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Brasilien: Amazonien brennt

Seit dem Amtsantritt des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro hat sich die Abholzung im Regenwaldamazonas beschleunigt - Menschenrechtsverletzungen inklusive.
Brandrodung in Amazonien

Die Indigenen vom Volk der Munduruku begrüßen Besucher im Gemeindehaus von Açaizal mit Tanz und Gesang. Dann richtet Cacique Joselino Munduruku, der Vorsteher des Dorfs, das Wort an sie. »Es ist ein täglicher Kampf«, sagt Joselino. »Jeden Tag eine Frage des Überlebens.« Die Munduruku, die als eines der kriegerischsten Völker der Region gelten und im 18. Jahrhundert an den Rio Tapajós, einen der größten Zubringer des Amazonas, vordrangen, haben schon viele Kämpfe ausgetragen. »Konflikte sind Teil unserer Geschichte«, erläutert Joselino. Einst kämpften die Munduruku gegen das indigene Volk der Kayapó, jüngst mit Unterstützung der Umweltorganisation Greenpeace gegen das Wasserkraftwerk São Luiz do Tapajós. Und die Bewohner von Açaizal kämpfen gegen den Anbau von Soja, die man vom Gemeindehaus aus als helle Flecken bereits sieht. Sie reichen bis auf zehn Meter an Häuser der Indigenen heran. Die Pflanzen wachsen heute dort, wo früher Bäume standen.

Großgrundbesitzer aus dem Süden haben die Felder sukzessive angelegt, die Munduruku von Açaizal ihr Territorium vor einigen Jahren selbst demarkiert. Joselino, Vorsteher des Dorfs in der Nähe der Großstadt Santarém, wo der Rio Tapajós und der Amazonas zusammenfließen, sagt: »Wir wollen diesen Wald erhalten.« Die ewige Frage in Amazonien lautet also nicht nur: Wie stark bewahren Indigene ihre Identität? Joselino trägt eine typische Kopfbedeckung der Munduruku in Form einer Haube mit Federn zu T-Shirt, Bermudashorts und Havaianas. Vielmehr geht es immer auch um Territorium und natürliche Ressourcen. Da ist das »neue Amazonien« unter der Regierung von Präsident Jair Bolsonaro wie das alte – wenn auch um ein Vielfaches schlimmer. Die jüngsten offiziellen Zahlen der Behörden sind erschreckend.

Um 278 Prozent stieg die Abholzung in den neun brasilianischen Bundesstaaten mit Anteilen am Amazonasbecken im Juli 2019 im Vergleich zum Jahr zuvor. Nach Angaben des Nationalen Instituts für Weltraumforschung (Inpe) vom Dienstag (6.8. 2019) erreichte sie 2254 Quadratkilometer. Auf die weltweite Sorge angesichts dieser Zahlen und der Folgen für den Klimawandel antwortete Bolsonaro nur: »Amazonien gehört uns.« Die Daten des Instituts stellte er in Frage und verdächtigte Ricardo Galvão, den Direktor der staatlichen Einrichtung, »im Dienste einer NGO« zu stehen. Internationale Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace oder der WWF gehören zu den liebsten Feindbildern des rechtspopulistischen Bolsonaro.

Viehweide auf ehemaligem Regenwaldland | Vieh weidet zwischen verkohlten Baumstümpfen – den kläglichen Resten des einstigen Regenwalds.

Indigene werden systematisch benachteiligt

Vor Kurzem ist Galvão entlassen worden. Jair Bolsonaro hatte noch einmal nachgelegt: Die Veröffentlichung der Daten schade Brasiliens Bild in der Welt. »Bei all der Zerstörung, die ihr uns vorwerft, müsste Amazonien schon ausgelöscht sein«, sagte er. Während Indigene wie die Munduruku das Land als Mutter Erde betrachten und zum Leben nutzen, wollen Kolonisatoren aus dem Aus- und Inland, Militärs, multinationale Unternehmen, Großgrundbesitzer, Holzfäller, Goldsucher, Kraftwerksbauer und Sojapflanzer an seine Reichtümer heran. Im Bundesstaat Pará im Nordosten Brasiliens prallen ursprüngliche indigene Lebensweise und industrialisierte Welt besonders heftig aufeinander, auch weil die Transamazônica dies in den 1970er Jahren zugänglich gemacht hat. Die Gewinne fahren Nichtindigene ein, zurück bleiben die Indigenen mit dem Abfall, der Abholzung, der Zerstörung und – im Fall von Açaizal – der Krankheit.

»Unsere Eltern werden krank, die Tiere verschwinden«, berichtet Joselino Munduruku. Der Cacique des Dorfs führt dies auf den Einsatz von Pestiziden zurück. Glyphosat ist in Brasilien weit verbreitet, seine Dosierung oft höher als vorgesehen. Aber die Sojabauern hier verwenden wohl auch andere Gifte, die glyphosatresistente Sojapflanzen abtöten, austrocknen. Trockene Pflanzen lassen sich leichter ernten als feuchte. Die Indigenen leiden jedoch unter Kopfschmerzen, Übelkeit und Hautausschlägen, wohl wegen der Gifte. Der nächste Gesundheitsposten in einer Qulimbola-Gemeinde, einer Siedlung, die geflüchtete Sklaven gegründet haben, ist acht Kilometer entfernt, sonst bleibt nur die Fahrt in die Großstadt Santarém. Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta kündigte im März an, das Spezialsekretariat für indigene Gesundheit (Sesai) umzustrukturieren, was quasi die Abschaffung der indigenen Gesundheitsversorgung bedeutet.

Brandrodung | Wenn der Regenwald mit Feuer gerodet wird, entstehen große Mengen Kohlendioxid, die den Klimawandel antreiben. Außerdem schwächt sich dadurch der Wasserkreislauf vor Ort ab: Dürren werden häufiger und können auch entfernte Gebiete in Südamerika betreffen.

An Açaizal ist nicht nur zu sehen, was passiert, wenn der Lebensraum der Indigenen nicht offiziell als »Terra Indígena« anerkannt ist, sondern ebenso, wenn ein brasilianischer Präsident nutzt, dass die Indigenen auch Handys und Flachbildschirme haben und Telenovelas schauen möchten: »Die wahren Indigenen wollen Elektrizität und Integration in die Gesellschaft.« Jair Bolsonaro hat bereits im Wahlkampf angekündigt, keine indigenen Gebiete mehr auszuweisen, bestehende Gebiete zu reduzieren und für die wirtschaftliche Nutzung frei zu geben. Der Hauptmann der Reserve schließt damit an das (geopolitische) Projekt der Militärs an, Amazonien zu besiedeln und zu entwickeln, das noch aus der Zeit der Diktatur von 1964 bis 1985 stammt. Paulo Ghizoni, der auf fast 500 Hektar 400 Rinder züchtet, ist einer der Pioniere, die einst nach Amazonien kamen.

Unbegrenzte Abholzung

Damals war es nach brasilianischem Gesetz erlaubt, 50 Prozent abzuholzen, heute sind es nur mehr 20 Prozent. »Mal schauen, was die neue Regierung für uns tun kann«, sagt Ghizoni auf seinem Hof an der Transamazônica. Sie sei allgemein nicht in guter Erinnerung, aber er erinnert sich gerne an die Zeit, als die Militärs es erleichtert haben, eine Finanzierung zu bekommen, etwa um Rinder zu kaufen. »Es gab Erleichterungen für uns, das Volk Amazoniens.« Das neue Vieh ist quasi das Soja, das in Pará nicht nur als Transitland, sondern eben auch als Anbaugebiet angekommen ist. Paulo Ghizoni hat für umgerechnet 500 000 Euro Grund an den US-amerikanischen Agrarkonzern Cargill verkauft. Das meiste Soja bauen die Produzenten immer noch im Bundesstaat Mato Grosso an, der im Süden an den Pará grenzt. Die Plantagen rücken jedoch immer weiter in den Norden vor, was etwa die Existenz der Munduruku von Açaizal bedroht.

Ghizoni, der sich dadurch bereichert hat, bekommt auch die negativen Auswirkungen zu spüren. »Wir hatten enorme Ruhe hier, jetzt stört der Lärm gewaltig«, beschwert sich Ghizoni. »Heute kann man sich gut unterhalten. Aber es gibt Tage, an denen man hier nicht mehr miteinander sprechen kann.« An diesen Tagen donnern schwere Lastwagen, die mit Soja beladen sind, über die Straße vor seinem Haus. Zusammen mit der Straße und den Lastwagen komme »alles Mögliche, Gutes und Schlechtes«, Prostitution, Drogen und Gewalt. Auf die Frage, ob er im Wald denn keinen Nutzen sehe, antwortet Ghizoni: »Wald haben wir genug in Amazonien, was wir brauchen, ist Essen.« Es gleicht dem alten Argument, die indigenen Reservate verfügten über zu viel Land für so wenig Bewohner; Land, von dem Großgrundbesitzer, Holzfäller, Goldsucher davon ausgehen, dass sie es anderweitig nutzen könnten. Wobei dort, wo der Regenwald schon abgeholzt ist, bisweilen eine Kuh auf einem Hektar steht. Kilometer um Kilometer ziehen sich die Weiden an der Bundesstraße entlang.

Hafen von Santarém | Von hier wird das Soja nach Europa und in die USA verschifft. Die Kapazität der Verladeanlagen soll stark wachsen.

Bei der Stadt Itaituba sind die Transamazônica und die BR 163, über die Lkws Soja aus den Anbaugebieten zu den Häfen transportieren, ein Stück weit eins und treffen mit dem Rio Tapajós zusammen. Eine Rundfahrt im Hafen von Itaituba führt vorbei an Containerschiffen, Getreidesilos und Verladestationen, unter anderem von Cargill. Lastwagen, die auf der Straße ankommen, laden Soja ab. Die Nord-Süd-Verbindung BR 163, auch Soja-Straße genannt, ist mittlerweile fast wichtiger als die Ost-West-Trasse der Transamazônica. Zunehmend dienen auch der Rio Tapajós und der Amazonas als Transportwege, auf denen Schiffe das Soja unter anderem nach Europa transportieren, wo es als Futter für Schweine und Rinder dient. Die Großstadt Santarém, wo der Tapajós in den Amazonas fließt, hat – außer Ausflugs- und Fischerbooten – einen noch größeren Umschlaghafen als Itaituba, und er soll noch größer werden: einer der wichtigsten Exporthäfen für Soja. Vier weitere Häfen sind hier geplant. Bis zur Mündung des Amazonas sind es 700 Kilometer, und der Strom ist hier so breit, dass selbst Hochseeschiffe darauf fahren können. Die »Ribeirinhos«, die Flussbewohner in Santarém, die in Holzpfahlbauten am Fluss und von den Fischen des Amazonas leben, fürchten wie die Indigenen in Açaizal bereits um ihre Zukunft.

Vogelfrei wie früher

So wie die Soja den Wald verdrängt, verschmutzt der Hafen das Wasser. Nicht nur Abholzung, Zerstörung und Krankheit haben zugenommen, sondern auch die (Be-)Drohungen, wie Joselino Munduruku, Cacique des Dorfs Açaizal, erzählt. Seitdem es den Sojahafen gibt, aber auch seit Jair Bolsonaro Präsident ist, durch dessen Diskurs sich Eindringlinge in indigene Gebiete ermutigt fühlen. Sojabauern versuchten im November 2018, eine Delegation der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die Açaizal besuchten, einzuschüchtern. Die Munduruku spüren auch, dass staatliche Stellen Vergehen seltener ahnden als vor der Wahl. In einer seiner ersten Amtshandlungen im Januar übertrug Bolsonaro die Zuständigkeit für die indigenen Gebiete dem Landwirtschaftsministerium und ordnete die Nationale Indigenenbehörde (Funai) dem neuen Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte zu. Die Funai ist inzwischen wieder beim Justizministerium. Aber der neue Behördenchef Marcelo Augusto Xavier steht dem Agrobusiness nahe.

In Açaizal | Wo früher Wald war, erstrecken sich heute Sojafelder rund um das Dorf Açaizal bis zum Horizont. Die indigene Bevölkerung leidet nicht nur unter Heimatverlust, sondern auch an Vergiftungen durch Pestizide und verschmutztes Wasser.

Bei einem Gang durch Açaizal steht der Indigene Paulo Munduruku plötzlich auf einem Streifen mit wilden Pflanzen zwischen dem letzten Haus und dem Sojafeld. »Alles hier war Wald«, berichtet er. »Wir haben von ihm gelebt. Mit dem Agrobusiness ist das alles verschwunden.« Die Munduruku jagen, fischen, sammeln zur Selbstversorgung. Intakter Wald und sauberes Wasser sind deshalb überlebenswichtig für sie. Die Indigenen verstehen sich, auch wegen ihrer Lebensweise, als Hüter des Waldes, tragen durch dessen Bewahrung zum weltweiten Klimaschutz bei. Das Amazonasgebiet gilt als einer der größten Kohlendioxidspeicher der Welt. Wenn Indigene wie die Munduruku um ihren Lebensraum kämpfen, während Jair Bolsonaro Amazonien wirtschaftlich nutzen und indigene Gebiete für den Bergbau öffnen will, dann kämpfen sie auch für das Weltklima.

Die katholische Kirche beziehungsweise der Indigenistische Missionsrat (Cimi), mit dem die deutschen Hilfswerke Adveniat und Misereor zusammenarbeiten, ist nun eine der wenigen Institutionen, dem die Indigenen noch vertrauen. Der Norden ist ohnehin so etwas wie der Wilde Westen Brasiliens, gilt als »terra sem lei«, Land ohne Gesetz; das Recht das Stärkeren gilt. Aufsehen erregende Aktionen scheinen – außer internationalem Druck – nahezu das Einzige zu sein, was wirkt. Es ist die einzige Sprache, die man in Amazonien versteht, wo lokale Klans »Pistoleiros« engagieren, um unliebsame Personen zu ermorden. So besetzen die Munduruku auch Büros und Gebäude in der Stadt, blockieren Hauptstraßen, legen den Verkehr lahm. »Wir werden weiterkämpfen«, betont Joselino. Sie haben schon so viel verloren.

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