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Fleisch Imitate: Der Aufstieg der veganen Ersatzstoffe

Sie enthalten keine Tierprodukte - dafür viele Zusatzstoffe. Fachleute und Start-ups wollen nun vegane Imitate von Fleisch und Milch noch gesünder und nachhaltiger machen.
Veggie Burger

Die berüchtigte Grünkern-Bulette der 1980er Jahre ist längst ferne Vergangenheit. Die Fleischersatzprodukte, mit denen Firmen wie Beyond Meat, die Rügenwalder Mühle oder The Vegetarian Butcher derzeit die Supermarktregale füllen, kommen deutlich näher an das Original heran als die frühen Pflanzenklopse. Und auch für Milch und Käse gibt es pflanzliche Imitate. Allerdings gelten die Produkte als hoch verarbeitet, sie strotzen teilweise vor Zusatzstoffen und sind mit ihrem bisweilen hohen Fett- und Salzgehalt ins Visier von Verbraucherschützern geraten.

Das ist schade, schließlich ist die Produktion von Fleisch und Milchprodukten extrem unökologisch. Sie verbraucht Unmengen an Fläche und Wasser und jagt dabei gehörige Mengen an Treibhausgasen in die Luft. Laut dem Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) erzeugt eine aus Pflanzen hergestellte Wurst nur 36 Prozent CO2-Emissionen, benötigt nur 51 Prozent Energie, 33 Prozent Wasser und 30 Prozent Landfläche im Vergleich zu klassischer Wurst aus Fleisch. Gleichzeitig wünscht sich der deutsche Verbraucher Alternativen: So sinkt beispielsweise der Fleischwarenverzehr laut Statista in Deutschland seit 1991 tendenziell, während der Umsatz von vegetarischen und veganen Lebensmitteln im Handel sich seit 2017 fast verdoppelt hat.

Deswegen tut sich etwas in den Garküchen der Forschungsinstitute und der Industrie. So hat das Umweltbundesamt (UBA) kürzlich gezeigt, dass sich die Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen in der Datenbank Scopus zum Thema Fleischimitate von 2013 auf 2018 mehr als verdreifacht hat. Das hilft der Industrie, mit der es oft Kooperationen gibt. »Die Hersteller versuchen mit immer weniger Salz oder Zusatzstoffen auszukommen und trotzdem den Geschmack weiter zu optimieren«, meint Raffael Osen, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung. Das Motto lautet: weniger Chemie, mehr Technik.

Auf der Suche nach dem richtigen Gefühl

Wie nahe ein Produkt geschmacklich an Fleisch heranreicht, hat auch mit der faserigen Struktur, dem Bissgefühl zu tun. Hersteller setzen darum immer häufiger auf ein als Nass-Extrusion bezeichnetes Verfahren. Dabei wird pflanzliches Eiweißpulver mit Wasser und Gewürzen erhitzt und durch eine Düse gepresst, damit die Proteine eine faserige Struktur bekommen. Viele Fleischnachahmer verwenden dieses Verfahren etwa für vegane Schnitzel oder Geflügelstreifen. Der Vorteil: »Durch das bessere Mundgefühl kann auf einen Teil der Zusatzstoffe verzichtet werden«, sagt Osen.

Dagegen entstehen bei der Produktion von Texturiertem Soja (TVP, kurz für Textured Vegetable Protein) schwammartige Strukturen wie bei einem Erdnussflip oder einer Frühstückscerealie. Mit dieser Trocken-Extrusion werden etwa Wurstersatz, Burger-Patties, aber auch Tofu, Seitan oder pflanzlicher Jogurt hergestellt. Hier müssen mehr Bindemittel und Aromen eingesetzt werden.

»Die Hersteller versuchen mit immer weniger Salz oder Zusatzstoffen auszukommen und trotzdem den Geschmack weiter zu optimieren«
Raffael Osen

Das bestätigt ein Marktcheck der Verbraucherzentrale aus dem Jahr 2017: In Veggie-Fleisch-Produkten findet sich oft das Bindemittel Carrageen (E 407), das aus Rotalgen stammt. Von häufigem Verzehr rät die Verbraucherzentrale ab. In einigen Produkten fand sich auch das Verdickungsmittel Konjak (E 425). Es stammt zwar aus der Wurzel einer Pflanze namens Teufelszunge, sollte aber ganz gemieden werden, da es bei häufigem Konsum zu Magen-Darm-Beschwerden führen kann und die Aufnahme von Vitaminen aus der Nahrung verringert.

Den bisweilen stark gehypten Burger-Patties von Beyond Meat wird Rote-Bete-Saft beigemengt, so dass bei sanftem Druck sogar »Fleischsaft« herausfließt. Gewürzt werden die Fleischimitate mit Hefeextrakt, der den Umami-Geschmack von Fleisch nachahmt – ein Kunstgriff, der bei vielen Analoga zum Einsatz kommt. Hefeextrakt ist zwar nicht ungesund, aber verpönt, da dieser als natürliches Glutamat, also als Geschmackverstärker eingesetzt wird.

Unerwünschte Zusatzstoffe statt natürlicher Vitamine

Zudem kommen weitere Hilfsmittel wie das Verdickungsmittel Methylzellulose (E 461) zum Einsatz. Doch auch hier wird an natürlicheren Ersatzprodukten geforscht. So hat der US-amerikanische Zusatzstoff-Hersteller Fibrestar im Jahr 2019 aus Zitrusschalen einen Ersatzstoff für E 461 entwickelt.

Doch die marktüblichen Herstellungsprozesse gelten nach wie vor als »intensiv«, da sie mit hohen Temperaturen, hohem Druck und starken Scherkräften arbeiten. Wenig untersucht ist, wie diese den in Pflanzenmehl vorkommenden Fettsäuren, Vitaminen, Mineralstoffen, Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen zusetzen.

Allgemein lässt sich nur sagen, dass die Nass-Extrusion schonender als die Trocken-Extrusion ist, es bleiben mehr Nährstoffe aus der Pflanze erhalten. Um die Nährstoffqualität zu verbessern, setzen manche Hersteller darum den Imitaten etwa Vitamin B12 zu, das nur in tierischen Lebensmitteln vorkommt. Diese Art der Aufwertung ist auch bei anderen Produktgruppen üblich. Milchersatzprodukte etwa werden häufig mit Kalzium oder Vitamin B2 angereichert.

Schonendere Verfahren, mit denen man die Extrusion umgehen kann, sind deswegen im Fokus der Forschung. »Wir wollen fibrillenartige Strukturen aus Pflanzenproteinen ohne Extrusion hinbekommen, um die Textur von Fleischersatzprodukten zu verbessern«, sagt David McClements, Wissenschaftler an der University of Massachusetts Amherst.

Soja kommt aus der Mode

Doch nicht nur der Herstellungsprozess steht auf dem Prüfstand, Fachleute hinterfragen zunehmend auch die bisherigen Rohstoffe. Bislang diente als Basiszutat für Veggie-Produkte meist Soja. Allerdings vertragen das nicht alle Menschen. Zwar sind nur rund 0,4 Prozent der Europäer darauf allergisch, Kreuzreaktionen mit Soja können jedoch bei Birkenpollen-Allergikern auftreten. Und solch eine Kreuzallergie kommt bei immerhin zehn Prozent der Deutschen vor. Vor allem auf Sojadrinks reagieren die Betroffenen, während fermentierte oder stärker verarbeitete Bohnen weniger Allergene enthalten. Auch Lupinen und Weizen sind in dieser Hinsicht keine guten Alternativen, da einige Menschen sie ebenfalls nicht vertragen.

Fachleute sehen Soja auch aus Umweltgründen kritisch. Zwar beziehen laut einem Marktcheck der Verbraucherzentrale Hamburg aus dem Jahr 2014 immer mehr Produzenten von Milchersatzprodukten ihre Rohware aus Europa, wo garantiert keine Regenwälder weichen mussten und auch keine gentechnischen Veränderungen im Bohnenerbgut vorliegen dürfen. Dennoch stammen etwa bei der Firma Rügenwalder immer noch 50 Prozent des Sojas für das vegetarische und vegane Sortiment aus Nordamerika.

Weil Soja out ist, experimentieren Hersteller mit immer mehr unterschiedlichen Rohstoffen: So kommen etwa Ackerbohne, Erbse, Linse, Hafer, Hanfpflanze, Kleine Wasserlinse, Kartoffel, Reis oder auch Pressrückstände aus der Kürbis- oder Sonnenblumenöl-Gewinnung in den Extruder. An der UMass Amherst werden derzeit die unterschiedlichsten Pflanzenproteine auf ihre Eignung abgeklopft. Für ein veganes Produkt sind Eigenschaften wie Löslichkeit oder auch die Fähigkeit zu emulgieren von Bedeutung.

Osen hält es für wichtig, dass die Rohstoffe in der Region produziert werden können. »Erst dann sind die Produkte ein echter Ersatz für tierische Lebensmittel.« Auch bei Milchersatzprodukten machen die Rohstoffe einen Unterschied: Laut der Stiftung Warentest schneidet in Sachen Klima, Wasserverbrauch und -belastung Hafermilch im Vergleich zu Soja-, Mandel- oder Reismilch am besten ab.

Große Unterschiede bei Milchersatz

Die Herstellung von Milch- und Käseimitaten ist weniger intensiv, weil die Temperaturen niedriger sind. Dennoch klaffen noch große Lücken zwischen den Originalen und den veganen Milchprodukten, was Vielfalt, Geschmack und Gesundheit anbelangt. Der Marktcheck der Verbraucherzentrale zeigte, dass gerade bei veganen Milchprodukten der Eiweißanteil erheblich variiert. Nennenswerte Mengen an Protein stecken nur in Lupinen- sowie Sojadrinks und daraus hergestellten Produkten.

Vor allem Quark-, Frischkäse- und Jogurt-Alternativen kommen näher an das Original, während die Nährstoffqualität von Schnittkäse stark schwankt. Eva Derndorfer von der Informationsplattform »forum.Ernährung.heute« erklärt, was etwa in Schnittkäsesorten stecken kann: »Kokos- oder Palmöl, modifizierte Stärke oder Stärke, Meersalz, Aromastoffe, Säureregulatoren, Konservierungsstoffe und Farbstoffe.« Ihr Fazit: »Gesundheitlich bedenklich sind die Produkte nicht – aber während Käse zur Eiweiß- und Kalziumversorgung maßgeblich beiträgt, ist das bei veganen Scheiben nicht der Fall.«

Ein altes Verfahren der Lebensmittelproduktion könnte hier für Besserung sorgen. Mit Hilfe von Fermentation versuchen die Fraunhofer Wissenschaftler Veggie-Käse etwa auf Basis von Lupinen oder Erbsen Qualität und Aroma einzuhauchen. »Die fertig gereifte Käsealternative wird dann eine ähnliche Zusammensetzung wie das Original haben«, so Osen.

Vom Ersatz zum eigenständigen Nahrungsmittel?

Der Vorteil der Fermentation ist, dass der Umbauprozess auch unerwünschte bohnige und grasig grüne Aromen der Hülsenfrüchte reduziert. Damit werden wiederum künstliche Würzmittel und Salz unnötig, die vormals den so genannten Off-Flavour kaschiert haben. Zudem sind fermentierte Produkte besser verdaulich, da probiotische Bakterien komplexe Kohlenhydrate oder blähende sekundäre Pflanzenstoffe abbauen.

In Sachen Eiweißgehalt schneiden vegane Fleischersatzprodukte in Tests besser ab als Veggie-Käse. Sie können beim Proteingehalt und auch der -qualität durchaus mit den tierischen Varianten mithalten. Zudem liefern pflanzliche Wurstimitate im Vergleich zu den Originalen meist weniger oder gleich viel Fett und weniger gesättigte Fettsäuren, die als der Gesundheit eher abträglich gelten. Zahlreiche Produkte enthalten allerdings dennoch Kokos- oder Palmöl und bestehen hauptsächlich aus gesättigten Fettsäuren.

Forscher der University of Guelph arbeiten darum an gesünderen Alternativen. Sie haben etwa pflanzliche Fettemulsionen entwickelt, die die gleichen Eigenschaften wie gesättigte Fette haben sollen. Das heißt, sie sind bei Raumtemperatur noch relativ fest und bilden kleine Fetttaschen ähnlich wie tierisches Fett. Sie sollen zukünftig vor allem die Textur von Pflanzenkäse verbessern.

Sicher ist schon jetzt: Pflanzliche Imitate tierischer Lebensmittel haben sich als Alternative zum Original etabliert. Langfristig werden diese Ersatzprodukte dabei helfen, eine Brücke in die Post-Fleisch-Ära zu schlagen, glaubt etwa Lars Winterberg, Psychologe an der Universität Regensburg. Auch wenn noch nicht alles gut ist im Reich der tierischen Ersatzprodukte: Je größer das Angebot an solchen Produkten und je ähnlicher sie dem Original sind, desto weniger Menschen werden noch zu Fleisch und Milchprodukten greifen.

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