, die einer oder mehreren Umwandlungsphasen unterworfen waren.

Eine mögliche Fehlerquelle bei der Uran-Blei-Methode ist, daß Gesteine unter hohen Temperaturen und Drücken einen beträchtlichen Teil ihres Bleigehalts verlieren können, wodurch die radiometrische Uhr zurückgestellt wird. George W. Wetherill von der Carnegie-Institution in der US-Bundeshauptstadt Washington zeigte jedoch 1956 eine Lösung dieses Problems auf. Sein Verfahren beruht darauf, daß die beiden häufigsten Uran-Isotope, Uran-238 und Uran-235, unterschiedliche Zerfallsreihen haben: Uran-238 zerfällt letztlich zu Blei-206, Uran-235 zu Blei-207. Somit läßt sich bei uranhaltigen Mineralien das Alter anhand zweier unabhängiger Quellen abschätzen.

Wetherill bestimmte die relativen Häufigkeiten für die beiden Uran-Blei-Reihen in einer großen Anzahl von Proben und trug sie graphisch gegeneinander auf. In einem solchen Diagramm liegen Proben, die nie störenden Prozessen unterworfen waren und deshalb perfekte Uhren darstellen, auf einer Linie, die Wetherill als Konkordia-Kurve bezeichnete. (Diese Kurve spiegelt lediglich den nach mathematischen Gesetzmäßigkeiten ablaufenden Zerfall der beiden Uran-Isotope 235 und 238 wider.)

Wetherill bemerkte, daß er so das Alter einer Gruppe gleichaltriger Proben auch dann zu bestimmen vermochte, wenn das Gestein während einer Umwandlungsphase eine große Menge Blei verloren hatte. Dies funktioniert, weil die chemischen Eigenschaften von Blei-206 und Blei-207 identisch sind und daher unter gleichen Bedingungen gleiche Anteile beider Isotope aus dem Material entweichen. Mißt man also die relativen Häufigkeiten von Uran und Blei in Gesteinsproben und trägt sie wie beschrieben auf, so fallen alle Meßpunkte auf eine Gerade unterhalb der Konkordia-Kurve. Diese Gerade schneidet die Kurve in zwei Punkten, die dem Zeitpunkt der Kristallisation beziehungsweise der Umwandlung entsprechen (siehe Kasten auf Seite 78).

Bei Zirkonen kann die Uran-Blei-Methode unzuverlässig sein, weil die Kristalle häufig eine Schichtstruktur aufweisen, in der jüngeres Material den ursprünglichen Kern umschließt. In den siebziger Jahren zeigte aber Thomas E. Krogh vom Royal Ontario Museum in Toronto (Kanada), wie man Zirkone abschleifen muß, um ihre Kerne zu isolieren. Auch wies er nach, daß die Uran-Blei-Verhältnisse der Zirkonkerne häufig auf Wetherills Konkordia-Kurve zu liegen kommen; daraus schloß er, daß die inneren Bereiche der Kristalle nicht chemisch verändert sind und in ihnen noch der tatsächliche Zeitpunkt der ersten Kristallisation gespeichert ist.

In den achtziger Jahren verfeinerten William Compston und Steven Clement von der Australischen National-Universität in Canberra die Verfahren zur Datierung von Zirkonen weiter. Anstatt den gesamten Kern auf einmal zu analysieren, wie man es bis dahin getan hatte, versuchten sie seine chemische Zusammensetzung – und damit sein Alter – punktuell in verschiedenen Bereichen zu bestimmen. Mit der von ihnen konstruierten ultrahochauflösenden Ionen-Mikrosonde (kurz SHRIMP nach englisch super high-resolution ion micro-probe genannt) konnten sie eine Probe einem scharf fokussierten Teilchenstrahl aus Sauerstoff-Ionen (Strahldurchmesser 25 Mikrometer) aussetzen. Sie zielten damit auf die Innenfläche von halbierten Zirkonkristallen, und die aufprallenden Ionen schlugen Uran- und Bleiatome aus dem Kristallgitter heraus, die dann in einem Massenspektrometer getrennt und gezählt wurden.

Im Jahre 1983 lieferte SHRIMP bemerkenswerte neue Daten über das Alter der Erdkruste. Derek O. Froude von der Australischen National-Universität begann gemeinsam mit Compston und anderen eine Meßreihe an Zirkon-Einkristallen in Quarzit (metamorphem Sandstein) vom Mount Narryer in Westaustralien. Von früheren Arbeiten wußte man, daß in diesem Gebiet etwa 3,6 Milliarden Jahre altes Gestein zu finden ist. Froudes Arbeitsgruppe untersuchte nun ausführlich 20 Zirkonkristalle aus einer Probe, und vier ergaben Blei-Uran-Daten, die auf ein Alter von 4,1 bis 4,2 Milliarden Jahren hinwiesen (das bis dahin älteste bekannte irdische Gestein, das Stephen Moorbath von der Universität Oxford in England und seine Mitarbeiter auf 3,8 Milliarden Jahre datiert hatten, stammte aus dem Südwesten Grönlands.) Die anderen 16 Zirkone lieferten Isotopen-Verhältnisse, deren Werte sich entlang dreier Geraden gruppierten; diese schnitten die Konkordia-Kurve an Punkten, die einem jeweiligen Alter von etwa 3,75, 3,3 und 3,1 Milliarden Jahren entsprachen (Bild Mitte im Kasten auf Seite 78).

Froude schloß daraus, daß die Zirkone mit einem Alter von 4,1 bis 4,2 und von 3,75 Milliarden Jahren sich lange vor ihrem Einschluß in den umgebenden Quarzit gebildet hatten. Irgendwie waren sie aus ihrem Muttergestein herausgelöst und in ein Sediment eingelagert worden, aus dem dann unter gewaltiger Druck- und Hitzeeinwirkung die Formation des Mount Narryer entstand. Die Bildung der jüngeren Zirkone (mit einem Alter von 3,3 und 3,1 Milliarden Jahren) begann wahrscheinlich in dieser Umwandlungsphase.

Da Zirkone vorwiegend in kontinentalen, hingegen kaum in ozeanischen Gesteinen enthalten sind, weisen diese Befunde darauf hin, daß sich bereits vor mehr als vier Milliarden Jahren das erste Kontinentalgestein gebildet hatte. Allerdings scheinen die Zirkone die einzigen erhaltenen Überreste davon zu sein.

Das älteste Krustengestein

Im Jahre 1989 gelang es Samuel A. Bowring, der damals an der Washington-Universität in Saint Louis (Missouri) tätig war, gemeinsam mit Compston und dessen Universitätskollegen Ian S. Williams die Existenz intakter Gesteine nachzuweisen, die fast so alt wie die australischen Zirkone sind. Sie untersuchten mit SHRIMP Proben von Acasta-Gneis, einer kleinen Formation metamorphen Gesteins südöstlich des Großen Bärensees in den Nordwest-Territorien Kanadas (Bilder 1 und 2). Bereits zuvor hatte Bowring mit Hilfe von Kroghs Abschleiftechnik gezeigt, daß einige Zirkone daraus mindestens 3,8 Milliarden Jahre alt sind. Er vermutete deshalb, daß man mit SHRIMP im Inneren dieser Kristalle Relikte aus noch früheren Zeiten finden könne. Deshalb flog er mit Zirkonen aus zwei Proben von Acasta-Gneis nach Canberra.

Die Wissenschaftler untersuchten dort insgesamt 82 Stellen auf 53 Zirkonen und stellten die Ergebnisse in einem Wetherill-Diagramm dar. Die Werte für das Uran-Blei-Verhältnis beider Proben lagen fächerförmig nahe der Konkordia-Kurve zwischen 3,6 und 3,96 beziehungsweise zwischen 3,8 und 3,96 Milliarden Jahren. Daraus schlossen Bowring und seine Kollegen, daß die ältesten Zirkone den Zeitpunkt der ersten Gesteinskristallisation dokumentierten; die Streuung der Meßwerte deuteten sie als Auswirkung von mindestens zwei Umwandlungsphasen, einer ersten wenige hundert Millionen Jahre nach der Kristallisation und einer weiteren vor ungefähr zwei Milliarden Jahren.

Sollte diese Interpretation zutreffen, wäre der Acasta-Gneis der metamorphe Überrest der ältesten bekannten festen Gesteinsformation auf der Erdoberfläche. Fast gleichaltrige Gesteine haben Geologen in Grönland, Labrador und Westaustralien entdeckt. Lance P. Black vom Amt für Bodenschätze in Canberra und andere, die ebenfalls SHRIMP eingesetzt haben, berichteten kürzlich sogar über die Entdeckung von 3,87 Milliarden Jahre alten Zirkonen in der Antarktis.

Angesichts dieser Befunde ist kaum zu bezweifeln, daß im Laufe der ersten 700 Millionen Jahre der Erdgeschichte zumindest kleine Bereiche kontinentalen Gesteins an der Oberfläche vorhanden waren. Warum aber sind mehr als vier Milliarden Jahre alte Krustengesteine extrem selten? Vermutlich ist dies nicht allein auf die Plattentektonik zurückzuführen. Vielleicht hatte die Erde bereits kurz nach ihrer Entstehung eine ausgedehnte Kruste, die durch heftiges Meteoriten-Bombardement zerstört und wieder mit dem Erdinneren vermischt wurde. Gewaltige Konvektionsströme, angetrieben von der enormen Hitze im Inneren des neuen Planeten, mögen die Zersplitterung verfestigter Schollen unterstützt und viele Bruchstücke in die heißen Tiefen gerissen haben.

Allerdings häufen sich die auf geochemischen Befunden beruhenden Anzeichen dafür, daß die Gesamtmenge kontinentalen Krustenmaterials vor etwa vier Milliarden Jahren verschwindend gering war; so sind Messungen der relativen Isotopenhäufigkeit von Neodym, Strontium und Blei in der kontinentalen und ozeanischen Kruste zu interpretieren. Erst vor etwa 3,8 Milliarden Jahren begann demnach der Erdmantel, sich in leichtere und schwerere Komponenten zu trennen, wodurch nun das Rohmaterial für die Kontinente zur Verfügung stand. Diese scheinen dann rasch bis vor ungefähr 2,5 Milliarden Jahren an Größe zugenommen zu haben.

Paläomagnetische Messungen und Kalium-Argon-Datierung

Welche inneren dynamischen Prozesse spielten sich in dieser Phase des schnellen Kontinentwachstums ab? Meine Arbeitsgruppe in Toronto hat sich gemeinsam mit Alfred Kröner von der Universität Mainz und Michael O. McWilliams von der Universität Stanford (Kalifornien) damit befaßt, indem wir das Ausmaß der frühen Kontinentalverschiebung betrachteten.

Die kontinentalen Bewegungen in der jüngeren Vergangenheit lassen sich anhand der im Meeresboden gleichsam eingefrorenen Richtung des Erdmagnetfeldes aufspüren. Ozeanische Kruste wird bei der gegenwärtigen Verteilung von Land und Meer aber nur etwa 200 Millionen Jahre alt; dann haben auch die von den mittelozeanischen Rücken entferntesten Ränder kontinentale Massen erreicht und sinken in den Erdmantel zurück, so an den Tiefseegräben vor der asiatischen Küste.

Will man Kontinentalverschiebungen bestimmen, die vor mehr als zwei Milliarden Jahren stattgefunden haben, muß man auch Messungen des inneren Magnetismus von Gesteinen heranziehen. Beim Erkalten von Lava oder bei der Bildung von Graniten in den äußeren Erdschichten werden im Gestein enthaltene Eisenoxide in Richtung des jeweils dort herrschenden Erdmagnetfeldes magnetisiert (die Eisenoxidkristalle verhalten sich wie kleine Stabmagneten, die zum magnetischen Nordpol weisen). Aus der auf diese Weise eingefrorenen Magnetisierungsrichtung kann man ablesen, wie weit das Gestein beim Erkalten vom magnetischen Pol entfernt war. Die Magnetisierung von Proben unterschiedlichen Alters vom gleichen Ort gibt daher im Prinzip Auskunft darüber, wie weit sich der Kontinent in der Zwischenzeit bezüglich des Pols bewegt hat.

Das Gestein verliert zwar seine ursprüngliche Magnetisierung, wenn es über eine bestimmte kritische Temperatur erhitzt wird; beim Erkalten nimmt es eine neue Magnetisierung an, deren Richtung gänzlich anders sein kann, falls der Kontinent in der Zwischenzeit seine Breitenlage erheblich geändert hat. War aber die Erhitzung nicht vollständig, bleiben einige ursprüngliche magnetische Bezirke erhalten. In diesem Falle lassen sich zwei urzeitliche Pollagen ablesen: eine zum Zeitpunkt der Kristallisation des Gesteins und eine zweite während der erneuten Abkühlung in der Umwandlungsphase. Da alle bekannten präkambrischen Gesteine Erwärmungsphasen durchlaufen haben, kommt es also darauf an, ihre thermische Vorgeschichte aufzudecken, um ihren wahren magnetischen Informationsgehalt entschlüsseln zu können.

Mit einem anderen radiometrischen Datierungsverfahren, der Kalium-Argon-Methode, läßt sich manchmal sowohl das Alter magnetisierten Gesteins bestimmen als auch ermitteln, ob und in welchem Ausmaß es seit seiner Bildung erhitzt worden ist. Das Isotop Kalium-40, das nur mit einem geringen Anteil im natürlich vorkommenden Kalium enthalten ist, zerfällt mit einer Halbwertszeit von 1,3 Milliarden Jahren zu Argon-40. Anhand der Menge dieses schweren Isotops des Edelgases Argon in kaliumhaltigen Mineralien kann man ausrechnen, wann sie sich verfestigt haben.

Den Geochronologen haben Kalium-Argon-Datierungen geholfen, eine absolute Zeitskala der biologischen Evolution in den letzten 500 Millionen Jahren aufzustellen. Für noch frühere Zeiträume ist diese Methode jedoch problematisch, da Argon bei der Gesteinsmetamorphose durch Erhitzen aus dem Mineral entweicht. Deshalb eignet sich die Uran-Blei-Methode zusammen mit einem anderen, seltener genutzten Verfahren, bei dem man Rubidium- und Strontium- Isotope mißt, besser zur Datierung der ältesten Gesteine.

Andererseits bietet gerade der Umstand, daß der Lauf der Kalium-Argon-Uhr leicht gestört werden kann, einen diese Schwäche aufwiegenden Vorteil: Daraus ergeben sich Indizien für die thermische Entwicklungsgeschichte eines Gesteins, aus der man wiederum dessen magnetische Vorgeschichte erschließen kann. So hat man viele Arten von Mineralien daraufhin untersucht, wie leicht sie bei Erhitzung eingeschlossenes Argon abgeben. Demnach verliert die verbreitete Hornblende kaum Argon; nur bei großer Hitze (über 500 Grad Celsius) entweicht es teilweise. Die Mineralien Muskovit und Biotit, zwei Glimmermodifikationen, geben das Edelgas bei Temperaturen zwischen 250 bis 350 Grad Celsius ab. Das andere Extrem ist Feldspat – er verliert es schon unterhalb von 200 Grad Celsius.

Der Kaapvaal-Kraton

Vielversprechend für die Suche nach Anzeichen einer Kontinentaldrift in der Frühzeit der Erde waren insbesondere bemerkenswert gut erhaltene Gesteine im Grünsteingürtel des Barberton-Gebirgslands an der Grenze zwischen Südafrika und Swaziland. Die Felsformationen sind Teil des Kaapvaal-Kratons, eines stabilen, äußerst alten Stücks Erdkruste, und bestehen aus einer Vielzahl vulkanischer, mit jüngerem Granit durchsetzter Gesteine, die später unter Sedimenten begraben worden sind.

Meine Kollegen und ich haben mit detaillierten magnetischen Analysen sowie mit der Kalium-Argon- und der Uran-Blei-Methode Zirkone von zwei Granitproben aus dem Kaapvaal-Kraton datiert. In Mainz untersuchte Kröner Zirkon-Einkristalle aus Laven des Kaapvaal mit der Uran-Blei-Methode; dabei zeigte sich, daß sie vor etwa 3,5 Milliarden Jahren kristallisiert waren, was mit älteren Messungen der Universität Cambridge grob übereinstimmt. Er fand zudem, daß Granit aus der Nelshootge-Region des Kaapvaal-Kraton vor ungefähr 3,2 Milliarden Jahren kristallisiert war. Granitgesteine der benachbarten Mbabane-Region erkalteten erst vor 2,69 Milliarden Jahren.

Gemeinsam mit Paul W. Layer und Margarita Lopez-Martinez führte ich Kalium-Argon-Datierungen in meinem Labor durch, um die thermische Vorgeschichte der Gesteine als Grundlage für eine Entschlüsselung der magnetischen Indizien zu klären. Wir benutzten eine besondere Variante dieser Methode, die Argon-Argon-Datierung nach Craig M. Merrihue von der Universität von Kalifornien in Berkeley. Dabei bestrahlt man die Gesteinsprobe mit Neutronen aus einem Kernreaktor, so daß ein Teil des Kaliums in Argon-39 umgewandelt wird. Anschließend schmilzt man die Probe in einer Vakuumkammer, so daß sowohl Argon-39 als auch Argon-40 freigesetzt werden. Anstatt also die Isotopenhäufigkeiten von Kalium und Argon getrennt zu messen, benötigt man nur eine massenspektroskopische Bestimmung der beiden Argon-Isotope, um das Alter der Probe zu ermitteln.

Merrihue erkannte, daß seine Methode auch aufschlußreiche Informationen über die thermische Vorgeschichte des untersuchten Gesteins zu liefern vermag, wenn man die Probe nicht vollständig schmilzt, sondern stufenweise erwärmt und jeweils das Isotopenverhältnis von Argon-40 zu Argon-39 bestimmt. Falls jeder Schritt das gleiche Alter ergibt, kann man relativ sicher sein, daß die Probe nur geringen thermischen Störungen ausgesetzt war. Falls aber das Alter mit steigender Temperatur höher wird und schließlich einen Plateauwert erreicht, muß ein Teil des Argon-40 während einer oder mehrerer Erhitzungsphasen entwichen sein. Der Plateauwert berücksichtigt dann nur das Argon-40, das unter extremer Hitze freigesetzt wird; er sollte also ein gutes Maß für den Zeitpunkt des ersten Erkaltens des Minerals darstellen, als die Kalium-Argon-Uhr zu laufen begann.

Diese Methode wandten wir in Toronto sowohl auf Granit der Nelshootge- und der Mbabane-Region als auch auf die Lava aus dem vulkanischen Gestein an, das Kröner mit der Zirkon-Methode datiert hatte. Dabei nutzten wir ein Laser-Heizverfahren, das ich mit Chris M. Hall und Yotaro Yanase entwickelt hatte – angeregt von George H. Megrue, der an der Smithsonian Institution in den siebziger Jahren erstmals gezeigt hatte, daß man das Argon-Argon-Alter eines Minerals dadurch bestimmen kann, daß man es mit einem gepulsten Laserstrahl teilweise verdampft. Seine Methode wurde jedoch seinerzeit wenig beachtet, weil er die Laser-Leistung nicht so zu regulieren vermochte, daß die Probe in wohldefinierten Intervallen schrittweise aufgeheizt wurde.

Indizien für eine frühe Kontinentaldrift

Die Verfeinerung von Megrues Verfahren gestattete uns, mit einem kontinuierlichen Laserstrahl ein präzises Altersspektrum aus einem einzigen Gesteinskorn zu erhalten. Zu Anfang bestrahlen wir das Mineral 30 Sekunden lang bei niedriger Laser-Leistung und analysieren das freigesetzte Argon in einem Massenspektrometer. Dann erhöhen wir die Leistung schrittweise und bestimmen nach jedem Schritt das Alter. Schmilzt die Probe schließlich bei Erreichen der Kristallisationstemperatur, so ist das Altersspektrum vollständig (siehe Kasten auf dieser Seite). Die Kombination dieses Heizverfahrens mit der Argon-Argon-Analyse liefert beeindruckend genaue Informationen über Alter und thermische Vorgeschichte urzeitlicher Gesteine. Damit konnten wir mit bisher beispielloser Datenfülle den Ablauf der Kontinentaldrift vor Jahrmilliarden rekonstruieren.

Wir untersuchten zunächst den Mbabane-Granit. Layer und McWilliams hatten herausgefunden, daß seine Magnetisierungsrichtung auf ein Erkalten in der Nähe des Äquators hinwies; und weitere Analysen ergaben, daß sie bei einer Temperatur zwischen 500 und 600 Grad Celsius eingefroren war.

Unsere Datierung von vier Hornblende-Kristallen aus diesem Granit, lieferte ein Altersspektrum mit einem breiten Plateau bei 2,69 Milliarden Jahren, was praktisch identisch ist mit dem Uran-Blei-Alter der umgebenden Zirkone, das Kröner bestimmt hatte. Diese gute Übereinstimmung bedeutet, daß die Hornblende – und damit der gesamte Granit – nach der ersten Erstarrung niemals über 500 Grad Celsius erhitzt worden war. Daraus schlossen wir, daß die im Granit festgestellte Magnetisierungsrichtung die ursprüngliche ist und das Gestein tatsächlich vor 2,69 Milliarden Jahren am Äquator erstarrte.

Layer hatte mit seinen Mitarbeitern bereits ermittelt, daß eine andere Gruppe von Eruptivgesteinen, die heute 12 Kilometer vom Mbabane-Granit entfernt ist, vor 2,875 Milliarden Jahren etwas mehr als 30 Grad vom Äquator entfernt gelegen hatte. Falls die beiden Formationen stets eng benachbart waren, muß sich diese Region des Kaapvaal-Kraton in dem Zeitraum von 185 Millionen Jahren (der Spanne zwischen den Erstarrungsdaten) um 30 Breitengrade verschoben haben. Dies entspricht einer Driftgeschwindigkeit von 1,5 Zentimetern pro Jahr – etwa vergleichbar jener, mit der Nordamerika sich in den letzten 100 Millionen Jahren vom Mittelatlantischen Rücken entfernte.

Wir fragten uns daraufhin, ob es eine ähnlich rege Plattentektonik bereits in noch früheren Zeiten gegeben hätte. Nach Kröners Untersuchungen ist der Nelshootge-Granit 3,21 Milliarden Jahre alt. Die Laser-Analyse einzelner Hornblende-Kristalle aus diesem Gestein ergab, daß die Magnetisierung bereits sehr früh erfolgt ist, mindestens vor 3,18 Milliarden Jahren. Anhand der Magnetisierungsrichtung stellten wir fest, daß auch der Nelshootge-Granit 90 Grad vom Pol entfernt, also am Äquator, entstanden war; aber die Richtung zum magnetischen Nordpol wich von der im Mbabane-Granit um viele Winkelgrade ab, so daß der Kaapvaal-Kraton sich in der Zeit zwischen dem Erstarren beider Gesteine erheblich gedreht haben muß.

Schließlich untersuchten wir das älteste Gestein aus dem Barberton-Gebirge in unserer Probensammlung, magnesiumreiche Laven, die man als Komatiite bezeichnet. Zirkone aus zugehörigem vulkanischem Gestein sind fast 3,5 Milliarden Jahre alt. David J. Dunlop und Chris J. Hale von der Universität Toronto spürten eine schwache Magnetisierung in diesen Komatiiten auf, die schließen ließ, daß die Lava beim ersten Erstarren nur etwa 18 Grad vom Magnetpol entfernt war – weitab vom Äquator. Die Bedeutung dieses Befundes blieb zunächst jedoch unklar.

Da die Laven offensichtlich nach ihrer Entstehung großer Hitze und hohen Drücken ausgesetzt waren und deshalb, wenn überhaupt, nur wenige der ursprünglichen Mineralien erhalten sind, hätte die von Dunlop und Hale beobachtete Magnetisierung durchaus viel jünger als 3,5 Milliarden Jahre sein können. Um das zu überprüfen, unterzog Margarita Lopez-Martinez die Komatiit-Proben einer Argon-Argon-Datierung. Die Alterswerte stimmten mit Kröners Zirkon-Datierungen der Lava überein – was uns verblüffte. Denn anhand der Zirkone ermittelt man den Zeitpunkt der ursprünglichen Erstarrung der Lava, während die Argon-Argon-Analyse das Alter von Tremolit ergibt, einem Mineral, das sich in einer Umwandlungsphase bildet. Also muß die das Tremolit bildende Metamorphose unmittelbar nach der Eruption der Lava stattgefunden haben. Falls dies zutrifft, gibt die Aufzeichnung der Magnetpollage in den Barberton-Komatiiten tatsächlich die Position des Gesteins vor 3,5 Milliarden Jahren an.

Faßt man die obigen Indizien zusammen, so ergibt sich – beginnend vor 3,5 Jahrmilliarden – ein Bild der Verschiebung des Kaapvaal-Kratons über einen Zeitraum von 800 Millionen Jahren: Aus der Nähe des magnetischen Nordpols driftete diese Kontinentalmasse zunächst zum Äquator, bewegte sich anschließend wieder mehr als 3000 Kilometer polwärts, so daß sie vor 2,875 Milliarden Jahren mindestens auf 30 Grad nördlicher Breite lag, um sich dann in einer stark verdrehten Lage erneut am Äquator einzufinden (Bild 3).

Des weiteren ist zu schließen, daß der Kaapvaal-Kraton bereits vor mindestens 3,5 Milliarden Jahren etwa so schnell driftete wie die heutigen Kontinente. Wahrscheinlich gilt das gleiche auch für andere frühe Kontinentalmassen.

Ich will nicht verschweigen, daß Untersuchungen der Magnetisierung trotz der zahlreichen Fortschritte in der Methodik und Meßtechnik mit erheblichen Fehlern behaftet sein können. Dennoch haben Uran-Blei- und Argon-Argon-Datierungen in Verbindung mit paläomagnetischen Untersuchungen das Verständnis der dynamischen Frühgeschichte unserer Erde stark erweitert.

Nach der erfolgreichen Untersuchung der Barberton-Komatiiten fragten wir uns, ob wohl auch in dem ältesten bekannten Gestein, dem Acasta-Gneis, Informationen über seine relative Lage zum Magnetpol vor 3,97 Milliarden Jahren verborgen seien. Zu unserer Enttäuschung scheint das nicht der Fall zu sein. Halls vorläufigen Argon-Argon-Datierungen von Hornblende-Kristallen aus Bowrings Proben zufolge wurde die Argon-Uhr des Gesteins vor etwa 1,8 Milliarden Jahren durch eine Phase heftiger tektonischer Aktivität zurückgestellt; alle früheren magnetischen Spuren sind verlorengegangen.

Es bleibt die Hoffnung, daß man in der gleichen Region Nordkanadas ein kleines Fragment findet, das der starken Erhitzung während der Gebirgsbildung entgangen ist. Die Magnetisierung eines solchen Gesteins wäre von großer Bedeutung. Denn Anzeichen für ein nennenswertes Magnetfeld zu so frühen Zeiten würden belegen, daß die Erde bereits damals einen umfänglichen metallischen Kern hatte und damit der Entwicklungsschritt von einem jungen zu einem sich selbst ordnenden komplexen Planeten vollzogen war.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1993, Seite 76
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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