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Chancengleichheit: Arbeiterkinder halten sich für weniger talentiert als ihre Mitschüler

Allerdings nicht für weniger fleißig. Das hat Folgen für ihre Erfolgschancen in einer Gesellschaft, in der Talent als wichtiger Faktor für die berufliche Karriere gilt.
Lerngruppe in der Schule
Talent gilt oft als angeborene Eigenschaft und Fleiß als anerzogen. Eine Möglichkeit, Benachteiligungen abzufedern, kann sein, die Bedeutung von Fleiß als Erfolgsfaktor gesellschaftlich stärker anzuerkennen.

Die sozioökonomische Herkunft wirkt sich auf die Selbstwahrnehmung und damit auf die Erfolgschancen aus. Zu dieser Erkenntnis kommen die Sozialpsychologinnen Christina Bauer, Veronika Job und Bettina Hannover von der Universität Wien und der Freien Universität Berlin in mehreren Studien mit mehr als 3500 Teilnehmenden in verschiedenen westlichen Ländern. Schülerinnen und Schüler, deren Eltern nicht studiert haben, hielten sich für signifikant weniger talentiert als ihre Mitschüler aus Akademikerhaushalten – selbst dann, wenn sie genauso gute Noten vorweisen konnten. Ihre Ergebnisse haben die Forscherinnen im »Journal of Experimental Social Psychology« veröffentlicht.

Diese Fehleinschätzung bleibt nicht ohne Folge: Während Kinder aus Akademikerhaushalten häufig selbst akademische Karrieren anstreben, bleiben in Armut aufwachsende Kinder oft auch als Erwachsene arm. Dabei spielen nicht nur finanzielle Ressourcen, sondern ebenso soziale Faktoren eine Rolle. Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status werden häufig von anderen wie etwa ihren Lehrerinnen und Lehrern als weniger talentiert eingeschätzt – so machen sie bereits früh Diskriminierungserfahrungen.

In westlich geprägten Ländern gelten intellektuelle Fähigkeiten und Talent oft als wichtiger Faktor für Erfolg – im Bildungskontext wie auch später im Berufsleben. Der »American Dream«, der einst versprach, dass man vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen kann, wenn man sich nur genug anstrengt, bildet da eine Ausnahme – doch auch dort zeigt sich, dass sich Chancen an der Herkunft bemessen. Dabei ist es politisch angestrebt, die Bildungswege durchlässiger zu gestalten, Chancengleichheit zu schaffen und mehr Arbeiterkindern den Weg zu den Hochschulen zu öffnen. Wie aber lässt sich das bewerkstelligen, wenn das Selbstkonzept dem im Weg steht?

Eine Möglichkeit, Benachteiligungen abzufedern, sei es, die Bedeutung von Eigenschaften wie Fleiß und harter Arbeit gesellschaftlich stärker anzuerkennen, merken die Wissenschaftlerinnen an. Menschen mit niedrigerem sozioökonomischem Status halten sich zwar oft für weniger talentiert, aber nicht zwangsweise auch für weniger fleißig. In einem ihrer Experimente konnte das Forschungsteam zeigen, dass die Benachteiligung von Studierenden mit niedriger sozioökonomischer Herkunft beim Universitätsstudium vermindert werden konnte, wenn Fleiß statt Talent als ausschlaggebend für ihre Leistungen betont wurde.

Eine Schwachstelle der durchgeführten Studien ist, wie die Autorinnen auch selbst anmerken, dass alle Teilnehmenden über das soziale Netzwerk »Facebook« rekrutiert wurden. Dadurch nahmen zum einen mehr Frauen als Männer teil, zum anderen war der Teilnehmerkreis stark eingegrenzt. Zudem überwog in allen Umfragen und experimentellen Studien der Anteil der Teilnehmenden aus deutschsprachigen Ländern.

Interessant wäre es nun, die herausgearbeiteten Befunde mit sozialistisch geprägten Gesellschaften zu vergleichen, die mehr Wert auf Fleiß und harte Arbeit legen. Es erscheint plausibel, dass Studierende mit sozioökonomisch niedrigerem Status, selbst wenn sie an ihrem Talent zweifeln, in diesen Kontexten weniger nachteilige Konsequenzen erfahren. Die Forscherinnen planen, sich in einem nächsten Schritt genauer mit den Sozialisationsprozessen zu beschäftigen, die verzerrte Selbstwahrnehmungen hervorrufen. Sie vermuten, dass verschiedene Prozesse – so etwa Stereotype, aber auch unterschiedliche Erfahrung mit Herausforderungen, die als Zeichen für fehlendes Talent missinterpretiert werden könnten – eine Rolle spielen.

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