Direkt zum Inhalt

Wettervorhersage: Trübe Aussichten trotz blauem Himmel

Und nun zum Wetter: Über Europa tun sich riesige Datenlöcher auf. Weil wegen Corona weniger Flugzeuge fliegen, ist mit schlechteren Prognosen zu rechnen.
Ein Kondensstreifen ziert den blauen Himmel.

Kaum Wölkchen, kaum Kondensstreifen – so makellos azurblau hat man den Himmel lange nicht gesehen. Das wolkenlose Firmament im März 2020 ist hauptsächlich der knochentrockenen Luft zu verdanken, die aus Osteuropa nach Deutschland eingeflossen ist. Ein stabiles Hochdruckgebiet versorgt Mitteleuropa in diesen schweren Zeiten immerhin mit freundlichem Vorfrühlingswetter. Dass es an Abgasen aus Flugzeugtriebwerken fehlt, sorgt diesbezüglich für den letzten Schliff. So manchen erfreut der ungetrübte Blick; für andere allerdings ist der stark reduzierte Flugverkehr durchaus problematisch.

Die Rede ist von all jenen, welche sich mit dem Geschehen am Himmel beschäftigen: den Meteorologen. Denn den Wetterexperten brechen wegen der Corona-Lage die Daten weg, die sie brauchen, um Wettervorhersagen zu erstellen. Normalerweise liefern rund 5000 Verkehrsflugzeuge eine Fülle von Werten aus unterschiedlichen Höhen und Orten. Die Messungen sind für die Meteorologen von großer Wichtigkeit, weil Flugzeuge die Atmosphäre dreidimensional erfassen und damit Informationen aus solchen Höhen sammeln, die für den Fortgang des Wetters wesentlich sind. In zehn bis zwölf Kilometern Höhe, in denen Flugzeuge üblicherweise verkehren, weht der Jetstream, der kalte Polarluft von subtropischer Warmluft trennt. Seine Lage bestimmt das Wetter. Klassische Wetterstationen hingegen messen die Parameter nur am Boden.

Doch weil nun mehr Flugzeuge am Boden bleiben, fehlen weltweit immer mehr Messungen von Temperatur, Druck und Feuchte. Die Folge: Über Europa tun sich gerade riesige Datenlöcher in der Atmosphäre auf.

80 Prozent weniger Messungen als Anfang März

Florian Pappenberger ist wegen dieser Entwicklung besorgt. »Die Wettervorhersage wird leiden«, sagt er. Pappenberger ist ein Chef am europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (EZWMF) in Reading bei London; mit seinen Kollegen erstellt er das wohl beste Wettermodell der Welt. Seit Anfang März muss er mit ansehen, wie jeden Tag weniger Wetterdaten ins Vorhersagezentrum strömen. Um mehr als 80 Prozent haben die Flugzeugmessungen in Europa innerhalb von drei Wochen abgenommen, selbst von Flughäfen laufen derzeit nur die Hälfte der sonst verfügbaren Wetterdaten ein.

So wird das Wetter gemessen

Insgesamt 17 000 Wetterstationen gibt es auf der Erde, sie messen Temperatur, Luftdruck, Regenmengen, Wind und Sonnenschein. Zudem sind tausende Handelsschiffe und Flugzeuge mit Messfühlern ausgestattet. Die meisten Stationen stehen in den dicht bevölkerten, reichen Ländern; in Wüsten, Entwicklungsländern und entlegenen Gegenden gibt es deutliche Lücken. Die größten Lücken gibt es auf den Weltmeeren, etwa 1250 Bojen versorgen die Meteorologen mit Informationen über die Meerestemperatur von der Ozeanoberfläche bis in die Tiefe von 2000 Metern, allerdings ist das System sehr störanfällig und wartungsintensiv.

Der Wetterbericht ist, wie Physiker im Jahr 2015 in »Nature« feststellten, eine der großen unbekannten Revolutionen der Wissenschaft, eine richtige Erfolgsgeschichte. Doch der Datenmangel vom Himmel wirkt sich auf die Vorhersage aus. Sie ist schon jetzt um einen Tag schlechter als vor Corona, teilt Pappenberger mit. Das bedeutet, dass Wetterprognosen für mehrere Tage weniger verlässlich sind. Die Prognosequalität nimmt mit zunehmendem Zeitraum also ab. Während Meteorologen vor Corona sieben Tage im Voraus einigermaßen seriös die Zukunft des Wetters berechnen konnten, sind ihre Prognosen heute nur noch für sechs Tage präzise. Ein Tag klingt wenig, bedeutet aber, dass die Qualität der Wettervorhersagen um zehn Jahre zurückgeworfen ist.

Und nicht nur die mittelfristigen Vorhersagen über mehrere Tage dürften sich verschlechtern, auch die kurzfristige Prognosegüte leidet. Das hatte bereits eine Simulation im Jahr 2017 gezeigt. Damals hatten die Forscher in Reading berechnet, wie sich die Qualität der Wettervorhersage ändert, wenn alle Flugzeuge am Boden bleiben. Das Ergebnis: Die Prognose auf der Nordhalbkugel verschlechterte sich um bis zu 15 Prozent für eine zwölfstündige Vorhersage.

Wie tödlich ist das Coronavirus? Was ist über die Fälle in Deutschland bekannt? Wie kann ich mich vor Sars-CoV-2 schützen? Diese Fragen und mehr beantworten wir in unserer FAQ. Mehr zum Thema lesen Sie auf unserer Schwerpunktseite »Ein neues Coronavirus verbreitet sich weltweit«.

Die Datenlöcher treffen die Vorhersagemodelle so stark, weil das Wetter dem Chaosprinzip folgt. Die Atmosphäre ist kein lineares System, das man mit Hilfe hinreichend potenter Computer komplett errechnen könnte. Wetter ist ein Produkt chaotischer Prozesse. Nur minimale Veränderungen der Anfangsbedingungen in der Atmosphäre können auf lange Sicht zu völlig unterschiedlichen Wetterlagen führen. Daher ist es so wichtig, dass man den Istzustand der Atmosphäre so gut wie möglich kennt, bevor man in die Zukunft rechnet. Daten sind entscheidend für die Wettervorhersage, ohne sie hilft die beste Rechenpower nichts .

Mangel an Personal und Wartung kann sich auf Bodenstationen auswirken

Die Coronakrise hat gerade erst begonnen. Daher geht Pappenberger davon aus, dass die Datenlöcher wachsen werden – am Himmel wie am Boden. »Das Problem wird sich in den nächsten zwei bis drei Wochen noch verschärfen«, sagt er. Bis Ostern dürfte sich der Luftverkehr in Europa weiter ausdünnen, zudem bleiben in anderen Erdteilen immer mehr Maschinen am Boden. Die Wetterdienste versuchen diesen Verlust an Daten aufzufangen, indem sie häufiger Wetterballons entsenden, die ein Vertikalprofil der Atmosphäre erstellen. Allerdings hatte der französische Wetterdienst Schwierigkeiten, solche Ballons zu starten, da Helium in Zeiten geschlossener Grenzen nicht einfach zu besorgen ist. Zudem befürchtet Florian Pappenberger, dass außerhalb Europas bald zusätzlich Wetterstationen am Boden ausfallen, weil es an Personal und Wartung fehlt.

Ein neuer Satellit ist derzeit der einzige Hoffnungsträger der Wetterdienste. Er heißt Aeolus, die europäische Raumfahrtagentur ESA hat ihn im Jahr 2018 ins All geschossen. Aeolus vermisst mit einem speziellen Laser die Windfelder der Erde, seine gesammelten Daten können die Ausfälle konventioneller Messnetze etwas abmildern. Ersetzen kann Aelous Flugzeugmessungen allerdings nicht, da er nur Windprofile misst. Verkehrsmaschinen hingegen senden zahlreiche meteorologische Parameter zu den Wetterdiensten, darunter Druck, Temperatur und Turbulenz der Atmosphäre. Außerdem handelt es sich bei Aeolus um eine einmalige Forschungsmission. Sollen seine Winddaten erhalten bleiben, müssen die europäischen Staaten eine Folgemission beschließen.

Damit die Qualität der Wettervorhersage wieder das Niveau des Jahres 2020 erreicht, muss also nicht nur das Leben am Boden, sondern auch am Himmel zurück zur Normalität finden. Bis dahin sollte man Prognosen über mehrere Tage lieber mit Vorsicht genießen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.