Direkt zum Inhalt

Vogelgrippe: Achillesferse von H5N1?

Vor zehn Jahren wurde das aggressive Virus vom Typ H5N1 in China zum ersten Mal isoliert. Im Winter 2003/2004 breitete es sich in Südostasien aus, gelangte im Winter 2005/2006 nach Europa und erreichte 2006 Afrika. Hat das Virus eine Schwachstelle, an der man es packen könnte, um seinen Vormarsch zu stoppen?
Neuraminidase
Europa blieb bisher weitgehend verschont von der Vogelgrippe – doch auch hier verendeten freilebende Vögel und auch Zuchtgeflügel an dem aggressiven Virus. In Deutschland infizierten sich sogar Katzen und ein Marder an der Krankheit. Auch vor dem Menschen macht der kleine Widerling nicht halt: Weltweit sind derzeit 238 Infektionen und 139 Todesfälle von Menschen durch das Vogelgrippevirus gemeldet.

Richtig ernst wird es, wenn das Virus die Fähigkeit erlangt, auch von Mensch zu Mensch zu springen – was ihm momentan noch nicht gelingt. Sollte es soweit kommen, würde eine weltumspannende Pandemie drohen. Entsprechend aufmerksam wird die Entwicklung des Virus überwacht. Gleichzeitig wird an Gegenmaßnahmen gearbeitet, um im Ernstfall dem Virus nicht hilflos gegenüber zu stehen.

Infizierte Patienten erhalten zurzeit die beiden einzigen zur Verfügung stehenden Grippemitteln Oseltamivir (Tamiflu) und Zanamivir (Relenza). Beide Medikamente legen das virale Enzym Neuraminidase lahm. Dieses Protein hilft dem Virus dabei, aus der Zelle, in der es sich vermehrt hat, wieder herauszukommen und andere Zellen neu zu infizieren.

Allerdings ist Neuraminidase nicht gleich Neuraminidase: Dieses Eiweiß gibt es in neun verschiedenen Varianten von N1 bis N9, die wiederum in zwei Gruppen, nämlich Gruppe 1 mit N1, N4, N5 und N8 und Gruppe 2 mit N2, N3, N6, N7 und N9 zusammengefasst werden. Den Menschen greifen Viren mit den beiden Neuramindasesubtypen N1 und N2 an.

N2 und N9 – die einzigen Subtypen, von denen bisher die Struktur bekannt war – dienten als Vorlage für die Entwicklung von Oseltamivir und Zanamivir. Da diese erfreulicherweise auch gegen die Virenvariante vom Subtyp N1 – die den Menschen angreift – wirken, vermutet man, dass bei allen Varianten der Neuraminidase der Angriffspunkt für die Medikamente identisch ist.

Aber wie so häufig setzen sich die Viren gegen die Medikamente zur Wehr: Gegen Tamiflu sind schon resistente Viren entstanden. Neue Medikamente, die auch gezielt gegen H5N1 sowie gegen das aktuell kursierende humanpathogene Virus vom Typ H1N1 wirken, sind notwendig.

Neuraminidase | Die Bindungsstelle für Grippemedikamente der Gruppe-1-Neuraminidasen (grün) ist durch eine zusätzliche Höhlung anders gestaltet als die von Gruppe-2-Neuraminidasen (gelb). An der Bindungsstelle ist Tamiflu gebunden.
Daher analysierten nun John Skehel vom National Institute of Medical Research in London und sein Team die Struktur der Neuraminidase vom Subtyp N1. Dabei stellten sie fest, dass deren Bindungsstelle für das Grippemedikament vollkommen anders gestaltet ist als diejenige von N2 und N9.

Ein bestimmtes Stück der Aminosäurekette, die das Protein aufbaut, der so genannte 150-Loop, liegt bei N1 ganz anders im Molekül als bei N2 und N9. Dadurch entsteht bei N1 in der Bindungsstelle eine zusätzliche Höhlung. Zwei weitere Mitglieder der Gruppe 2 der Neuraminidasen, N4 und N8, verfügen ebenfalls über diesen zusätzlichen Hohlraum.

Wegen dieser abweichenden Struktur dürften die Grippemedikamente eigentlich bei Gruppe-2-Neuraminidasen überhaupt nicht binden können und entsprechend auch nicht wirken. Aber die Inhibitoren der Neuraminidase machen sich die Bindungsstelle einfach passend: Die Wissenschaftler konnten beobachten, dass der 150-Loop einfach umklappt, wenn Oseltamivir bindet, sodass die Bindungsstelle auf einmal genauso aussieht wie bei den Neuraminidasen der Gruppe 1. Vermutlich deswegen wirken die Medikamente gegen alle Neuraminidasen.

Die besondere Höhlung der Gruppe-2-Neuraminidasen sollte in Zukunft noch große Bedeutung erlangen: Sie kann nach Ansicht der Wissenschaftler als Angriffspunkt für neue, spezifisch gegen diese Subtypen gerichtete Grippemedikamente dienen. Mit maßgeschneiderten Waffen gegen das Vogelgrippevirus wäre der Mensch gegen die Bedrohung einer Pandemie gut gewappnet.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.