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Exportkontrolle mit Osteuropa

In der binnen kurzem geostrategisch veränderten Welt haben die bisherigen Mechanismen, die eine Weiterverbreitung sicherheitsrelevanter Produkte verhindern sollten, ausgedient. Die Frage ist, wie die ehemaligen Ostblockstaaten in effiziente Exportkontrollsysteme eingebunden werden können.

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts besteht besonders in Osteuropa ein exorbitanter Überhang an Rüstungsindustrie, -gütern und -experten. Wegen der geringen Wettbewerbsfähigkeit der zivilen Industrien und der allgemeinen Anpassungs- und Modernisierungskrisen in den politischen Systemen und Volkswirtschaften werden Rüstungsexport und Technologietransfer als vermeintliche Auswege angesehen, da diese Bereiche aus osteuropäischer Sicht einzigartige ökonomische Chancen bieten. Zudem ist der vom Arbeitsmarkt und den Interessen der Industrie erzeugte Druck zumeist stärker als ein eventuell vorhandener politischer Wille zur Zurückhaltung.

Als vielversprechende Märkte gelten allgemein die Staaten der Dritten Welt und insbesondere jene Länder im Nahen Osten, die ehrgeizige Aufrüstungsprogramme verfolgen. Die Produkte und Technologien östlicher Herkunft sind oft einfacher und damit besser auf die Bedürfnisse der Abnehmer in der Dritten Welt abgestimmt als die der westlichen Industrieländer. Hinzu kommt, daß sie in weichen Währungen oder gar im Tauschhandel erworben werden können. Vor welche Probleme die Exportkontrolle da-bei gestellt ist, hat der Krieg im ehemaligen Jugoslawien überdeutlich offenbart, wo das von den Vereinten Nationen und der Europäischen Gemeinschaft verhängte Embargo permanent im großen Stil unterlaufen wird.

Diese Hintergründe erfordern eine Ausweitung und Intensivierung der Exportkontrolle sowohl im Bereich konventioneller und sogenannter Dual-use-Technologien (die ebensogut militärisch wie zivil eingesetzt werden können) als auch bei solchen, denen eine Bedeutung für die Entwicklung atomarer, biologischer oder chemischer Waffen (ABC-Waffen) zukommt. Da die meisten osteuropäischen Staaten nicht über funktionsfähige Kontrollsysteme verfügen, ist Handeln dringend geboten, wenn neue Aufrüstungsschübe in Konfliktregionen unterbunden oder zumindest begrenzt werden sollen. Zumindest soweit der ABC-Bereich betroffen ist, stehen auch für Europa elementare Sicherheitsinteressen auf dem Spiel.

Im Westen existieren zwar traditionelle Kontrollregime; diese unterliegen aber wegen des Endes des Ost-West-Konflikts selber krisenhaften Anpassungs- und Veränderungsprozessen. Der Koordinierungsausschuß für multilaterale Exportkontrolle (Coordinating Committee for Multilateral Export Controls, COCOM) beispielsweise, dessen Aufgabe die Technologieverweigerung gegenüber den Staaten des früheren Warschauer Pakts war, ist nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems obsolet geworden oder bedarf zumindest einer umfassenden Reform (siehe meinen Beitrag in Spektrum der Wissenschaft, Juni 1992, Seite 128).

Auch die drei anderen multilateralen Kontrollregime, die auf die Nichtweiterverbreitung solcher Technologien in sogenannte Schwellenländer zielten, die für ABC-Waffen relevant sind, müssen sich diesem Wandel stellen: die 1975 gebildete Nuclear Suppliers Group (NSG), auch Londoner Club genannt, die 1984 gegründete Australische Gruppe, die für doppelverwendbare Chemikalien und in Zukunft außerdem für B-Waffen-Vorprodukte zuständig ist, sowie das 1987 ein-gerichtete Raketentechnologie-Kontrollregime (Missile Technology Control Regime, MTCR).

Diese vier Regime arbeiten weitgehend unabhängig voneinander. Einen gemeinsamen Überbau gibt es nicht, und er wurde bisher von der Politik auch nicht gefordert. Gegenwärtig versucht der Westen mit Nachdruck, die ehemaligen Ostblockstaaten einzubinden. Nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche werden dabei einerseits Hilfe bei der Bildung nationaler Kontrollapparate und die Streichung des jeweiligen Landes von der COCOM-Liste angeboten, andererseits aber die Etablierung eigener COCOM-konformer Exportkontrollen und die Teilnahme an den anderen Regimen verlangt. Ob dadurch eine Verflechtung der verschiedenen Kontrollregime gefördert wird, ist eine noch offene Frage.

Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS)

Die Größe des rüstungstechnologischen Exportpotentials der GUS abzuschätzen ist nicht einfach, da keine verläßlichen Angaben über die Höhe der Militärausgaben vorliegen. Am ehesten bieten sich die Anteile der Arbeitskräfte und der Produktion als Grundlage an, die dem Rüstungssektor zuzurechnen sind. Ein Drittel aller Beschäftigten in der ehemaligen UdSSR soll in der Rüstung tätig gewesen sein; im Maschinenbau lag der Anteil bei 60, in der Forschung und Entwicklung sogar bei 80 Prozent. In Rußland betrug der Rüstungsanteil 55 Prozent der gesamten industriellen Produktion.

Wie zuverlässig diese Angaben auch immer sein mögen, so belegen sie doch die Brisanz des Problems. Da die Konversion der jetzt auf sich allein gestellten Rüstungsbetriebe bisher wenig erfolgreich war, dürfte für viele der Export ein attraktive Möglichkeit sein, einen unter den gegenwärtigen Umständen drohenden Bankrott abzuwenden. Die Finanzspritze von 13,6 Milliarden Rubel, welche die russische Regierung im September 1992 der Rüstungsindustrie zukommen ließ, verdeutlicht die Belastung der russischen Wirtschaft durch dieses Erbe. Und auch die Ökonomie der Ukraine und die Weißrußlands sind sehr militärlastig.

Die Russische Föderation hat 1992 ein erstes rudimentäres Exportkontrollsystem eingerichtet. Zuständig ist eine neu gegründete Abteilung im Wirtschaftsministerium. Eine ebenfalls neue interministerielle Exportkontrollkommission überwacht die Ausfuhrgenehmigungen, die für Güter und Dienstleistungen auf fünf Kontroll-Listen eingeholt werden müssen. Diese umfassen

– Rüstungsgüter und Technologien,

– Dual-use-Produkte und Techniken für den nuklearen Sektor,

– chemische Produkte,

– biologische Substanzen sowie

– Raketenteile und -technologien.

Diese fünf Listen sollen auf die Bedürfnisse der Russischen Föderation zugeschnitten sein; sie orientieren sich nicht an den multilateralen Listen der vier westlichen Kontrollregime. Die erste Liste – Rüstungsgüter und Technologien – ist seit dem 30. Juli 1992 in Kraft, die anderen sollen bis Ende 1993 folgen.

Von einer Implementierung dieses Kontrollsystems ist man freilich noch weit entfernt, da es bisher keine funktionierenden Zollbehörden und Grenzkontrollen gibt. Auch wenn an einem politischen Interesse der russischen Regierung angesichts des enormen Potentials im ABC-Bereich kaum ein Zweifel besteht, dürfte das administrative Chaos effiziente Kontrollen noch für längere Zeit als Wunschtraum erscheinen lassen.

Die Situation in Weißrußland ist im wesentlichen ähnlich. Der militärisch-industrielle Komplex beschäftigte etwa 600000 Personen und stellt damit eine enorme Erblast für die Volkswirtschaft dar. Ein dem russischen Beispiel ähnelndes Exportkontrollsystem ist im Aufbau, ein effizientes Funktionieren jedoch auf absehbare Zeit nicht zu erwarten, weil die Finanzen knapp sind und Güter zwi-schen der Russischen Föderation und Weißrußland wegen fehlender Grenzkontrollen ungehindert ausgetauscht werden können. An den Grenzen zu den baltischen Staaten, zu Polen und der Ukraine entstehen erst nach und nach Kontrollstationen.

Baltische Staaten

In Litauen, Lettland und Estland stellen die ehemals sowjetischen Rüstungsbetriebe immer noch Fremdkörper dar. Die einheimischen Regierungen verfügen weder über hinreichende Informationen, noch können sie eine Kontrolle über sie ausüben. Mangels Souveränität ist denn auch noch nicht einmal der Ansatz von eigenen rudimentären Kontrollsystemen vorhanden.

Polen

Die Rüstungsindustrie Polens ist die zweitgrößte in Osteuropa. Im Jahre 1992 beschäftigten rund 130 Großbetriebe ungefähr 260000 Menschen, die etwa 2 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes erbrachten. Der Anteil der Rüstung an der industriellen Produktion soll 21 Prozent betragen. Die Exporte sind durchaus beeindruckend; so soll Polen zwischen 1980 und 1990 mehr als 1000 Panzer an den Irak verkauft haben.

Polen verfügt über kein eigenes Nuklearpotential. Der Bau eines Reaktors sowjetischen Typs ist gestoppt worden. Atomforschungseinrichtungen und chemische Betriebe sind aber vorhanden, so daß die Einbindung des Landes in den Londoner Club und in die Australische Gruppe geboten scheint.

Ein Exportkontrollsystem ist seit 1990 im Aufbau. Dabei waren politischer Druck und wirtschaftliche Anreize insbesondere seitens der USA maßgeblich. Seit Oktober 1990 gibt es eine Endverbleibskontrolle, um die Wiederausfuhr sensitiver Produkte zu verhindern.

Die Kontrolle ist jedoch schwierig, weil im Land praktische Erfahrungen damit fehlen und die wirtschaftspolitische Atmosphäre dafür ungünstig ist. Hier hat sich ein Schnellkurs für die polnischen Experten im Handelsministerium der USA als hilfreich erwiesen.

Als Kontrollmittel für eingeführte Güter dienen Importzertifikate, die ein interministerieller Ausschuß erteilt; an diesem sind das Innen- und das Außenministerium, die Ministerien für Außenwirtschaft und für Verteidigung sowie die Zollbehörden und die nationale Atombehörde beteiligt. Nachdem anfangs nur ein bis zwei Lizenzen pro Woche erteilt wurden, sind es mittlerweile 30 bis 50. Verstöße gab es angeblich bisher nicht, wohl weil die polnische Wirtschaft erhebliches Interesse an westlicher Hochtechnologie hat und nicht an Geschäften durch Reexport.

Das polnische Exportkontrollsystem soll über ein Gesetz etabliert werden, dessen Entwurf bereits im Herbst 1992 vorlag. Es orientiert sich hauptsächlich an den entsprechenden Kontrollsystemen Norwegens und der Schweiz. Nach der Verabschiedung des Gesetzes sollen auch die Listen der westlichen Kontrollregime übersetzt werden. Als Verfahren für ihre Anpassung ist ein rein administratives Vorgehen ohne parlamentarische Beteiligung vorgesehen.

Ob das Exportkontrollgesetz als präsidentielles Dekret oder als Parlamentsbeschluß in Kraft gesetzt wird, ist noch offen und wird von der innenpolitischen Lage abhängen. Eine öffentliche Debatte mit Beteiligung der Wirtschaft gab es nicht. Dem Entwurf zufolge sollen Lizenzen vom Außenwirtschaftsministerium erteilt werden. Für Verstöße sind Geldstrafen und Gefängnis bis zu zehn Jahren vorgesehen. Von der Verabschiedung dieses Gesetzes wird es abhängen, ob Polen von der COCOM-Länderliste gestrichen werden kann.

Tschechien und Slowakei

Auch die Datenlage für die frühere Tschechoslowakei ist widersprüchlich. Man rechnet mit 111 Betrieben und 200000 Arbeitsplätzen im Rüstungsbereich, der traditionell exportorientiert ist. Nur etwa ein Drittel der militärischen Produkte blieb im Land; 52 Prozent gingen an die vormaligen sozialistischen Bruderländer, und 16 Prozent wurden in die Dritte Welt verkauft. Da sich ein Großteil der Rüstungsbetriebe in der Slowakei befindet, hat sich die Last für dieses Land vergrößert, für Tschechien hingegen verringert.

Beide Nachfolgestaaten der Tschechoslowakei verfügen über Kernkraftwerke sowjetischen Typs. Anders als in anderen osteuropäischen Ländern sind die meisten Reaktoren Eigenbau. Da die Russische Föderation keinen verbrauchten Kernbrennstoff mehr zurücknimmt, ist die Teilnahme beider Länder am Londoner Club dringlich. Wegen der chemischen Industrie ist auch eine Einbindung in die Australische Gruppe angezeigt.

Wie Polen hat Tschechien bereits auf dem Verordnungswege ein rudimentäres Kontrollsystem eingerichtet. Im Jahre 1990 wurden Kontrollen nach COCOM-Muster eingeführt, die zum 1. Februar 1992 in Kraft traten. Eine Liste von 50 Chemikalien wird bereits angewandt. Ein Gesetzentwurf liegt bei dem zuständigen Parlamentsausschuß; die Chancen und der Zeitpunkt der Verabschiedung sind indes ungewiß. Die Trennung beider Landesteile hat für die Slowakei zumindest vorübergehend einen kontrollfreien Raum entstehen lassen.

Ungarn, Rumänien und Bulgarien

Die Rüstungsindustrien dieser drei früheren Mitgliedsstaaten des Warschauer Paktes sind vergleichsweise unbedeutend. In Ungarn beispielsweise sollen es nur ungefähr 30000 Beschäftigte gewesen sein. Über die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Rüstungssektors in Rumänien und Bulgarien liegen bislang keine Angaben vor. In Rumänien hat es jedoch von Moskau unabhängige Programme im Flugzeug- und Panzerbau gegeben, über deren Stand derzeit wenig bekannt ist.

Ein Kontrollbedarf für diese Länder entsteht weniger durch die eher geringen Exporte, als vielmehr durch den möglichen Transit sensitiver Güter aus anderen osteuropäischen Ländern. Eine Kooperation mit dem Londoner Club scheint an-gebracht, weil Kernkraftwerke sowjetischen Typs in Ungarn und Bulgarien im Betrieb und in Rumänien im Bau sind.

Das ungarische Kontrollsystem ist unter den zur Debatte stehenden Fällen am weitesten entwickelt. Die gesetzlichen Grundlagen wurden bereits 1990 geschaffen und 1991 erweitert. Die darin angedrohten Strafen reichen von hohen Geldbußen bis zu fünf Jahren Haft. Für die administrative Seite ist ein Exportkontrollamt beim Ministerium für Internationale Wirtschaftsbeziehungen zuständig. Die Oberaufsicht hat ein interministerieller Ausschuß für Exportkontrolle.

Die Kontrollverzeichnisse umfassen die Munitions-, die Nuklear- und die industrielle Kernliste des COCOM, die Nuklearliste des Londoner Clubs, die Kernliste der Australischen Gruppe sowie eine weitere mit Gütern und Techniken, die für biologische Waffen relevant sind. Bis zum April 1992 wurden alle sechs Listen in Kraft gesetzt. Der Kontrolle unterliegen nicht nur die Ausfuhren, sondern wegen der Transit-Problematik auch die Importe. Des weiteren werden auch Raketentechnologien nach dem Vorbild des MTCR kontrolliert.

Damit hat Ungarn von allen osteuropäischen Ländern die umfassendsten Kontrollmechanismen festgeschrieben. Der Westen hat dies honoriert, indem er diesen Staat von den Beschränkungen des COCOM befreit hat. Nach ungarischem Verständnis ist damit auch eine wichtige psychologische Hemmschwelle für ausländische Direktinvestitionen entfallen.

Freilich liegen bereits erste Klagen der ungarischen Wirtschaft über die Kontrollen vor. Im Spätsommer 1992 wurden im Mittel 10 bis 15 Lizenzen pro Woche erteilt; nur wenige Anträge mußten abgelehnt werden. Weniger als ein Dutzend mutmaßliche Verstöße gegen die Bestimmungen wurden untersucht, Strafen noch keine verhängt. Für wirkliche Erfahrungen mit der Implementierung ist es demnach noch zu früh. Die Zollbehörden räumen jedoch Schwierigkeiten ein, weil das Personal noch nicht genügend ausgebildet ist.

Bulgarien hat 1991 Kontrollverordnungen für chemische und nukleare Substanzen erlassen; ein Exportkontrollamt existiert. Eine gesetzliche Grundlage soll nach dem norwegischen Vorbild geschaffen werden – allerdings läßt sich wegen der chaotischen Zustände in Regierung und Parlament überhaupt noch nicht ab-sehen, wann dies sein wird.

Die Situation in Rumänien ist ähnlich. Es gibt zuständige Behörden und Dekrete; an eine vom Parlament verabschiedete gesetzliche Grundlage ist derzeit nicht gedacht. Angeblich wurde in einem Fall der Export von schwerem Wasser verhindert, was man als Beispiel für eine wirk-same Kontrolle anführt. Die Vorgänge in Rumänien sind jedoch von außen weit schwieriger zu beurteilen als die in ande-ren osteuropäischen Ländern.

Harmonisierungspolitik der EG

Die Europäische Gemeinschaft hat bislang im Rahmen des Binnenmarktes noch zu wenige Fortschritte hinsichtlich eines gemeinsamen Exportkontrollsystems erzielt. Die Öffnung des Binnenmarktes und das Verlegen der Kontrollen an die Außengrenzen der EG erfordern aber entsprechende Vorkehrungen, denn ansonsten würden die schwächeren Glieder der Gemeinschaft wie Griechenland oder Portugal zum offenen Hinterausgang für illegale Exporte sensitiver Geräte und Techniken. Effiziente Lösungen für eine gemeinsame Export- oder Nicht-exportpolitik sind längst überfällig; sie könnten dann auch zum Vorbild für die osteuropäischen Staaten werden. Erst auf dieser Grundlage ließen sich Ansätze für gesamteuropäische Kontrollen sinnvoll diskutieren und entwickeln.

Die Bundesrepublik hat ein dezidiertes Interesse, die Exportkontrolle zu europäisieren. Zum einen ist erst damit eine wirksame regionale Kontrolle möglich; zum anderen kann nur so vermieden werden, daß einseitig deutsche Firmen als Lieferanten des Todes angeprangert werden. Allzuoft war insbesondere in der amerikanischen Presse von der German Connection und dem Auschwitz in the sand die Rede (gemeint ist die Lieferung sensitiver Geräte in den Irak und die Beteiligung deutscher Firmen an dem Bau einer Giftgasanlage in Libyen). Zu Recht befürchtete die deutsche Exportwirtschaft dadurch Prestige- und Geschäftseinbußen. Wie sehr die USA und Großbritannien selbst zur Aufrüstung des Irak beigetragen hatten, wurde erst 1992 enthüllt, in den Medien aber längst nicht so reißerisch aufbereitet.

Anpassungsprozesse in den Kontrollregimen

Das bisherige Ziel des westlichen Exportkontrollregimes COCOM ist obsolet, weil es den Ostblock, dem der Zu-gang zu moderner Technologie verwehrt werden sollte, nicht mehr gibt. Eine hinreichende Reform wäre nur machbar, wenn auch die mittel- und osteuropäischen Länder sowie die Staaten der GUS als Mitglieder aufgenommen würden.

Übergangsweise wurde nach dem Vorbild des NATO-Forums ein COCOM-Kooperationsforum gegründet, das erstmals im November 1992 in Paris tagte; es soll die osteuropäischen Länder einbinden. Die Gruppe umfaßt 43 Mitglieder: die bisherigen 17 COCOM-Staaten und die osteuropäischen Länder, die baltischen Staaten, die meisten Mitglieder der GUS (ohne Tadschikistan und Turkmenistan sowie ohne Georgien, das nicht Mitglied der GUS ist), zudem Albanien und die Mongolei. Nicht eingeladen worden waren die Volksrepublik China, Nordkorea, Kuba und Vietnam.

Wenngleich auf der Tagung des Kooperationsforums kein konkreter Beschluß gefaßt wurde, sollen doch multi- und bilaterale Kontakte auf Expertenebene weitergeführt werden. Der Westen übt dabei deutlichen Druck aus: Ohne effiziente Exportkontrollen im Osten wird es keine weitere Liberalisierung für westliche Technologien geben. Die Empfängerländer sind dafür verantwortlich, daß High-Tech-Produkte im Lande bleiben, was durch Endverbraucherzertifikate zu bestätigen ist. Dual-use-Produkte dürfen nur für zivile Zwecke verwendet werden. Kontrollrechte behalten sich die westlichen Lieferländer vor.

Bislang genügte lediglich Ungarn diesen Standards, wofür dieses Land mit der Aufhebung der Exportbeschränkungen für westliche Dual-use-Güter belohnt wurde. Tschechien und Polen werden vielleicht bald folgen. In allen anderen Ländern sind vor einem solchen Schritt noch erhebliche Defizite zu überwinden.

Das Modell des Kooperationsforums ist ein Provisorium, aber als solches möglicherweise sehr dauerhaft. Dabei ist das mittel- und langfristige Ziel eigentlich klar: ein multilaterales, universa- les oder regionales Kontrollregime, das Länder der Dritten Welt mit entsprechenden Ambitionen an einer konventionellen und nicht-konventionellen Aufrüstung hindern soll. Dies ist ein sehr sen-sibles Thema. Denn auf der einen Seite will man das Ziel erreichen, andererseits sich aber nicht von den Entwicklungsländern Technologie-Imperialismus vorwerfen lassen.

Ob ein reformiertes COCOM diese Gratwanderung erfolgreich unternehmen könnte, ist unter Experten umstritten. Die interne Debatte ist zur Zeit noch von Regime-Konservatismus geprägt, der allerdings deutliche Zeichen von Verunsicherung aufweist.

Die drei anderen Kontrollregime haben im Gegensatz zu COCOM den Vor-teil, keine Produkte des Kalten Krieges zu sein. Sie sind aus pragmatischen Gründen entstanden, um auf ihrem jeweiligen Gebiet die Nichtweiterverbreitung zu sichern beziehungsweise zu optimieren. Vom Prinzip her waren sie schon immer auf eine mögliche Beteiligung Osteuropas ausgelegt, so daß man ihre Anpassungs- und Integrationsfähigkeit als relativ hoch einschätzen kann.

Wenngleich sich die Dreiteilung dieser Regime bisher aus sachlichen Gründen als vorteilhaft erwiesen hat, ist sie doch mit erheblicher Mehrarbeit verbunden und erschwert einen Gesamtüberblick. Insbesondere für kleinere Länder wäre eine Verknüpfung dieser Regime naheliegend, denn es würden sich ohnehin jeweils dieselben Entscheidungsträger im politischen und bürokratischen Prozeß damit zu beschäftigen haben. Entscheidend bleiben freilich die alten und neuen Atommächte im Osten wie etwa die Ukraine und Kasachstan, die unter wirtschaftlichem Druck zu schnellen Geschäften neigen könnten. Auch wenn mit einer Weigerung, sich Kontrollsystemen anzuschließen, oftmals nur westliche Wirtschaftshilfe ertrotzt werden soll, sind die Gefahren der Weiterverbreitung von militärisch einsetzbaren Gütern und Kenntnissen durch diese Länder nicht zu unterschätzen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1993, Seite 100
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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