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Raumfahrt: Monsterrakete wider alle Vernunft

Eine neue Monsterrakete, das Space Launch System, soll die Amerikaner zurück zum Mond und weiter zum Mars bringen. Doch das politische Prestigeprojekt verschlingt vor allem Geld und bindet Kapazitäten. Trotzdem ist es nicht totzukriegen. Warum eigentlich?
Trägerrakete SLS im Flug (Computergrafik)

Wenn die besten Bilder aus dem Computer kommen, hat die Raumfahrt in der Regel ein Problem. So wie beim Space Launch System, der neuen amerikanischen Vorzeigerakete: Der Himmel ist stets strahlend blau, die Sonne steht tief, die Bässe wummern, wenn das Geschoss in den Werbevideos der Raumfahrtbehörde NASA seine Triebwerke zündet. Scheinbar mühelos gewinnt die Rakete mit ihren schick aufgemalten Rallyestreifen dann an Höhe, bringt ein Raumschiff auf Kurs, macht den Weg frei für Flüge zum Mond, zum Mars oder wohin die Reise auch gehen mag.

Die Realität sieht anders aus. Als die NASA Ende 2018 Journalisten nach Cape Canaveral einlädt, von wo aus das Space Launch System (SLS) Mitte kommenden Jahres zu seinem Jungfernflug abheben soll, sind in einer unscheinbaren Lagerhalle nur ein paar Komponenten der seitlichen Feststoffraketen zu bestaunen – Überreste aus dem Spaceshuttle-Programm, gereinigt, neu aufbereitet, frisch gestrichen. Vom Rest der Rakete, die in eineinhalb Jahren die Startrampe in Florida erzittern lassen soll, ist hingegen nichts zu sehen. Kein Wunder: Insbesondere die zentrale Raketenstufe, gut 60 Meter lang und beim Start fast tausend Tonnen schwer, bereitet den Ingenieuren mächtig Kopfzerbrechen.

Hohe Kosten, technische Probleme, immer wieder Verzögerungen. Das Space Launch System, noch leistungsfähiger als die Saturn V und gedacht für bemannte Flüge zum Mond, zum Mars sowie für die ganz großen Wissenschaftsmissionen, ist längst zu einer Belastung für die NASA geworden: Die Monsterrakete bindet fachliche Kompetenzen, sie bringt Zeitpläne durcheinander, sie zwingt zu schmerzhaften Einsparungen bei anderen Projekten.

Lassen sich Flüge zum Mond kommerzialisieren?

Da ist es wenig verwunderlich, dass in den USA derzeit Bestrebungen an Fahrt aufnehmen, SLS zu stoppen und die Transportaufgaben zum Mond und zum Mars an Privatfirmen zu delegieren. Doch lässt sich ein Flug zum Erdtrabanten kommerzialisieren, als wäre es ein Charterflug nach Mallorca? Und spielt die Politik bei all dem mit? Oder ist das Space Launch System längst zu groß, zu wichtig, zu teuer, um scheitern zu dürfen?

NASA-Chef Jim Bridenstine, bis zu seinem Sprung an die Spitze der Raumfahrtagentur republikanischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus, versucht gar nicht erst, die Lage schönzureden. »SLS hat schwer damit zu kämpfen, im Zeitplan zu bleiben«, so Bridenstine Mitte März bei einer Anhörung des US-Senats. Eigentlich sollte die neue Superrakete, die im September 2011 ins Leben gerufen worden war, schon 2017 zu ihrem ersten, noch unbemannten Testflug starten. Mittlerweile peilt die NASA den Juni 2020 an – doch auch dieses Datum dürfte, wie Bridenstine einräumt, nicht zu halten sein.

»Boeings Verantwortliche haben das Ausmaß der Arbeit durchweg unterschätzt – und dadurch auch die benötigte Größe und die Fähigkeiten der Belegschaft«
Paul K. Martin, Generalinspekteur der NASA

Insbesondere die Aluminiumtanks der zentralen Raketenstufe machen Probleme. Um Platz für zwei Millionen Liter Wasserstoff und 750 000 Liter Sauerstoff zu schaffen, hat Hersteller Boeing extra die größte Schweißanlage der Welt gebaut – und ist dabei auf viele Schwierigkeiten gestoßen. Doch nicht nur das. Der Generalinspekteur der NASA stellt dem Raumfahrtkonzern sonst ebenfalls ein verheerendes Zeugnis aus: »Boeings Verantwortliche haben das Ausmaß der Arbeit durchweg unterschätzt – und dadurch auch die benötigte Größe und die Fähigkeiten der Belegschaft«, heißt es in einem Bericht vom Oktober 2018. Boeings »schlechte Leistung« führe zwangsläufig zu Problemen im Management, bei der Technik und der Infrastruktur.

Geld bekommt das Unternehmen trotzdem, wie alle anderen NASA-Zulieferer, schließlich ist der SLS-Auftrag nicht gedeckelt. Gut 14 Milliarden Dollar (etwa 12,5 Milliarden Euro) sind bislang in das Projekt geflossen. Jedes weitere Jahr der Entwicklung und des Baus der Rakete schlägt mit weiteren gut zwei Milliarden Dollar zu Buche. Geld, das die NASA eigentlich besser investieren könnte – zum Beispiel in das neue Weltraumteleskop WFIRST.

Seit Langem wird der Nachfolger des Hubble-Teleskops geplant, nun will ihn die Trump-Regierung wegen der ausufernden SLS-Kosten streichen. Gebraucht wird aber auch Geld für alternative Raumschiffsantriebe, für Treibstoffdepots im Erdorbit, für Auftank- und Montagetechnologien im All – alles Voraussetzungen, um eines Tages mit vertretbarem Aufwand zum Mars zu fliegen. Stattdessen fließen die Milliarden in eine konventionelle, Kritiker sagen »veraltete«, Megarakete, die noch dazu nicht vom Fleck kommt.

»Der NASA eilt der Ruf voraus, ihre Starttermine nicht einzuhalten«
Jim Bridenstine

»Der NASA eilt der Ruf voraus, ihre Starttermine nicht einzuhalten«, räumt Bridenstine bei der Anhörung in Washington ein. »Genau das möchte ich ändern.« Den im kommenden Jahr anstehenden Testflug, bei dem neben der SLS-Rakete auch die neue Orion-Raumkapsel der Amerikaner ausprobiert werden soll, würde Bridenstine daher am liebsten mit kommerziell verfügbaren Vehikeln starten. Eine Rakete könnte Orion in eine Erdumlaufbahn bugsieren. Eine zweite Rakete würde die nötige Antriebseinheit hinterherschießen, um nach einem Andockmanöver Orion (noch ohne Menschen) zum Mond zu bringen. Und das alles im Juni 2020. »Unser Ziel muss es sein, wieder in die Spur zu kommen. Dabei müssen wir sämtliche denkbaren Optionen berücksichtigen«, sagt Bridenstine.

Was als Trick zum Zeitsparen getarnt ist, ist letztlich der Versuch eines Dammbruchs: Sollten die privaten Raketen erfolgreich sein, würden sich nicht wenige in Washington fragen, wofür das teure, hochkomplexe Space Launch System überhaupt gebraucht wird. Zumal Raumfahrtfirmen wie SpaceX mit der Big Falcon Rocket oder Blue Origin mit New Glenn in den kommenden Jahren neue, verbesserte Raketen auf den Markt bringen wollen, die in einer ähnlichen Leistungsklasse liegen wie SLS.

Bei der Internationalen Raumstation ISS, die die NASA jahrelang mit ihrem teuren Spaceshuttle angeflogen ist, hat die Behörde bereits gezeigt, dass private Transporte möglich sind: SpaceX und Boeing entwickeln derzeit, mit kräftiger Anschubfinanzierung vom amerikanischen Steuerzahler, Raketen und Raumschiffe für den Flug zur Station. Klappt alles, dann wird die NASA künftig nur noch einzelne Sitzplätze in den neuen Raumschiffen einkaufen – fast wie in einem Charterflieger.

Großes Sparpotenzial bei privaten Mondflügen

Warum sollte das nicht auch beim Mond funktionieren? Immerhin ist das Sparpotenzial deutlich größer: Berechnungen des Onlinemagazins »Ars Technica« zufolge, dürfte jeder SLS-Flug unterm Strich mit zwei bis drei Milliarden Dollar zu Buche schlagen. »Allein die Betriebskosten dieses Biests werden die NASA bei lebendigem Leib auffressen«, warnt daher auch der ehemalige Flugdirektor und NASA-Manager Christopher Kraft. Zwar ist noch unklar, was entsprechende Raketenstarts bei SpaceX oder Blue Origin kosten werden. Verglichen mit SLS haben deren Vehikel, die bislang ebenfalls nur als bildgewaltige Animationen existieren, allerdings einen großen Vorteil: Sie sind wiederverwendbar.

Trotzdem wird das Space Launch System nicht so schnell weichen. Denn SLS, auch als »Senate Launch System« verspottet, ist ein zutiefst politisches Projekt: Als es 2010 im Kongress erdacht wurde, ging es den Abgeordneten vor allem darum, Arbeitsplätze aus dem Spaceshuttle-Programm zu retten, dessen Ende absehbar war.

Dieses Bemühen zeigt sich nicht zuletzt bei der Technik: Die zentrale Raketenstufe basiert auf dem rotbraunen Außentank des Shuttles. Auch die Triebwerke der Raumgleiter bekommen eine zweite Chance; ihre Produktion wird extra wieder aufgenommen. Zwar sind die Aggregate darauf ausgelegt, mehrfach wiederverwendet zu werden, was sie besonders teuer und komplex macht. Trotzdem sollen sie bei SLS nach jedem Flug weggeworfen werden.

Politiker loben unwirtschaftlichen und nicht nachhaltigen Entwurf

Die beiden seitlichen Feststoffraketen, deren Einzelteile vergangenen Herbst in Florida bereits zu bestaunen waren, stammen ebenfalls vom Shuttle. Sie wurden lediglich um ein Segment verlängert. Als Rakete »auf Basis bewährter Technologien« lobte der US-Kongress damals seinen konservativen, unwirtschaftlichen und nicht nachhaltigen SLS-Entwurf. Letztlich ging es ihm aber darum, Pfründe, Arbeitsplätze, Wählerstimmen zu sichern.

Genau das macht es so schwer, SLS zu beenden. Hinzu kommt, dass einer der wichtigsten Abgeordneten im Senat seinen Stimmkreis in Alabama hat, wo das Space Launch System zum großen Teil gebaut und getestet wird: Senator Richard Shelby, inzwischen 84 Jahre alt, gilt nicht nur als größter Förderer der neuen Rakete, er ist auch Vorsitzender des Haushaltsausschusses. Und der entscheidet, wie viel Geld die NASA für welche Projekte erhält.

Da ist es wenig überraschend, dass NASA-Chef Bridenstine von seiner Forderung nach kommerziellen Starts an Stelle des SLS-Testflugs inzwischen abgerückt ist – zumindest öffentlich. »SLS und Orion sind kritische Fähigkeiten für dieses Land«, schreibt Bridenstine in einer E-Mail an das SLS-Team. »Es liegt in unserem nationalen Interesse, daran festzuhalten.« Seit US-Vizepräsident Mike Pence vergangene Woche die Parole ausgegeben hat, dass Amerikaner bereits 2024 wieder auf dem Mond landen sollen – und nicht erst 2028, wie zuvor geplant – führt für Bridenstine ohnehin kein Weg an SLS vorbei.

Ist Scheitern mal wieder keine Option?

Dafür stellt der Expolitiker neue Forderungen: Boeing und die NASA müssten ihre Zeitpläne und ihre benötigten Tests so anpassen, dass SLS doch noch 2020 starten könne. Und der Kongress müsse viel Geld für eine zusätzliche, leistungsfähigere Variante der Rakete freigeben, die im Haushaltsentwurf des Weißen Hauses auf Grund der immensen SLS-Kosten zunächst gestrichen worden war. Denn nur damit ließe sich der Mond erreichen.

Es scheint fast, als würde Bridenstine, der Politikprofi, ganz bewusst die Daumenschrauben anziehen: Entweder Boeing und der US-Kongress kommen endlich in die Puschen, verstärken ihre Anstrengungen und bringen das Projekt trotz all seiner Schwächen zum Durchbruch. Oder das ganze Vorhaben scheitert krachend an den Zeitplänen und am fehlenden Geld, wodurch der Weg frei würde für eine kommerzielle Lösung.

»Scheitern ist keine Option« lautet seit dem missglückten Mondflug von Apollo 13, als sich das Raumschiff weidwund zurück zur Erde schleppen musste, ein viel zitiertes Mantra der NASA. Beim Space Launch System hingegen wäre ein schnelles Scheitern – mit Blick auf die Zukunft – wahrscheinlich die beste Option.

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