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Elon Musks »Starship«: Auf dem Weg zur interplanetaren Spezies

Mit einem futuristischen Raumschiff für Flüge zum Mars will die US-Raketenfirma SpaceX die Raumfahrtbranche aufmischen. Mal wieder. Der Plan ist ambitioniert und riskant. Kann er funktionieren?
Big Falcon Rocket von SpaceX

Die Rakete, mit der Elon Musk schon einmal die Raumfahrt revolutioniert hat, wirkt winzig, fast wie ein Spielzeug. Reichlich verloren steht sie neben einem silbrig glänzenden Ungetüm, das Ingenieure der US-Raketenschmiede SpaceX an der amerikanischen Golfküste aufgebaut haben. In seiner schimmernden Stahlhülle spiegelt sich die texanische Sonne.

Das Ungetüm heißt Starship – und der Name ist Programm. Wie einst die Falcon 1, SpaceX’ erste Rakete, die bei der Präsentation des neuen Raumschiffs Ende September im Schatten des Ungetüms steht, soll auch das Starship die Raumfahrt revolutionieren. Dieses Mal allerdings nicht in der Erdumlaufbahn, sondern weiter entfernt: bei Flügen zum Mond und zum Mars. Zunächst ohne Menschen, irgendwann dann mit bis zu 100 Passagieren an Bord. Und das in gar nicht so ferner Zukunft. Bereits in sechs Monaten, so das Versprechen von SpaceX-Gründer Musk, soll ein erster Starship-Prototyp das Weltall erreichen.

Das klingt vermessen. Doch auch, wenn die Zeitpläne – wie meist bei SpaceX – viel zu ambitioniert sind. Auch wenn die Edelstahlrakete mit ihrem neuartigen Methanantrieb noch viele Hürden überwinden muss. Auch wenn die Finanzierung alles andere als gesichert scheint: Die Chancen, in absehbarer Zeit tatsächlich mit einer Crew zum Mars aufzubrechen, stehen so gut wie schon lange nicht mehr.

Elon Musk und seine Mission

Elon Musk ist auf einer Mission. Der gebürtige Südafrikaner, von Weggefährten als fordernd und kompromisslos beschrieben, als unberechenbar und hyperrational, hat ein großes Ziel, nicht erst, seit er 2002 SpaceX gegründet hat: Musk will zum Mars. Er will die Menschheit, wie er sagt, zu einer »interplanetaren Spezies« machen.

Er will auf dem Roten Planeten leben und sterben, nur nicht gleich bei der Landung, wie der 48-Jährige gerne schmunzelnd hinzufügt. Dem ordnet er alles unter, darauf sind all seine Weltraumprojekte ausgerichtet. Und Starship, zusammen mit einer neuen Rakete, Super Heavy genannt, soll das möglich machen.

Ein visionärer Plan, eine geniale Konstruktion? Oder doch die Idee eines Spinners, ein silbrig glänzendes Blendwerk, das mit seiner verbeulten Außenhaut an ein – wie die »New York Times« es nennt – eilig zusammengedengeltes Getreidesilo erinnert?

Fakt ist: SpaceX hat es bislang stets geschafft, seine Ideen irgendwann auch umzusetzen. Mit Beharrlichkeit, mit Innovationen, mit einer in der Raumfahrt zuvor unbekannten Unternehmenskultur. Aber auch mit Glück: Die drei ersten Flüge der Falcon 1 endeten allesamt katastrophal. SpaceX, so heißt es, hatte zwar noch Geld für einen weiteren Versuch, aber auch das war knapp.

Als Musk seinen Sportwagen verkaufen musste

Musk, der seine Millionen einst mit dem Verkauf des Bezahldienstes PayPal an eBay gemacht hatte, musste seinen McLaren-Sportwagen verkaufen. Er musste Freunde anbetteln. Dann, am 28. September 2008, auf den Tag genau elf Jahre vor der Präsentation im Süden von Texas, bretterte die 20 Meter lange Falcon 1 endlich ins All – als erste privat finanzierte Flüssigrakete der Welt. Das war der Durchbruch, ein Hauch von Revolution lag in der Luft. Und der Start sicherte SpaceX den Schlüssel zu lukrativen Aufträgen der US-Raumfahrtbehörde NASA, die alsbald folgen sollten.

SpaceX als weiteres vom Steuerzahler alimentiertes Raumfahrtunternehmen abzutun, greift dennoch viel zu kurz. Musk hat SpaceX wie ein Start-up aus dem Silicon Valley aufgezogen, mit flachen Hierarchien, einer offenen Werkshalle, in der die Grenzen zwischen den einzelnen Abteilungen allenfalls aus Linien auf dem weiß glänzenden Boden bestehen, mit Massenproduktion.

So wird die Falcon 9, das aktuelle Arbeitspferd der Firma, von zehn robusten, weitgehend baugleichen Triebwerken befeuert. Diese können dadurch günstig in großen Mengen hergestellt werden. Zudem müssen sie nicht 100-prozentig perfekt und bis ins kleinste Detail getestet sein, da die Falcon 9 den Ausfall einzelner Triebwerke gut kompensieren kann.

Synchronlandung | Die beiden Booster von SpaceXs Falcon-Heavy-Rakete landen nach dem Start am 6. Februar 2018 unbeschadet nahe der Startrampe in Cape Canaveral – für viele Beobachter ein Moment, der in die Raumfahrtgeschichte eingehen wird.

Hinzu kommt ein unglaubliches Entwicklungstempo. Während traditionelle Raketenbauer, um kein Risiko einzugehen, ihr einmal getestetes Design nicht mehr verändern, glich in der Anfangszeit der Falcon 9 kaum eine Rakete der anderen: hier ein neues Steuerelement, dort leistungsfähigere Triebwerke, dort kühlerer Treibstoff. Das ging nicht immer gut, genauso wenig wie die ersten Versuche mit SpaceX’ heutiger Kernkompetenz: der Landung und anschließenden Wiederverwendung der ersten Raketenstufe.

Doch der Lerneffekt war einkalkuliert. Inzwischen hat SpaceX 82 Raketen gestartet und mehr als 40 Antriebstufen erfolgreich gelandet. Der Preis für den Flug einer Falcon 9 liegt, wie neue Dokumente der NASA zeigen, bei nur noch 52 Millionen Dollar – ein Betrag, von dem die Konkurrenz nur träumen kann.

Ein 68 Meter langes Monstrum

All das – die Massenproduktion, die Wiederverwendbarkeit, die kontinuierliche Weiterentwicklung – sollen nun auch beim Starship zum Einsatz kommen. 50 Meter reckt sich der Prototyp in den texanischen Himmel, als ihn Musk am Jahrestag des Falcon-1-Starts im texanischen Boca Chica, unweit der Grenze zu Mexiko, präsentiert. Beschleunigen sollen den Prototypen drei identische Triebwerke, Raptor genannt.

Die finale Starship-Version soll sogar über sechs Antriebe verfügen, drei optimiert für Flüge in der Erdatmosphäre, drei fürs Vakuum des Weltalls. Hinzu kommt die eigentliche Rakete, ein 68 Meter langes, wiederverwendbares Monstrum, das unter dem Starship sitzt, den Großteil der Arbeit verrichtet und dazu auf bis zu 37 Raptor-Triebwerke zurückgreifen soll.

Raptor ist eine komplette Neuentwicklung. Statt auf Kerosin wie bei der Falcon 9 setzt das Triebwerk auf tiefgekühltes Methan, das zusammen mit flüssigem Sauerstoff verbrannt werden soll. Methan verspricht einen etwas besseren Schub als Kerosin. Zugleich ist es billiger und einfacher zu handhaben als kryogener Wasserstoff, bislang der Goldstandard bei den Raketenantrieben. Ein typischer SpaceX-Kompromiss.

Die größte Neuerung aber ist die silbrig schimmernde Hülle: rostfreier Stahl. »Das könnte die beste Design-Entscheidung meines Lebens gewesen sein«, sagte Musk im Interview mit dem US-Sender CNN. »Ich kann mich jedenfalls an keine bessere erinnern.«

Stahl statt Kohlefaser

Ursprünglich hätte das Raumschiff aus Kohlefasern bestehen sollen. Das Material ist allerdings 50-mal so teuer wie Stahl, und seine Bestandteile schmelzen bereits bei einigen hundert Grad Celsius, während Stahl bis zu 1500 Grad ertragen kann – wichtig beim Wiedereintritt, bei dem das Raumschiff, so Musk, wie ein Meteor durch die Atmosphäre fällt und sich stark aufheizt.

Trotzdem werde, dem Stahl sei Dank, auf der abgewandten Seite kein Hitzeschutz benötigt, während auf der heißen Seite eine dünne Schicht aus keramischen Kacheln genüge. Erst im letzten Moment solle sich das Raumschiff aufrichten, noch einmal seine Triebwerke zünden und dann stehend landen.

»Starman« vor Erdsichel | Nein, kein Fake, das Bild ist echt: Wenige Stunden nach der letzten Zündung der Oberstufe der Falcon Heavy am 6. Februar 2018 funkte eine Kamera das finale Bild des »Starman« in seinem exklusiven Gefährt zurück. Er hatte sich bereits weit von der Erde im Hintergrund entfernt und befindet sich nun auf einer weiten Umlaufbahn um die Sonne. Sie führt ihn bis zum Marsorbit, den er im Juli 2018 passiert hat. Mittlerweile sind die Batterien an Bord der Oberstufe erschöpft, so dass es keine weiteren Bilder mehr geben wird. Der Starman ist eine Schaufensterpuppe und trägt einen echten Raumanzug, wie er in den künftigen bemannten Dragon-Raumkapseln von SpaceX zum Einsatz kommen soll.

Ist das machbar? Oder Wunschdenken? Wenn es jemand schafft, heißt es in der Branche, dann die SpaceX-Ingenieure. Denn während altgediente Raumfahrtunternehmen als träge und bürokratisch gelten, was sie für ambitionierte Raketenbauer wenig interessant macht, kann das jung-dynamische SpaceX bei Einstellungen aus dem Vollen schöpfen – trotz eines aufbrausenden, unberechenbaren Chefs, trotz einer ausgeprägten Hire-and-fire-Mentalität.

Was SpaceX allerdings nicht geändert hat, sind die branchenüblichen Verzögerungen bei fast allen Projekten. Im Gegenteil: Musks Versprechen sind noch ambitionierter, noch illusorischer. In ein oder zwei Monaten soll der nun vorgestellte Prototyp bereits auf 20 Kilometer Höhe fliegen. In sechs Monaten soll ein neues Starship, dann die dritte Starship-Ausbaustufe, zusammen mit der bislang noch nicht einmal vorgestellten Super Heavy das Weltall erreichen. Und in einem Jahr sollen bereits Menschen mitfliegen.

»Das klingt völlig durchgeknallt«, findet selbst Elon Musk. Doch der Gründer, Geschäftsführer und Chefkonstrukteur von SpaceX meint solche Zeitpläne ernst. Er addiert, wie sein Biograf Ashlee Vance beschreibt, einfach die Arbeitsstunden, die voraussichtlich benötigt werden – ausgehend von sich selbst: einem Workaholic mit einer 90-Stunden-Woche, der extrem effizient arbeitet, keine Fehler macht und das auch von anderen erwartet. Doch nicht jeder ist wie Musk, und Raumfahrtprojekte ohne unerwartete Probleme sind so selten wie kleine grüne Männchen auf dem Mars.

Die größte Unwägbarkeit liegt dennoch woanders: in der Finanzierung des Vorhabens. Zwischen zwei und zehn Milliarden Dollar sollen Entwicklung, Bau und Start der ersten Starship-Mission kosten, hatte Musk vor einem Jahr gesagt. Inzwischen klingt das ein wenig anders: »Die Kosten liegen wohl eher bei zwei oder drei Milliarden statt bei zehn«, so Musk im CNN-Interview. Nicht zuletzt wegen des günstigen Edelstahls.

Trotzdem ist das viel Geld, zumal bislang nur ein Kunde bereitsteht: Der japanische Milliardär Yusaku Maezawa will 2023 zusammen mit ein paar Kumpels um den Mond fliegen und beteiligt sich im Gegenzug an der Entwicklung des Starship. »Ich glaube, das reicht, um das Schiff in den Orbit zu bekommen und eine Runde um den Mond zu drehen«, so Musk in der »New York Times«. »Um dort oder auf dem Mars zu landen, müssen wir aber womöglich noch etwas Geld auftreiben.« Und das möglichst bald: Bereits 2022, so die bislang gehegten Pläne, soll ein erstes Fracht-Starship zum Roten Planeten aufbrechen; zwei Jahre später könnten dann Astronauten folgen.

Flüge zum Mars sind indes nicht der einzige Einsatzzweck für das fliegende Getreidesilo. Starship und Super Heavy sollen auch alle anderen SpaceX-Raketen und -Raumschiffe ersetzen: Das Megaprojekt mit seiner Nutzlast von gut 100 Tonnen soll Satelliten ins All katapultieren, Fracht zum Mond bringen und Astronauten zur Internationalen Raumstation.

Das klingt auf den ersten Blick ähnlich sinnvoll wie Linienflüge von Stuttgart nach München mit einem Airbus A380. In Musks Augen rechnet es sich trotzdem. »Die Kosten eines komplett wiederverwendbaren Systems bestehen im Wesentlichen aus den Kosten des Treibstoffs«, sagte er in Boca Chica. Daher vollste Konzentration auf das Starship.

Und wer weiß, vielleicht hilft doch wieder die NASA: Auch die Raumfahrtbehörde will auf dem Mond landen und irgendwann zum Mars fliegen. Dafür hat sie den Bau einer eigenen Superrakete in Auftrag gegeben, des Space Launch System. Das allerdings liegt viele Jahre hinter seinem Zeitplan zurück, wird dafür aber viele Milliarden Dollar teurer.

Noch halten die USA trotzdem am Space Launch System fest, hauptsächlich aus politischen Gründen, um die alten Raumfahrtkonzerne zu unterstützen. Sollte SpaceX – allen Widrigkeiten zum Trotz – mit dem Starship erfolgreich sein, könnten diese aber schon bald noch viel, viel älter aussehen.

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